Die Frau im Film [1919]

37_Die-Frau-im-Film_Titel_240
Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Der anonyme Herausgeber dieses Buches hat den damals "bekanntesten Filmschauspielerinnen" fünf Fragen gestellt: "1. Wie kam ich zum Film? 2. Wie setzte ich mich durch? 3. Was spiele ich am liebsten? 4. Was empfinde ich angesichts meines eignen Spiels? 5. Lässt sich das Filmdrama auf ein literarisches Niveau bringen?" (S. 5) Ihre Einsendungen wurden nicht redigiert und so veröffentlicht, wie sie beim Herausgeber eingingen. Die Art der Fragen erinnert an Beiträge in der populären Filmliteratur sowie an Texte, wie sie gerne von den Pressestellen der Filmfirmen und Verleihern verbreitet wurden. Daher wird man wohl nicht jedes Detail auf die Goldwaage legen dürfen.

Es antworteten Hansi Burg, Editha Camphausen, Esther Carena, Rita Clermont, Betty Darmand, Hansi Dege, Grete Diercks, Magda Elgen, Lilly Flohr, Hilde van Geldern, Käte Haack, Leontine Kühnberg, Lu L'Arronge, Lya Ley, Magda Madeleine, Lya Mara, Hella Moja, Erna Morena, Pola Negri, Lotte Neumann, Senta Söneland, Sibyl Smolowa, Eva Speyer, Lu Synd, Wanda Treumann, Hedda Vernon, Hanni Weisse, Dorrit Weixler, Grete Weixler, Hilde Wörner und Maria Zelenka. Auffallend abwesend sind Stars wie etwa Fern Andra, Asta Nielsen und Henny Porten.

Fast alle Filmschauspielerinnen wurden am Theater "entdeckt". So wurde die am Theater am Nollendorfplatz spielende Lya Ley bei einer Vorstellung von dem Darsteller und Regisseur Paul Heidemann angeblich mit den Worten angesprochen: "Mieze, bist ein hübsches Mädchen! Du musst filmen!" (S. 18) Pola Negri beschritt einen anderen Weg: Noch während sie am Hoftheater in Warschau spielte, verfasste sie ein eigenes Drama, in dem sie dann auch ihr Debut als Filmschauspielerin gab. Maria Zelenka hatte am Hoftheater in Mannheim zwar eine gute Rolle, aber eine geringe Gage und suchte sich finanziell zu verbessern. Sie antwortete daher auf eine Anzeige, in der ein "tüchtiger Regisseur" eine "junge hübsche Darstellerin" suchte, um sie zur "erstklassischen Filmschauspielerin" auszubilden. Zum Glück handelte es sich nicht um eine der zahlreichen unseriösen Angebote; sie wurde angenommen und von der May-Film-Gesellschaft verpflichtet. (S. 44) Auch Senta Söneland macht auf die geldlichen Vorteile des Filmens aufmerksam: "Der Kriegsbeginn schien ein Brachliegen des ganzen Thetaerlebens mit sich zu bringen. Kontrakte wurden gelöst; Gagen sanken auf ein Minimum. Fast jeder Bühnenkünstler ergriff – schon aus pekuniären Gründen – gern die sich ihm nun bietende Gelegenheit zum Filmen." (S. 23) Aktuell verdiene sie aber beim Kabarett in der gleichen Arbeitszeit mehr als jede berühmte Filmdiva.

Wanda Treumann möchte am liebsten in Lustspielen auftreten, aber Dramen und Schauspiele "gelten dem Theaterbesitzer mehr". (S. 8) Die Lieblingsrollen von Pola Negri sind "Typen aus dem Volke, besonders solche, die einen starken tragischen Charakter haben." (S. 10) Lotte Neumann möchte aus ihrem Rollenklischee ausbrechen und auch mal einen Frauencharakter spielen, "der meinem braven blonden Scheitel wiederspricht." (S. 14) Auch Senta Söneland fühlt sich auf "Typen" in den Lustspielen festgelegt und vermisst wirklich gute Lustspiele. Sybil Smolova bevorzugt "starke dramatische, sehr fantastische Frauen- und Mädchenrollen." (S. 22) Käte Haack spielt am liebsten "einfache kleine Mädeln, ganz jung, lustig, aber auch mit ein bissel Charakter [...], nur nix aggressives oder gar eine 'Lulu' Rolle – da schau ich gar zu blöd aus." (S. 35) Hilde Wörner bevorzugt das Fach der jugendlichen Salondame mit abwechselnd sentimentalem und humoristischem Einschlag." Sie erwähnt, dass es bei den Aufnahmen meistens Musik gebe; das helfe ihr, in Stimmung zu kommen und die Rolle zu entwickeln. (S. 37)

