Günther Stapenhorst
Günther Gustav Stapenhorst wurde am 25. Juni 1883 im elsässischen Guebwiller, damals Gebweiler, geboren. Nach einer Ausbildung an der Marineakademie trat er 1900 in die kaiserliche Marine ein. Als Korvettenkapitän war er 1916 an der Skagerrakschlacht beteiligt, der größten Seeschlacht des Ersten Weltkriegs. Im Jahr darauf wurde er dem Generalstab der Marine zugeteilt.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs arbeitete Stapenhorst ab 1919 zunächst bei einer Bank, dann als Exportkaufmann; 1922 wurde er Mitinhaber einer Hamburger Exportfirma. Über das Export- und Verleihgeschäft kam er 1924 mit der Filmbranche in Kontakt. Er beteiligte sich finanziell und als Produktionsleiter an Arthur Ziehms Gesellschaft Internationale Film Exchange, deren erster Film "Ich hatt' einen Kameraden" 1926 auf der Hamburger Kolonialwoche uraufgeführt wurde.
Nach dem Konkurs der Firma leitete Stapenhorst zunächst ein Kino; 1928 kam er als Produktionsleiter zur Ufa. Dort betreute er unter anderem Lustspiele von Johannes Guter ("Die Blaue Maus", 1928, mit Jenny Jugo; "Ihr dunkler Punkt", 1928, und "Wenn du einmal dein Herz verschenkst", 1929, mit Lilian Harvey), sowie Filme von Gustav Ucicky ("Hokuspokus", 1930, nach Curt Goetz; "Mensch ohne Namen", 1932, nach Balzac). Unter seiner Leitung entstand mit Gerhard Lamprechts "Emil und die Detektive" (1931) die erste Erich-Kästner-Verfilmung. Zudem betreute er – auch in den französischen Versionen – Reinhold Schünzels musikalische Komödien "Der kleine Seitensprung" (1931) und "Das schöne Abenteuer" (1932).
Neben dem Ufa-Dramaturg Robert Liebmann waren vor allem die Wiener Autoren Walter Reisch und Karl Hartl sowie der Ungar Emmerich Preßburger für Günther Stapenhorst tätig. Mit Gustav Ucickys Fridericus-Propaganda "Das Flötenkonzert von Sanssouci" (1930, Buch: Reisch) und seinem Seekrieg-Epos "Morgenrot" (1933, Buch: Gerhard Menzel) entstanden unter Stapenhorsts Leitung zwei der profiliertesten Produktionen der national-konservativen "Hugenberg-Linie" der Ufa. Bei der Berliner Premiere von "Morgenrot" im Februar 1933 war Adolf Hitler zugegen.
Nach der Machtübernahme der Nazis und der Emigration Erich Pommers avancierte Stapenhorst 1933 zum wichtigsten Produzenten der Ufa. Er übernahm Ludwig Bergers noch als Pommer-Produktion geplanten "Walzerkrieg" (1933) und produzierte – erneut mit dem Team Ucicky/Menzel – den Propagandafilm "Flüchtlinge" (1933), der mit dem neugeschaffenen Staatspreis (Nationaler Filmpreis) ausgezeichnet wurde. Gerhard Lamprecht drehte für ihn Romanzen ("Prinzessin Turandot" 1934; "Barcarole", 1935), Reinhold Schünzel unter anderem "Amphitryon" (1935), in dem – trotz der Skepsis des Ufa-Vorstands – mit großem Aufwand neue Trickverfahren erprobt wurden.
1935 ging Stapenhorst, der sich weigerte, NSDAP-Mitglied zu werden, nach England. Für die Gaumont-British produzierte er an Originalschauplätzen im kanadischen British Columbia einen Film über den Bau der Canadian Pacific Railway: "The Great Barrier" (GB 1937), mit der exilierten Schauspielerin Lilli Palmer und dem deutschen Kameramann Sepp Allgeier. Danach arbeitete er für Alexander Kordas London Film Productions.
