Marie Luise Droop: Gunnar Tolnaes. Aus seinem Leben und Wirken (1919)

Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Die am 15. Januar 1890 in Stettin geborene Marie Luise Droop (geb. Fritsch) etablierte sich im Filmgeschäft ab Mitte der 1910er Jahre als Drehbuchschreiberin. Bereits Ende 1914 war sie Dramaturgin und künstlerische Leiterin unter Ole Olsen, dem Leiter und Gründer der Nordisk-Films in Kopenhagen. "Ich erwarb sehr rasch das Vertrauen der Kopenhagener Direktion, wurde ihre Vertrauensperson für Deutschland, schrieb einige der größten und erfolgreichsten Filme der Nordisk oder bearbeitete sie neu, wurde zur Regie herangezogen, gab eine eigene, selbständige Zeitschrift heraus ('Der Eisbär'), gründete den deutsch-skandinavischen Freundschaftsbund..." (Kipp, S. 13)

Die erste Buchveröffentlichung von Marie Luise Droop war der Filmroman "Die Lieblingsfrau des Maharadscha" (1919), eine Reliterarisierung der beiden Teile des gleichnamigen Nordisk-Films von 1917 und 1919. Hauptdarsteller dieser Abenteuerfilme war der norwegische Schauspieler Gunnar Tolnaes (1879–1940), dessen Werdegang sie in ihrem Buch "Gunnar Tolnaes. Aus seinem Leben und Wirken" nachzeichnet.

Das 62 Seiten schmale Werk erschien im Buch-Film-Verlag GmbH, Berlin S.W. 29, Zossener Straße 55 und kostete 3 Mark. Es ist undatiert, war aber bereits Ende 1919 erhältlich, wie eine Notiz der "Dresdener Nachrichten" vom 2. Dezember 1919 anlässlich eines Auftritts von Tolnaes in den dortigen UT-Lichtspielen belegt. 

Ab Ende 1919 gab der Buch-Film-Verlag auch die illustrierte Halbmonatszeitschrift "Das Glashaus" mit Beiträgen zu Film und Gesellschaft, Mode, Sport, Theater, Brettl und Kunst heraus. Ebenfalls 1919 war die Erzählung "Madame Dubarry" von Hanns Steiner erschienen, die sich an den gleichnamigen Film von Ernst Lubitsch anlehnte. Neben einer Reihe weiterer Filmromane veröffentlichte der Verlag die Essay-Sammlung "Die Stadt im Taumel" und das Sachbuch "Hinter den Filmkulissen" von Franz W. Koebner. Zwei Jahre später ging der Buch-Film-Verlag in Liquidation und wurde am 22. August 1921 aufgelöst.

Das laut Werbung "vornehm ausgestattete und reich illustrierte" Buch enthält zahlreiche Rollen- und Szenenbilder von Tolnaes, fünf davon als Kunstdruck. Der Schauspieler war in Deutschland vor allem durch die Maharadscha-Filme, den utopischen Film "Das Himmelsschiff" (DK 1918, R: Holger-Madsen)  und den antibolschewistischen Streifen "Söhne des Volkes" (DK 1918, R: Holger-Madsen)  – alles Produktionen der Nordisk Films – bekannt geworden. In einem handschriftlichen (faksimilierten) Grußwort bittet Tolnaes seine Freunde in Deutschland, ihn "menschlich zu sehen und menschlich zu begreifen." (S. 2)

Ihr Buch, so Marie Luise Droop, sei aufgrund einer "langjährigen persönlichen Freundschaft" mit Tolnaes entstanden; trotzdem bemühe sie sich um Objektivität und wolle Licht und Schatten des Künstlers vorstellen. Sie skizziert erst seinen Werdegang (S. 4-17) und seine Karriere als Bühnenkünstler (S. 18-28), um ihn dann in seinen Filmrollen (S. 28-44) vorzustellen. Das Buch schließt mit persönlichen Eindrücken der Autorin (S. 47-62).

Die Leser erwarte "keine ernste und tief schürfende Charakterschilderung", sondern vielmehr "ein stilles Plauderstündchen am Kamin." (S. 4) In Tolnaes erkennt Droop typische Eigenschaften des norwegischen Bauern, wie "die stolze Haltung des Kopfes, die gemessene Würde der Bewegung, die Ruhe und den schönen Rhythmus des Schreitens." (S. 4f) Sie verortet ihn im "germanischen Norden" (S. 7) und den nordischen Sagen einer "heroischen Vergangenheit" (S. 6). Früh vom Theater begeistert, habe Tolnaes alles bewundert, "was gut norwegisch" war. (S. 9) 

Tolnaes kam als Autodiktat zum Theater und entwickelte sich in zahlreichen kleineren Rollen ständig weiter. Er wurde in Operetten besetzt, die ihm allerdings nicht lagen. Am National-Theater spielte er ab 1908 als jugendlicher Bonvivant und Charakterliebhaber ernstere Rollen, avancierte zum "Damenliebling". (S. 20) "Seine wundervolle Stimme, seine jugendliche Schlankheit, sein rätselhaftes Auge woben einen romantischen Schimmer um seine Gestalt." (S. 20) Im Frühjahr 1916 verließ er das Nationaltheater und wechselte zum Film; blieb dem Theater aber weiterhin mit Gastspielen verbunden. Er sei in erster Linie Bühnenschauspieler, so Droop, er stelle den Film "als künstlerisches Betätigungsfeld tief unter das Theater." Sie hätte oft mit ihm über seine Karriere gesprochen, vor allem "über den Wert des Tatbildes als Vermittler einer neuen, ganz auf Geste, Blick und Haltung gestellten seelischen Kunst." Tolnaes habe ihr aber fast immer widersprochen. (S. 26)

