Wenzel Goldbaum: Filmverlagsrecht an drehreifen Büchern (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Die im Kleinoktav-Format erschienene Broschüre des Rechtsanwalts Wenzel Goldbaum über das Filmverlagsrecht an Drehbüchern beschäftigt sich mit den bis dahin nicht untersuchten Rechtsverhältnissen zwischen dem Filmautor und dem Filmfabrikanten. Der Ausdruck "Drehbuch" kommt bei Goldbaum aber noch nicht vor.

Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist das "kurbelfertige oder drehreife Manuskript", das sich in den letzten Jahren durchgesetzt habe: "Beim kurbelfertigen Buch gibt es nichts mehr zu bearbeiten, und der Filmregisseur hat – anhand eines solchen Buches – qualitativ und quantitativ keine andere Aufgabe als der Regisseur, der auf Grund eines Bühnenwerkes dessen Aufführung inszeniert. Ein derartiges drehreifes Buch, d.h. also ein solches, dessen Angaben ohne weiteres durch Operateur und Regisseur ins Kinematogramm umgesetzt werden können, ist eine spezifische Erscheinung aus dem Bezirk des Films." (S. 6f) Ein solches Buch müsse in Maschinenschrift ausgefertigt und gebunden vorliegen. Allerdings dürften die Anforderungen an die "Drehreife" nicht überzogen sein, denn beim Filmen würden sich stets noch Änderungen ergeben. "Es kommt darauf an, dass der Fabrikant, der das Manuskript kennt, es als kurbelfertig angenommen hat. Kurbelfertig bezieht sich nicht auf den Inhalt, sondern auf die Form der Vorlage." (S. 12)

Goldbaum zufolge sei der Produzent verpflichtet, ein angenommenes Buch "in der zweckentsprechenden und üblichen Weise" (S. 14) zu verfilmen und durch Anfertigung von Kopien vom Negativ auch zu verbreiten. Der Autor habe aber keinen Einfluss darauf, welche schauspielerische Kräfte engagiert werden und mit welchem Aufwand das Werk umgesetzt wird. Der Produzent dürfe am Werk selbst, am Titel und den Bezeichnungen des Urhebers keine "Zusätze, Kürzungen oder sonstige Änderungen" vornehmen. Die Praxis sehe allerdings anders aus, sie sei als unwürdig zu bezeichnen: "Nirgends, auf keinem anderen Gebiete der Literatur lassen sich die Schriftsteller derartiges gefallen wie beim Film." (S. 15) Allerdings könne die Inszenierung des Werks Änderungen an diesem notwendig machen und der Autor habe dann kein Recht, sich dagegen zu wehren. "Andererseits kann keine Rede davon sein, dass der Filmfabrikant berechtigt sei, Teile einzufügen, z.B. weil eine Schauspielerin noch eine Tanz- oder Rührszene wünscht." (S. 16) Auch am Titel dürfe er keine Änderungen vornehmen, denn auch hier greife das Urheberrecht. Aus dem vom Autor vorgesehenen Filmtitel "Aranka und Auraka. Drama in drei Akten" dürfte nicht ein "sensationelles, aufregendes, dramatisches Filmwerk in drei Abschnitten" gemacht werden. (S. 32) Das gelte auch für die Bezeichnung des Urhebers, die meistens verfälscht werde – Zustände, die Goldbaum als ungeheuerlich bezeichnet.

Interessant ist Goldbaums Hinweis, dass es offenbar auch Verträge gab, in denen eine "Metervergütung" (S. 37) vereinbart wurde; diese werde nach Herstellung der Musterkopie fällig. Der Autor habe einen Anspruch darauf, bei der Ermittlung der Meterlänge dabei zu sein. Außerdem gäbe es Bestrebungen, den Autor an den "Filmtheatertantiemen" (S. 37), also an den Einnahmen der Kinos, zu beteiligen.  Goldbaum verweist darauf, dass Filmautoren auf genossenschaftlicher Basis die Geschäftsstelle des Verbandes deutscher Filmautoren gegründet hätten, die den Vertrieb von Filmmanuskripten gewerbsmäßig übernehme.

Der Verfasser habe das Recht, bis zum Ende der Dreharbeiten – unter Berücksichtigung der Interessen des Produzenten – Änderungen am Drehbuch vorzunehmen. Abschließend diskutiert Goldbaum noch Fragen, die sich aus der Beendigung des Vertrags zwischen Autor und Produzent ergeben. Verträge über unzüchtige Filme seien unwirksam.

Die undatierte Broschüre erschien im Verlag der Geschäftsstelle des Verbandes Deutscher Filmautoren GmbH in Berlin und ist dem Drehbuchautor Hans Brennert, dem Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Filmautoren, gewidmet. Goldbaum gehörte neben Brennert und anderen zu den Initiatoren des im Januar 1919 gegründeten Verbands und war auch dessen Geschäftsführer. Der Text war Mitte 1919 bereits als Vorabdruck in "Der Kinematograph" erschienen. Die Deutsche Nationalbibliothek datiert das Werk auf ca. 1921; die Filmfachpresse meldet das Erscheinen aber bereits 1919 (vgl. LichtBildBühne, Nr. 33, 16.8.1919; Der Kinematograph, Nr. 660, 27.8.1919). Eine Schweizer Filmzeitschrift urteilte: "Das Büchlein ist knapp und gut, für Fabrikanten wie Autoren gleich wertvoll." (Kinema, Nr. 32, 9.8.1919).

Der jüdische Rechtsanwalt Wenzel Goldbaum (1881, Łódź – 1960, Lima, Peru) war auf Urheberrecht spezialisiert. 1933 floh er vor den Nationalsozialisten über Paris nach Lateinamerika.

(Jeanpaul Goergen, August 2022)

Wenzel Goldbaum: Filmverlagsrecht an drehreifen Büchern. Berlin: Verband Deutscher Filmautoren [1919], 55 Seiten
Nicht bei Traub/Lavies
dnb: https://d-nb.info/573506477