Inhalt
Volker Schlöndorffs Verfilmung des gleichnamigen Romans von Max Frisch: Walter Faber bereist als Ingenieur die Welt, sorgt mit Technik dafür, die Natur zu beherrschen. Auf einem Flug nach Caracas muss die Propellermaschine notlanden – und Faber begegnet in Gestalt seines Mitreisenden Herbert Hencke dem Bruder seines früheren Freundes Joachim, der Fabers große Jugendliebe Hanna geheiratet hat. Bevor Faber daraufhin Joachim wiedersehen will, begeht dieser Selbstmord. Verunsichert und seltsam abgestoßen von seiner ehemaligen Geliebten Ivy schifft sich Faber nach Paris ein. An Bord begegnet er der jungen Sabeth, verliebt sich in sie, und fährt mit ihr nach Athen – dort will Sabeth ihr Mutter besuchen. Zu spät erkennt Faber in dieser Mutter seine Jugendliebe Hanna und entdeckt, dass Sabeth seine eigene Tochter ist.
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Doch da hat er die Rechnung ohne eine Stewardess gemacht, die ihn im allerletzten Moment noch in die Maschine befördert und mit der der Womanizer sogleich anbandelt: Walter Faber, der Frauenschwarm. Der in Herbert später, als die Propellermaschine irgendwo nahe der mexikanischen Grenze in einem Wüstengebiet notlanden muss, nicht nur einen erwünschten Schachpartner findet, sondern auch den Bruder seines Freundes Joachim, der nun als Tabakfarmer irgendwo im Indiogebiet in Guatemala arbeitet.
„Unglaublich. Die Welt ist wirklich klein“: Herbert ist begeistert, als Faber im letzten Moment doch noch bereit ist, ihn von Mexiko aus mit dem Jeep zu Joachim zu begleiten. Als sie nach einer abenteuerlichen Tortur ankommen, finden sie den Farmer erhängt in seiner Hütte vor. Während Herbert bereit ist, das Werk des Bruders vor Ort zu vollenden, setzt Faber seine berufliche Reise nach Südamerika fort.
Zurück in New York harrt schon Ivy seiner, die sich wie eine Ausgehungerte auf ihn wirft. Ein Zufall kommt Faber zugute, um sich von der verheirateten Frau, derer er schon lange überdrüssig ist, zumindest für geraume Zeit zu trennen: Statt in zwei Wochen zu einer Tagung nach Paris zu fliegen, bucht er eine Schiffspassage und steht anderntags bereits auf dem Deck eines luxuriösen Ozeanriesen. Wo er die Bekanntschaft eines vielleicht zwanzigjährigen Mädchens macht, Elisabeth Piper, die er bald liebevoll Sabeth nennen wird. Denn deren gleichaltriger Begleiter Kurt hat gegen seine Persönlichkeit nicht den Hauch einer Chance. Am letzten Abend vor Paris macht Faber ihr einen Hochzeitsantrag...
Max Frischs „Ein Bericht“ genannter Roman „Homo Faber“ von 1957 vereint die Fiktion eines Romans mit der Authentizität eines Dokuments. Darin schreibt der Ingenieur Walter Faber auf dem Flug nach Caracas und kurz vor seiner Magenoperation in einem Athener Krankenhaus, von der er sich keinen Erfolg verspricht, die wichtigsten Stationen seines Lebens auf – in Form eines tagebuchartigen Berichts. Faber, in den 1930er Jahren Assistent an der Zürcher Technischen Hochschule, liebt die Kunststudentin Hanna Landsberg, eine Halbjüdin aus München. Als sie ein Kind von ihm erwartet, beschließen sie zu heiraten, obwohl Faber gleichzeitig ein attraktives berufliches Angebot in Bagdad angenommen hat.
Weil Faber von „ihrem“ Kind gesprochen hat und nicht von „unserem“, einem gemeinsamen also, verweigert Hanna, die nicht um Almosen bitten will, quasi vor dem Standesamt das Ja-Wort und geht scheinbar auf seinen Vorschlag ein, mit Hilfe eines Freundes von Faber, des jungen Arztes Joachim, das Kind abzutreiben. Zumal die politische Situation 1936 in Hitler-Deutschland für sie so bedrohlich geworden ist, dass an eine Rückkehr zumal mit Kind nicht zu denken ist.
Zwanzig Jahre später lernt der inzwischen 50-jährige Unesco-Ingenieur Faber auf einer Schiffsreise von New York nach Paris ein Mädchen kennen, die den ihm völlig unbekannten Nachnamen Piper trägt und die er bald liebevoll Sabeth nennen wird. Auch weil sie ihn mit ihrem „Hanna-Mädchen-Gesicht“ an seine frühere Geliebte erinnert, von der er nicht weiß, dass sie noch lebt, eine Tochter hat und in Athen als Archäologin arbeitet. Faber begleitet die 20-jährige Studentin von Paris aus im Auto eines Kollegen über Italien bis nach Griechenland, in der Annahme, Sabeth sei die Tochter des gemeinsamen Freundes Joachim, den Hanna später geheiratet hat, wie er von Sabeth erfahren hat. Erst in Athen und nach einem schweren Unfall Sabeths begreift Faber, dass er mit seiner eigenen Tochter geschlafen hat...
Für seine knapp zweistündige Leinwand-Adaption muss Volker Schlöndorff die 200-seitige Romanvorlage verdichten. Er behält das Handlungsgerüst in groben Zügen bei, verkehrt aber die Titelfigur in ihr Gegenteil. Walter Faber ist bei Max Frisch ein eiskalter, noch dazu mit einer permanenten Magenkrankheit geschlagener Naturwissenschaftler, ein durch und durch rationaler, diesseitsorientierter Mensch, der nicht nur die Konstruktion einer Brücke, sondern das ganze menschliche Leben mit seinen Zufällen und Unwägbarkeiten der gleichen mathematisch fundierten Logik unterzieht.
Und dessen Tragik nicht darin besteht, weder mit Gott noch den Schönheiten der Kunst etwas anfangen zu können, sondern ganz grundsätzlich dem Leben mit Unverständnis gegenüberzustehen. Max Frischs Homo Faber hat zu anderen Exemplaren des Homo Sapiens überhaupt gar kein Verhältnis, weshalb er am Ende auch gar nicht den eigenen Anteil an der Katastrophe begreift.
Bei Volker Schlöndorff verkörpert Sam Shepard einen auf Frauen jeden Alters äußerst attraktiv wirkenden coolen Typ Mann, der es beruflich zu ’was gebracht hat. Sein Walter Faber ist unabhängig und selbstbewusst, was Frauen magisch anzieht: Ein nun wirklich alles andere als magenkranker Liebhaber alles Weiblichen, der gleich zur Sache kommt - mit der Stewardess hinter dem Kabinenvorhang, mit Ivy unter der Dusche, mit Sabeth an der Reeling nach seinem Heiratsantrag sowie in der ersten Nacht im Avignoner Hotel. Von gleich drei Kameraleuten ins rechte Licht gerückt zur fürchterlich kitschigen Musiksauce Stanley Myers.
Was der Leser bei Max Frisch zwischen den Zeilen suchen muss und häufig nicht findet, wird dem Zuschauer auf dem Silbertablett serviert, in möglichst opulentem Arrangement versteht sich, von der Begräbniszeremonie auf Joachims Tabakplantage über die Road-Movie-Episoden in Frankreich, Italien und Griechenland bis hin zum Finale in Athen, für das Schlöndorff völlig überflüssige, ja irreführende Szenen im Klinikgarten mit Faber, Sabeth und Hanna erfindet.
Pitt Herrmann