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Berlin, April 1945. Es sind die letzten Tage des Krieges. Im Keller eines halbzerstörten Wohnhauses kauern die Menschen und warten. Sie haben die Bombennächte überstanden und auch den Artilleriebeschuss. Die meisten von ihnen sind Frauen, und sie ahnen, was sie erwartet. Der Einmarsch der Roten Armee in Berlin steht unmittelbar bevor.
In diesem Wohnhaus, wie auch anderswo in Berlin, werden die Frauen Opfer von Vergewaltigungen. Eine von ihnen ist Anonyma, einst Journalistin und Fotografin. Doch sie taugt nicht zum Opfer. Mit Mut und dem unbedingten Willen, ihre Würde zu verteidigen, fasst sie einen Entschluss. Sie wird sich einen "Wolf" suchen, einen russischen Offizier, der sie vor den anderen schützt. Als Gegenleistung wird sie mit ihm schlafen – freiwillig. Und es geschieht, worauf sie am wenigsten gefasst war. Der höfliche, melancholische Offizier Andrej weckt ihr Interesse, ja, es entsteht eine Beziehung, die sich wie Liebe anfühlt. Und doch schwindet nie die Barriere, die beide nicht vergessen lässt, dass sie feindlichen Lagern angehören.
Der Film von Regisseur Max Färberböck und Produzent Günter Rohrbach stützt sich auf die Tagebuchaufzeichnungen einer bis zu ihrem Tod anonym gebliebenen Autorin, die als einzige Frau über die bis heute tabuisierten Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Soldaten der Roten Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs berichtet hat. Das Buch ist ein einzigartiges historisches Dokument, das weltweit Aufsehen erregte und nach seiner deutschen Neuauflage im Jahre 2003 alle Bestsellerlisten besetzt hat.
Quelle: 59. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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In einem Keller hat sich ein illustrer Kreis um eine junge, mutige Frau (vielleicht ihre eindrucksvollste Leinwand-Rolle bisher: Nina Hoss) geschart, die einst als Journalistin und Fotografin viele Jahre im Ausland gearbeitet hat, bevor die knapp Dreißigjährige bewusst nach Deutschland zurückkehrte, um den Untergang des „Tausendjährigen Reichs“ hautnah zu erleben – und ihre Eindrücke in einem Tagebuch festzuhalten, auch und vor allem für ihren an der Ostfront verschollenen und später traumatisiert heimgekehrten Lebensgefährten Gerd.
An ihrer Seite eine lebenserfahrene und äußerst hilfsbereite Witwe, die ihre große und vor allem noch unzerstörte Wohnung einer illustren Gesellschaft zur Verfügung stellt, zu der die lebenslustigen Schwestern Bärbel und Greta Maltaus ebenso gehören wie eine Buchhändlerin (Katharina Blaschke), die sitzengelassene Gattin eines Likörfabrikanten (Maria Hartmann), das lesbische Liebespaar Steffi und Lisbeth sowie eine resolute Achtzigjährige.
Anonyma, so nennt sich die unerkannt bleiben wollende Tagebuchschreiberin selbst, bleibt wie die meisten Frauen jeglichen Alters von den Vergewaltigungen nicht verschont und fasst den Entschluss, sich selbst einen russischen Offizier als Beschützer zu suchen. Nach manchen schmerzvollen Erfahrungen hat ihre Suche bei Andrej Erfolg, einem höflichen und geradezu verständnisvollen Offizier, der allen Grund hätte, die Deutschen zu hassen, wurde er doch Zeuge, wie seine Gattin von der Wehrmacht getötet wurde.
Zusammen mit seinem wortkargen, aber tatkräftigen mongolischen Adjutanten gelingt es dem so klugen wie immer wieder auch melancholisch-traurigen Andrej, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen zwischen Besatzern und Deutschen, und das nicht nur, weil er Anonyma und ihre Mitbewohner von den Übergriffen seiner Kameraden bewahrt und sie regelmäßig mit Nahrung, Alkohol und schließlich sogar mit einem Fahrrad versorgt...