Grete Diercks würde gerne ihre Szenen länger ausspielen; so könnte mancher Film "menschlicher und verständlicher wirken. Aber so heißt die Parole: nur rasch, sonst schläft das Publikum ein." (S. 25) Auch Rita Clermont beklagt die Kürze der Einstellungen, so dass man Mühe habe, "sein ganzes Können zu entfalten, wie auf der Bühne eine ununterbrochene schauspielerische Leistung zu bringen." (S. 32)

Auf die Frage, ob der Film auf ein höheres geistiges oder literarischen Niveau gebracht werden könne, antwortet Erna Morena mit einer vernichtenden Kritik an der Filmindustrie: "Solange Dienstbotengeschmack und Zensur als gottgewollte Abhängigkeiten von der größten Mehrzahl der Filmfabrikanten und Filmkäufer als maßgebend und bestimmend gehalten werden, solange Schriftsteller siebenten und achten Ranges ihr mageres Einkommen durch Herstellung von Filmmanuskripten zu verbessern imstande sind, solange die abgebrauchtesten Sujets gerade für gut oder schlecht genug gehalten werden, verfilmt zu werden, solange der Film noch nicht seinen eigenen Stil gefunden hat, sich seines originellen und ganz selbständigen Wertes bewusst geworden ist, solange müssen alle Versuche, das Filmdrama auf ein höheres Niveau zu bringen, scheitern." (S. 9) Eva Speyer sieht im Gebaren "profitsüchtiger Laien" (S. 13) ein Hindernis für eine Weiterentwicklung des Films. Lilly Flohr verweist auf die deutsche Literatur, die reichlich Themen enthalte, während Lya Mara auf die "farbig-plastische Kinematographie" (S. 22) und die Weiterentwicklung der Technik setzt. Hanni Weisse verlangt von den Drehbuchautoren mehr Realistik: "Natürlichkeit, Wahrscheinlichkeit und Wahrhaftigkeit" seien Voraussetzungen für den Erfolg ihrer Stücke. (S. 26) Käte Haack wünscht sich weniger kitschige Filme, vielmehr "herrliche Dekorationen, schöne Bilder, schöne Gegenden und darin gut aussehende, gut angezogene, ihre Glieder beherrschende Menschen". (S. 36) Hilde van Geldern verweist darauf, dass künstlerische hochstehende Filme beim Publikum kaum ankommen, "denn die Masse, die uns huldigt, sieht sich nur ungern gezwungen, sich dort geistig einzustellen, wo sie einen Appell an ihre Instinkte erwartet." (S. 54)

Einige Bibliotheken datieren das undatierte Buch auf 1920; 1919 erscheint wahrscheinlicher, zumal Grete Weixler (S. 42) Autoren erwähnt, die noch für die Kriegsanleihen schreiben würden, was zumindest auf eine Vorbereitung des Buches während des letzten Kriegsjahres hindeutet.

Nachtrag: Bei der Zuordnung der Texte ist dem Verlag seinerzeit eine Verwechslung unterlaufen. Die biographischen Angaben unter Editha Camphausen (S. 51) gehören tatsächlich zu Magda Elgen (S. 52-53) und umgekehrt. Auch die Beiträge von Sybil Smolowa (S. 20-22) und Lya Mara (S. 22) wurden seinerzeit vertauscht. (Dank an Matthäus Edinger für diesen Hinweis; August 2023)

(Jeanpaul Goergen, August 2022)

Die Frau im Film. Zürich und Berlin-Schöneiche bei Friedrichshagen: Verlag Altheer & Co [1919], 54 Seiten
Traub/Lavies: 877
dnb: https://d-nb.info/573124590