Erwin Wulff: Wie werde ich Kinoschauspielerin, Kinoschauspieler? (1919)

32_Wulff_Wie-werde-ich-Kinoschauspielerin_1919_Titel_240
Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Erwin Wulff ist ein Pseudonym des auf populäre Wissensgebiete spezialisierten Autors Erwin Le Mang (*1875), der Ratgeber wie etwa "Das große Lehrbuch des Gedankenlesens" (1921) oder "Die Kunst zu plaudern und gewandt zu unterhalten" (1926) verfasste. Er war also nicht, wie die meisten Autoren von Filmbüchern jener Jahre, vom Fach, sondern hatte sich in die Materie eingelesen. In Kleinanzeigen in der illustrierten Presse wurde sein Buch "Wie werde ich Kinoschauspielerin, Kinoschauspieler?" reißerisch als "die ausführlichste und gediegenste Anleitung, an das Kino zu kommen, dort mit Erfolg aufzutreten und schließlich Gold und Ruhm zu ernten" beworben. Die Filmfachpresse fragte besorgt, ob es wirklich kein Mittel gebe, "gegen einen Bauernfang dieser Plumpheit einzuschreiten?" (Der Film, Nr. 1, 1919, S. 40)

Obschon das Buch also nicht, wie angeführt, "von berufener Feder" (S. 5) geschrieben wurde, hat sich der Autor dennoch sachkundig gemacht und gibt sein Wissen im Plaudertone und mit leichter Feder weiter. Solche Lehr- und Handbücher seien für all jene unentbehrlich, schreibt er, die es zwar zu dem Beruf des Kinodarstellers hinzieht, "aber in völliger Ratlosigkeit schweben, was sie auch nur an nächstliegenden Schritten zu tun haben, um ihre Entschlüsse verwirklicht, ihre Hoffnungen erfüllt zu sehen." (S. 4) Allerdings schränkt er gleich in der Einleitung ein, dass sein Buch "viel, sehr viel bieten" wird, "wenn nur sonst die notwendigen Voraussetzungen für den Kinoschauspielerberuf erfüllt sind." (S. 6)

An mehreren Stellen baut er zudem Verweise ein, die all jene naiv von einer Kinokarriere Träumenden auf den Boden der Realität zurückholen, etwa wenn er den Werdegang einiger Filmstars skizziert und als Fazit anführt, dass sie doch alle "irgendwie" von der Kunst herkommen, also bereits Bühnenerfahrung mitbrachten. Allerdings sei auch der direkte Weg ins Kino weder ungewöhnlich noch unmöglich; man müsse aber "seiner ganzen inneren Veranlagung nach 'Schauspieler' sein"; auf Theatererfahrungen könne man verzichten, "nicht aber auf das eine: das Talent!" (S. 29)

Auch im Schlusswort widerspricht Wulff der marktschreierischen Werbung: "Ein größeres Kapital von Mühe, Fleiß, Kunst, Glück, Schönheit, Verstand" (S. 96) sei notwendig, um als Kinodarsteller erfolgreich zu sein. Der Beruf sei "im Allgemeinen eine schwere Kunst und ein hartes Brot." (S. 97) Feste und ständige Engagements seien die Ausnahme: "Der Entschluss, zum Kino zu gehen, ist keine Kleinigkeit." (S. 100)

Im ersten Kapitel untersucht Wulff die Unterschiede zwischen Sprech- und Lichtspielbühne, im zweiten stellt er drei Gruppen vor, die das Kinopublikum ausmachten. Da wären zum einen die meist aus besseren bürgerlichen Kreisen stammende "Gruppe der Widerstrebenden, Kinofeindlichen, den Kinobetrieb grundsätzlich Ablehnenden", die sich dennoch immer wieder als Zuschauer "ertappen" ließen. (S. 17) Das Hauptkontingent bilde aber das "große, breite Publikum des naiven Genusses". (S. 18) Die kleinste Gruppe sei die der Berufsanwärter, in denen der "Trieb zur Schauspielerei schon von jeher" (S. 20) geschlummert habe. Bei ihnen stehe "der unerschütterliche Wunsch und Wille da, sich dem Reich des Kinos ganz und gar, mit Leib und Seele, mit Haut und Haar zu verschreiben, selber Diener und später Meister dieses Berufes zu werden." (S. 21)

Das dritte Kapitel schildert die Lebenswege einiger Filmstars wie Henny Porten (deren Geburtsort er ins Rheinland verlegt; dabei stammt sie aus Magdeburg), Asta Nielsen, Erna Morena und Hanni Weisse. Sie alle seien bereits vor ihrer Kinokarriere kürzere oder längere Zeit beim Theater gewesen; allerdings – so macht Wulff seinen Lesern Mut – sei dies heute "nicht mehr der unbedingt notwendige, alleinige und kürzeste Weg zum Kinoschauspielertum" (S. 28)

Die folgenden sechs Kapitel beschäftigen sich dann mit der Ausbildung, wobei Wulff vielfach auf Literatur verweist, die über die Rudolph'sche Verlagsbuchhandlung zu beziehen sei; der gleiche Verlag, in dem auch sein Büchlein erschienen ist. Unter anderen macht er auf diese Art direkte Werbung für so fragwürdige Titel wie "Wie werde ich energisch?" und "Wie werde ich größer? Wie erlange und erhalte ich Gesundheit und Schönheit?"

Wulffs Ratschläge reichen vom Selbststudium vor dem Spiegel, dem Nachspielen bestimmter Szenen und einem fleißigen und kritischen Theaterbesuch zur Talent-Vorprobe bei einem Fachmann, schließlich zum ein- oder zweijährigen Besuch einer Schauspielschule. Zur Körperbildung empfiehlt er außerdem Sport und Tanz. Im Kapitel "Über das Engagement" weist Wulff die angehenden Kinodarsteller darauf hin, dass sie sich "allmählich und weitherzig" die für die Rollen notwendige Garderobe selbst zulegen müssen. Rollen bekämen sie entweder über eine Agentur oder über Protektion, darunter auch einige "sehr zweifehafter Art". An diesen "Berufssitten" könne der Berufsanfänger nicht ändern. Wulffs Rat ist allerdings nicht ganz von diesen unsittlichen Angeboten entfernt: "Sehen Sie zu, eine an maßgebender Stelle einflussreiche Persönlichkeit für sich zu interessieren und zu veranlassen, den Einfluss dahin zu verwenden, dass Sie – möglichst gut – unterkommen." (S. 95)

Die Titelseite zeigt eine Szene mit der Schauspielerin Aud Egede Nissen, deren Filmproduktion Egede Nissen GmbH auch mit einem Inserat im Band vertreten ist. Neben zwei Seiten Buchempfehlungen zur schauspielerischen Fortbildung enthält das Buch noch zehn Seiten Verlagsanzeigen der Rudolph'schen Verlagsbuchhandlung , die sich als Verlegerin preiswerter Ratgeber für den Massenbedarf sowie von Kriminalromanen vorstellt.

(Jeanpaul Goergen, August 2022)

Erwin Wulff: Wie werde ich Kinoschauspielerin, Kinoschauspieler? Ein Lehr- und Handbuch (Nach einer Skizze von H. Reichenberger). Dresden: Rudolph’sche Verlagsbuchhandlung 1919, 100 Seiten
Traub/Lavies: 734
dnb: http://d-nb.info/574856749