In der Zeit vom 20. April bis 22. Juni 1945 hat die Autorin in Berlin Tagebuch geführt. Unter Anleitung Kurt W. Mareks, der Journalist, Autor und Rowohlt-Lektor ist besser bekannt als C.W. Ceram, wurden ihre Aufzeichnungen in die englische Sprache übersetzt und erstmals 1954 in New York und London (Secker & Warburg) veröffentlicht. „A woman in Berlin“ wurde auf Anhieb ein großer Erfolg wie auch anschließend in den Niederlanden sowie in zehn weiteren Ländern. Als das Buch Ende 1959 in deutscher Sprache im Verlag Helmut Kossodo erschien, blieb es dagegen weitgehend unbemerkt.
Constantin-Produzent Günter Rohrbach im Presseheft: „Zu kurz war damals noch der Abstand, zu frisch waren die Wunden. Ohnehin war man in jenen Jahren vor allem damit beschäftigt, die Ereignisse des zweiten Weltkriegs möglichst aus dem kollektiven Gedächtnis zu verdrängen. Es war allerdings nicht nur der Inhalt, der die Leser abschreckte, sondern vor allem der Ton, in dem die Anonyma ihre Erlebnisse verarbeitet hatte. Er ist frei von jeder Larmoyanz, kein Opfer-Pathos, kein Mitleidsappell. Anonyma schildert diese Wochen des Grauens und der Verfolgung selbstbewusst und mit jener schnoddrig sachlichen Kühle, die so typisch ist für die Berlinerin. Sie hat sich nicht unterkriegen lassen, so wenig wie viele der Frauen in ihrer Umgebung, ihr Überlebenswille war groß und stark. Und sie hat sich auch nicht gescheut, sich zu prostituieren, wenn anders das Weiterleben nicht gewonnen werden konnte. Aber genau das, ihre Bereitschaft, das scheinbar Unmögliche zu tun, mit kühner Entschlossenheit die Gesetzlichkeiten der bürgerlichen Moral zu ignorieren und es auch noch trotzig niederzuschreiben, hat die deutschen Zeitgenossen der 50er Jahre empört. Ihr Bild von der deutschen Frau ließ nichts anderes zu als den Opfergang, im Zweifel bis zum Letzten.“
Inzwischen, nach seiner Neuauflage in Hans Magnus Enzensbergers „Anderen Bibliothek“ im Jahr 2003, hat das einzigartige historische Dokument „Eine Frau in Berlin“ auch in Deutschland alle Bestsellerlisten gestürmt. Der hervorragend besetzte Film überzeugt durch die kongeniale Umsetzung der sehr kühlen, von großem Selbstbewusstsein zeugenden und kein Blatt vor den Mund nehmenden Aufzeichnungen der inzwischen leider nicht mehr anonymen, 2001 verstorbenen Autorin Martha Hillers. Färberböck vermeidet jede Schwarz-Weiß-Malerei, jegliche einseitige Schuldzuweisung, blendet in seiner detailreich-realistischen Verfilmung nichts aus, wie auch Anonyma in ihrem Tagebuch nichts verschwiegen hat.
Weder leidvolle Opfer- noch rührselige Liebesgeschichte, sondern ein gerade auch in seiner Schonungslosigkeit erschütterndes Zeitdokument als emotionales Erzählkino: Die in ihrer zeitweise bis zur Unnahbarkeit reichenden Sprödigkeit herausragende Nina Hoss und die russischen Schauspieler, allen voran der Kino- und Theaterstar Evgeny Sidikhin, sind sehr darum bemüht, aus der Rückschau nichts zuzukleistern, was bis auf eine Ausnahme, Andrejs vorzeitigen Abschied aus Berlin („Wie sollen wir leben?“), auch gelungen ist. Mit einem Satz: „Anonyma – Eine Frau in Berlin“ ist so großes wie großartiges Anti-Kriegs-Kino. Auf dem International Film Festival 2009 in Santa Barbara/Kalifornien wurde Max Färberböck für den „Besten internationalen Spielfilm“ ausgezeichnet.
Pitt Herrmann