Mit "The Challenge" (GB 1937) produzierte Stapenhorst die englische Version des deutschen Luis-Trenker-Films "Der Berg ruft", die ihn zu Dreharbeiten in der Schweiz führte, wo er Kontakte zur Elite-Film knüpfte – der Vorbote eines neuen Berufs- und Lebensabschnitts: Nach Kriegsbeginn im September 1939 ließ Stapenhorst sich offiziell in der Schweiz nieder. Im Frühjahr 1940 produzierte er für die Elite-Film das Kleinbürgermelodram "Verena Stadler", die Regie führte der Editor Hermann Haller.
Im November 1940 gründete Stapenhorst mit dem Schweizer Produktionsleiter Heinrich Fueter die Gloriafilm AG. Mit dem Familienfilm "Emil, me mues halt rede mitenand!" (CH 1941) etablierte die Firma sich als Konkurrentin der dominierenden Praesens-Film AG des Produzenten Lazar Wechsler; mit der Zuckmayer-Verfilmung "Menschen, die vorüberziehen…" gelang der jungen Firma auch ein künstlerischer Erfolg. Die finanziellen Hintermänner dieser Gesellschaft blieben dabei ebenso im Dunkeln wie die ihres neuen Ateliers, der Bellerive-Studios, und der mit ihr verbundenen Unternehmungen aus Verleih, Vertrieb und Synchronstudio – man darf sie in Deutschland vermuten.
Tatsächlich unterhielt Stapenhorst weiterhin Kontakte nach Deutschland und bewarb sich 1941, 1942 und 1943 um einen Direktionsposten bei der Ufa, was jedoch mit Hinweis auf seine Zusammenarbeit mit jüdischen Filmschaffenden abgelehnt wurde. In der Schweiz geriet er 1941 in Spionageverdacht. Als Folge wurde ihm vom Generalstab der Armee verboten, an den Außenaufnahmen des ambitionierten Sozialdramas "Steibruch" (1942), dem Filmdebüt der 16-jährigen Maria Schell, teilzunehmen. Der finanzielle Misserfolg der Komödie "Matura-Reise" (CH 1942) bedeutete schließlich das Ende der Spielfilmproduktion der Gloriafilm.
Nach Kriegsende kehrte Stapenhorst nach Deutschland zurück. 1949 gründet er in München die Carlton-Film GmbH. Die zweite Produktion dieser Firma, die Kästner-Adaption "Das doppelte Lottchen" (1950), war ein großer Kassenerfolg und erhielt 1951 das Filmband in Gold. Mit "Das fliegende Klassenzimmer" (1954) und "Die verschwundene Miniatur" (1954) folgten weitere erfolgreiche Kästner-Adaptionen, zu denen dieser erneut die Drehbücher schrieb.
Auch sonst produzierte Stapenhorst mit der Carlton-Film zahlreiche Erfolgsfilme, darunter Arthur Maria Rabenalts "Alraune" (1952), Willi Forsts "Im weißen Rössl" (1952), Gerhard Lamprechts zweiteilige Rittmeister-Chronik "Meines Vaters Pferde" (1954) und G.W. Pabsts Ballett-Melodram "Rosen für Bettina" (1956). Künstlerische Anerkennung erhielt 1958 der von Carlton-Film koproduzierte Antikriegsfilm "Unruhige Nacht" unter der Regie von Falk Harnack.
Neben seiner Produktionstätigkeit war Stapenhorst Mitinhaber der Wiener Internationalfilm Verleih GmbH, der Züricher Ifco Film Company AG und der Carlton-Niederlassungen in London und Wien. Seine letzten Arbeiten als Produzent waren Werner Jacobs' "Im weißen Rößl" (AT/DE 1960) mit Peter Alexander und Franz Josef Gottliebs "Die Försterchristel" (1962), die beide zu Klassikern avancierten
Beim Deutschen Filmpreis 1971 wurde er mit dem Filmband in Gold für "langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film" geehrt. Im Jahr darauf, am 2. Februar 1979, starb Günther Stapenhorst in München.
Seine drei Kinder arbeiteten ebenfalls beim Film: Fritz Stapenhorst als Editor und Regisseur, Klaus Stapenhorst als Produktionsleiter und Geschäftsführer der Carlton-Film, Lore Stapenhorst als Drehbuchautorin.