1913 ist Tolnaes bei der AB Svenska Biografteatern in Stockholm unter Vertrag; die Filme, in denen er auftrat, hätten ihm aber keine Chance geboten, sich künstlerisch auszudrücken und weiterzuentwickeln. Für die Leser, die keine Vorstellung vom Filmbetrieb haben, charakterisiert Droop die Atmosphäre in den Glasateliers, um dann einige filmästhetische Überlegungen einzubringen. Heute zeige man die Darsteller nur noch selten fern, sondern ganz nahe: "Unbarmherzig reißt der Film die Maske vom Gesicht, die ein Symbol der tragischen Muse war. Der Filmschauspieler von 1919 spielt ohne Maske mit dem, was er ist, er spielt mit seiner eigenen Natur, er steigert sich, aber er bleibt doch immer er selbst. Das ist das Wesentliche der ganzen neuen Kunst." (S. 31f)

Erst durch den Wechsel zur Nordisk Films in Kopenhagen im Winter 1915 habe Tolnaes die Chance bekommen, seinen Charakter und sein Können wirklich in den Film einzubringen. Seinen Durchbruch und Weltruhm erzielte er 1917 mit der "Lieblingsfrau des Maharadscha".  Er zeige "jene herrische Zärtlichkeit der Leidenschaft, von der jede Frau träumt oder doch einmal geträumt hat" und spiele mit der "gewinnenden Liebenswürdigkeit des Grandseigneurs, dessen Machtbewusstsein nirgend eine Schranke gesetzt ist." (S. 35) 

Im Folgenden stellt Droop die weiteren Filme von Toelnaes vor, kritisch und pointiert, dabei stets auf seine schauspielerischen Leitungen eingehend. Auf seinen Hinweis, dass er am liebsten dämonische Charaktere spiele, schrieb ihm Marie Luise Droop die Filme "Prometheus in Fesseln" und "Prometheus befreit"  – sie kamen 1921 heraus – auf den Leib. Außer Tolnaes, so die Autorin, spiele aber niemand wirklich hervorragend. Auch kritisiert sie die ärmliche Ausstattung der Filme.

In ihren persönlichen Eindrücken des Schauspielers ergeht sich Marie Luise Droop in den höchsten Lobeshymnen; schwer auszumachen, was echte Bewunderung, Durchdringung seines Charakters oder schwärmerische PR-Rhetorik ist. So lobt sie u.a. die "strenge Ethik seines Denkens und seines Tuns. Rechtlich handeln und vornehm sein, sind die Leitsterne seines Lebens. [...] Der Kantische Pflichtbegriff ist in seiner Seele unverrückbar eingehämmert." (S. 49) Sie berichtet aber auch von einer angeborenen Schwermut, die sich nach dem Tod der geliebten Eltern verstärkt habe: "Mit Schrecken nahm ich wahr, wie eine lebensmüde Resignation immer stärker in ihm Wurzel schlug." (S. 52)

Tolnaes sei stets ein Freund des deutschen Volkes gewesen; neben Goethe interessiere ihn vor allem Friedrich der Große; er durchdenke seine Persönlichkeit immer wieder und werde nicht müde, über ihn zu lesen. Droop referiert auch seine konservativ-traditionellen Ansichten über die Rolle der Frau, die er vor allem darin sieht, "Weib und Mutter" zu sein. "Sie fürchten sich vor den Schmerzen und Gefahren der Geburt oder vor den Mühen, die so ein kleines Geschöpf verursacht. Andere wiederum wollen unabhängig sein und selber Geld verdienen, und die besten Frauen verwandeln sich immer in halbe Knaben und Jünglinge mit männlichen Träumen und männlichen Zielen, und sie zerbrechen, wenn man sie zwingt, sich als Weib zu fühlen." Schuld an dieser Entwicklung seien aber die Männer, die die "Mechanisierung und Entwertung der Frau als Frau" nicht verhindert hätten. Die Frau sei dazu bestimmt, Kinder zu haben und diese zu erziehen. "Im Beruf sollte die Frau sich nicht betätigen, dazu ist sie zu schade." (S. 58) Ausnahmen lasse er nur gelten, wenn die Frau ein großes Talent habe. 

Der von Marie Luise Droop am Schluss des Buchs erwähnte zweite Roman der Tolnaes-Bücherei (nach "Die Lieblingsfrau des Maharadscha", erschienen als Eisbär-Bücher, Nr. 1) mit dem Titel "Der Halbgott" lässt sich bibliografisch aber nicht nachweisen und ist wohl nicht erschienen.

Literatur:
- Gunnar Tolnaes. In: Dresdener Nachrichten, Nr. 333, 2.12.1919 (Ankündigung)
- Künftig erscheinende Bücher. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 268, 5.12.1919 (Anzeige des Buch-Film-Verlags)
- Die Firma Buch-Film-Verlag ... In: Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 202, 30.8.1921, S. 8
- Rudolf W. Kipp: Die Lu-Droop-Story. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft, Nr. 37, September 1978, S. 3-36 (https://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg/seklit/m-kmg/037/index.htm)
- Stephan Michael Schröder: DanLitStummFilm: http://danlitstummfilm.uni-koeln.de/portraits/portrait.php?id=Droop,%20Marie%20Luise%20[geb.%20Fritsch]

Jeanpaul Goergen (Juni 2025)

Marie Luise Droop: Gunnar Tolnaes. Aus seinem Leben und Wirken. Berlin: Buch-Film-Verlag GmbH [1919], 62 Seiten, reich illustriert
Traub/Lavies: 843
dnb: https://d-nb.info/572718209