Willi Stuhlfeld: Entwurf zur Sozialisierung der bayerischen Theater (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Deckblatt

Der Schriftsteller Willy Stuhlfeld (*1879) war von 1914 bis 1920 Direktor des Stadttheaters Würzburg. In dieser Eigenschaft veröffentlichte er 1919 eine Kalkulation zur Sozialisierung der bayerischen Theater, allerdings ohne die (finanziell gesicherten) Münchener Theater, worauf er im Titelzusatz seiner Broschüre ausdrücklich hinweist.

In dem auf März 1919 datierten Vorwort begründet er seine Überlegungen zur Sozialisierung der Theater mit der Forderung nach einer ganzjährigen Spielzeit und damit verbunden einer dauerhaften Beschäftigung der Schauspieler. Im alten Staat habe ihr Engagement an den kleineren Theatern meist zwischen Palmsonntag und dem Herbst geendet. Im neuen Staat werde der Schauspieler "sein Recht auf Arbeit nicht verkümmern lassen." (S. 2)

Unter "Sozialisierung" versteht Stuhlfeld die Übernahme der Theater in die Verantwortung der Städte, eine "Verstadtlichung". (S. 3) Um eine Kommunalisierung der Theater finanziell abzusichern, schlägt er vor, "die als Goldgruben charakterisierten Lichtspieltheater Bayerns" zu verstaatlichen. So behauptet er, der Reingewinn der bayerischen Kinos übersteige "um ein erhebliches" (S. 3) die den Theatern gewährten kommunalen Zuschüsse. Auf den vorhersehbaren Protest der Kinobetreiber führt er die Argumente der Kinoreformer ins Feld: "Auf der einen Seite die notleidende Kunst, auf der anderen Seite eine sich mästende großkapitalistische Afterkunst. Auf der einen Seite ein Heer von um ihre Existenz ringenden Künstlern, Arbeitern und Handwerken – auf der anderen Seite ein paar Kapitalisten und ein Unternehmertrust, die in einem Volksstaat als unzeitgemäß, aufreizend wirken." (S. 3f) Stuhlfeld schätzt die Gewinne der Kinos so hoch ein, dass damit nicht nur die Bühnenkunst, sondern auch die notleidenden freien Künste profitieren würden.

Sein Vorschlag zur "allgemeinen Kinoverstaatlichung" erscheint Stuhlfeld aber selbst vorerst undurchführbar und so schlägt er vor, "dass jede Stadt zur Ergänzung ihres Theaterbetriebes (in vielen Fällen im Anschluss) ein eigenes Kino gründe", um als Geldquelle das Theater zu finanzieren. Erst an zweiter Stelle denkt er auch an ein Reformkino: "Selbstverständlich hat es die Stadt in der Hand, ihrer Kulturmission zu dienen und das Kino lediglich erzieherisch nur Kulturzwecken als wahrhaft volkstümliches Unternehmen nutzbar zu machen." (S. 4) So könnten auch die "häufig mit Recht verlästerten Kinotheater" zu einer "Stätte für Volkskunst" für "Bildung - Erziehung - Erholung" werden. (S. 7)

(Jeanpaul Goergen, August 2022)

Willy Stuhlfeld: Entwurf zur Sozialisierung der bayerischen Theater (Die Münchner Theater sind in diesem Entwurf nicht mit einbezogen). Würzburg: Fränkische Gesellschaftsdruckerei [1919], 32 Seiten
Traub/Lavies: 1943
dnb: http://d-nb.info/576590584