Frank Testor: Film-Ideen (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Frank Testors Buch "Film-Ideen" hat gleich zwei Untertitel, "Wie man sie schreibt und erfolgreich verwertet!" und "Ein Hilfsbuch für Film-Schriftsteller und die, die es werden wollen". Das Vorwort ist auf "Magdeburg-Berlin, Januar 1919" datiert; der Ratgeber entstand somit noch überwiegend im letzten Kriegsjahr.

Das Buch erschien im Burg-Verlag in Magdeburg und enthält keine Abbildungen. Der Verlag wies sowohl im Text als auch in einer Anzeige auf der Rückseite auf sein kürzlich angegliedertes Lektorat hin, das "gegen mäßige Gebühren Prüfung und evtl. Überarbeitung von Film-Ideen jeder Art" übernehme und Anschriften "anderer anerkannter Lektorate" gegen Rückporto versende. (S. 13) Außerdem bewarb er ein Preisausschreiben für Filmdrehbücher "zur Förderung junger Talente und Hebung des allgemeinen Filmniveaus". (unpag.) Über den Autor Frank Testor ist nichts bekannt.

Das Kino habe sich nicht zuletzt auch durch das Wirken der Filmschriftsteller von einer bekämpften "Vorstadtkunst" ausgehend weiterentwickelt und gelte jetzt als "wahre Volkskunst". (S. 6) Um den ausufernden Dilettantismus auf dem Gebiet der Filmschriftstellerei einzudämmen, verlangt Testor vom Anfänger eine ehrliche Selbstkritik, denn "ohne wirklichen Geist und bedeutende Phantasie, eine gute Allgemeinbildung immer vorausgesetzt" (S. 10) sei kein Erfolg zu erzielen. Um sich wirklich durchzusetzen, müsse der Autor ungewöhnlich fantasiebegabt sein und in "wirkungsvollen, neuartigen Bildern" (S. 34) denken.

Für das Abfassen der Manuskripte empfiehlt Testor eine Schreibmaschine; diese gehöre zum modernen Filmautor "wie das Zelluloid zum Film." (S. 17) Wer sich keine gute Maschine leisten könne, solle ein Schreibbüro in Anspruch nehmen.

Maßgebend für die Beurteilung eines Szenariums sei "seine Eigenart, seine bildliche Wirksamkeit im Film." (S. 20) Dem jungen Autor rät Testor, sich bei der Sujetwahl am aktuellen Filmgeschmack auszurichten. Derjenige Filmschriftsteller, dem keine neue Richtung einfalle, solle wenigstens versuchen, alte Ideen originell und neu auszukleiden. Die Branche sei äußerst dynamisch und offen für Anregungen, "denn der Film treibt vorwärts mit gigantischen Aufwänden. Die Pulse jagen, jeder Nerv spannt sich an bis zum letzten." (S. 23) Allerdings sei der Filmschriftsteller stets ein Vasall des Stars, von dessen Zugkraft der Erfolg eines Films abhänge; Handlung und Sujet müssten stets auf ihn zugeschnitten sein. Daher sei mit einer künstlerischen Weiterentwicklung der filmschriftstellerischen Tätigkeit nicht zu rechnen.

Bei den Filmfirmen eingereichte Manuskripte und Szenarien – der Ausdruck "Drehbuch" kommt noch nicht vor – müssten "drehfertig" und "kurbelreif" (S. 30) sein. Testors Ratschläge sind aber meist sehr allgemein gehalten, wie etwa der Hinweis, dass die einzelnen Szenen nicht zu lang sein dürfen, "ohne jedoch durch ihre Kürze der Spannung Abbruch zu tun." (S. 35)

Es folgen Ausführungen zu den Filmgattungen Drama, Lustspiel, Detektivfilm, zum phantastischen Film, zu Sensationsfilmen und Trickfilmen. Fünfaktige Dramen seien bereits keine Seltenheit mehr, allerdings würden sich drei- bis vieraktige Sujets immer noch am leichtesten verkaufen. Nicht gefragt seien Kriegsdramen, große historische Themen mit aufwändigen Massenszenen und mittelalterliche Kostümfilme. Angesagt sei das "moderne Film-Drama, das in der großen Welt spielt, Pomp und prunkvolle Szenen bringt." (S. 37) Beliebt seien auch Dramen "aus der Theater- und Zirkuswelt, Künstler-, wie auch Erfinder-, neuerdings auch Ärzteschicksale". Kaum Aussicht auf Erfolg hätten Filme, die "in niederen Volksschichten" spielen, denn der Sinn der Mehrheit "steht nicht nach Wirklichkeit." (S. 38) Der Erfolg von "Die Lieblingsfrau des Maharadscha" (DK 1917) habe zuletzt eine Reihe von Filmen mit indischen Motiven initiiert. Ein weiteres Arbeitsfeld für den Filmautor seien mehrteilige Filme, "also Dramen, deren Handlung sich in drei oder vier in sich selbst abgeschlossenen Einzeldramen von drei bis vier Akten Umfang abwickelt." (S. 39) Der erste deutsche Film dieser Art sei "Homunculus" (1916) gewesen, gefolgt von "Ahasver" (1917).

Vom Lustspiel-Autor fordert Testor eine "logische Aneinanderreihung" humoristischer Szenen und "wirkliche Situationskomik" (S. 41). Besonders hebt er die Schauspielerin Dorrit Weixler und den Regisseur Franz Hofer hervor. Als gelungene Schwänke bezeichnet er "Wo ist Coletti" und "Die blaue Maus" (beide 1913) von Max Mack. Lustspiele hätten meist drei Akte; für das Beiprogramm seien Ein- und Zweiakter gesucht. Da die Verleiher aber für Beiprogrammfilme nur wenig bezahlten, würden die Produzenten hier nur geringe Honorare auswerfen. In Deutschland würde es sich gegenwärtig einbürgern, auf für Dramen gebaute Dekorationen die Handlung eines Lustspiels zu schreiben, um so Kosten zu sparen.

