Das Filmwerk "Anders als die Andern" (§ 175) (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Es handelt sich um einen Sonderdruck aus dem "Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen" (Nr. 1 und 2, 1919) zu dem Spielfilm "Anders als die Andern (§ 175)", der am 28. Mai 1919 in Berlin uraufgeführt wurde. Unter der Regie von Richard Oswald spielte Conrad Veidt einen Geiger, der wegen seiner Homosexualität von einem Ganoven erpresst wird. Nachdem er den Erpresser angezeigt hat, bringt dieser ihn aus Rache wegen Verstoß gegen den § 175 StGB, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte, vor Gericht. Verurteilt und geächtet, begeht der Geiger Selbstmord. Die dramatische Spielhandlung sollte Verständnis für den schwulen Hauptdarsteller und seine Situation wecken, in die er zu Unrecht geraten ist.

Das "sozialhygienische Filmwerk" entstand unter wesentlicher Mitarbeit des Sexualforschers Dr. Magnus Hirschfeld, der vor allem über die "sexuellen Zwischenstufen" forschte und selbst mit einem wissenschaftlichen Vortrag im Film auftrat. Die Broschüre dokumentiert die bei der Erstaufführung gehaltene Ansprache von Magnus Hirschfeld, in der er u.a. ausführte: "Wer dieses Unrecht, begangen an Tausenden sittlich und geistig wertvoller Menschen, erkannt und jahrzehntelang miterlebt hat, muss es mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln und allen Kräften bekämpfen. Das ist sittliche Pflicht." (S. 2)

Es folgt eine umfangreiche Inhaltsangabe der Spielhandlung mit Auszügen aus Hirschfelds im Film gehaltenen Vortrag, in dem er die Verfolgung der Homosexuellen mit dem traurigen Kapitel der Ketzer- und Hexenverfolgungen vergleicht. In Deutschland bestehe "trotz wissenschaftlicher Forschungsarbeit von nunmehr 50 Jahren" die "gesetzliche Ächtung" der Homosexualität weiter. (S. 10) Der Film endete mit einer Allegorie: "Eine Hand erscheint und löscht in dem aufgeschlagenen Strafgesetzbuch der Deutschen Republik den unseligen § 175, an dem so viel Blut und Tränen kleben, für alle Zeiten aus." (S. 12)

"Anders als die Andern" rief seinerzeit starke Proteste hervor, sei es in Form von Lärmszenen während der Vorführung oder als Kundgebung vor den Kinos. Dabei habe es sich um "Sittlichkeitsfanatiker" gehandelt, Tumulte seien aber auch von "alldeutscher und antisemitischer Seite" angestiftet worden. (S. 17) Einige Städte wie Wien, München und Stuttgart hätten den Film gar verboten.

Der Großteil der Broschüre besteht aus Pressestimmen, Leserbriefen und ausgewählten Zuschriften. Mit "Anders als die Andern", so das Fazit der Zusammenstellung, sei ein "gewaltiges Stück Aufklärungsarbeit" (S. 47) geleistet worden.

(Jeanpaul Goergen, September 2022)

Das Filmwerk "Anders als die Andern" (§ 175). Eine Zusammenstellung. Groitzsch (Bez. Leipzig): G. Reichardt 1919, 48 Seiten