Auf dem Gebiet des populären, aber "knifflichen" (S. 46) Detektiv-Films – zumeist als 4-Akter ausgeführt – sei die Konkurrenz besonders groß. Wie beim Drama sollte auf eine "langwierige Exposition" (S. 47) verzichtet und entschlossen mit der Anfangsszene eingesetzt werden. Besonders aufmerksam seien die engen Zensurvorgaben zu beachten: "Tätliche Verbrechen jeder Art, abstoßende Unglücksfälle, wie auch das Arbeiten mit krassen Unmöglichkeiten, wie versinkende Wände, einstürzende Treppen und dergleichen mehr, sind streng verboten." (S. 47)

Die erfolgreiche Verfilmung von Gustav Meyrinks Roman "Der Golem" (1914) durch Henrik Galeen und Paul Wegener habe verstärkt phantastische Sujets hervorgerufen; sie umfassten zumeist zwischen drei und fünf Akte. Das Schreiben guter phantastischer Filme gehöre aber "zu den schwierigsten Leistungen auf dem Gebiet der Film-Schriftstellerei". Besonderheiten solle man jedoch nicht an den Haaren herbeiziehen; wichtig sei die Handlungslogik und die "Originalität der Idee" (S. 49). Zuletzt hätten Titel wie "Der verkaufte Schlaf", "Die aus dem Jenseits kam" und "Die Frau im Spiegel" (alle 1916) diese Linie aufgegriffen.

Bei den mehraktigen Sensationsfilmen empfiehlt Testor, die Sensationen "im Rahmen des Erträglichen" (S. 50) zu halten. Als Beispiele führt er das von Hans Brennert geschriebene Sensationslustspiel "Die Dame im Glashaus" (1915) und das Sensationsdrama "Dynamit" (1916) aus der Feder von William Kahn an. Die Absatzmöglichkeiten für entsprechende Szenarien seien aber schlecht, da die Sensationsregisseure wie etwa Harry Piel zumeist ihre eigenen Ideen verarbeiteten.

Die Zeit der Autorenfilme, die mit Max Macks Verfilmung von Paul Lindaus Roman "Der Andere" 1913 begonnen habe, sei weitgehend vorbei; nun würden häufiger Werke verstorbener Autoren verfilmt. Hier müsse der Filmschriftsteller die Autorenrechte beachten; bei derartigen Bearbeitungen seien die Honorare aber "nicht allzu bedeutend." (S. 57)

Testor gibt sodann eine Reihe von praktischen Hinweisen zum Aufbau eines Filmmanuskripts. Der wohl wichtigste Hinweis ist der, dass der Film-Autor in Bildern schreiben müsse: "Das rein schriftstellerische Moment tritt zu Gunsten der restlosen Entfaltung der Phantasie zurück." (S. 59). Jede Szene sei als ein fortlaufend zu nummerierendes Bild anzulegen; ein Akt umfasse etwa 20 bis 22 Bilder. Das Szenarium müsse im Telegrammstil abgefasst sein: "Keine direkte Rede! Keine langatmigen Begründungen!" (S. 64) Auszüge aus drei "vorbildlichen" Szenarien des Autors sollen diese Ausführungen illustrieren.

Zuletzt geht Testor auf den "Tendenzfilm" ein, durch den der Filmautor auch "im ethischen Sinne" wirken könne. Diese Filme etwa "zur Bekämpfung der Ehre- und Kinderlosigkeit, des Mädchenhandels und der Geschlechtskrankheiten" (S. 78) wurden seinerzeit aber als "Kulturfilme" beworben. Das belehrende Element dürfe keineswegs dominieren: "Das Publikum will nicht belehrt werden!" Es vertrage höchstens "feindosierte Wahrheiten". (S. 79) Als Meisterwerk dieser Art erwähnt er den von Iwa Raffay geschriebenen und inszenierten Film "Tausend und eine Frau" (1918).

Auch durch die Wahl exotischer Schauplätze, den Einsatz von Gegenlichtaufnahmen, Viragen, symbolische Szenen und Lichteffekte könne eine Handlung belebt und interessant gestaltet werden.

Testor gibt sodann noch kurze Informationen über das Recht des Filmautors, die Filmzensur sowie die Verwertung der Film-Szenarien; schließlich müsse er stets auch ein guter Kaufmann sein. Honorare für Film-Szenarien seien "im allgemeinen weit besser gestellt" (S. 89) als sonstige schriftstellerische Arbeiten; Summen von 1.000 bis 2.000 Mark keine Seltenheit. Anfänger müssten sich mit 70 bis 90 Mark pro Akt begnügen. Zudem weigerten sich die Produzenten, die Namen von noch unbekannten Autoren zu nennen. Eine Übersicht über Filmfachzeitschriften, Filmfirmen und Regisseure beschließt das Buch. "Möge es sein Ziel voll und ganz erreichen und allen denen den Weg zu einer ernsten aufrichten Selbstkritik weisen, welche sich zu Filmdichtern berufen fühlen." (Kinema, Zürich, Nr. 32, 9.8.1919, S. 3)

Jeanpaul Goergen (Januar 2021)

Frank Testor: Film-Ideen. Wie man sie schreibt und erfolgreich verwertet! Ein Hilfsbuch für Film-Schriftsteller und die, die es werden wollen. Magdeburg: Burg-Verlag 1919, 103 Seiten
Traub/Lavies: 708