Friedrich Porges: Fünfzig Meter Kinoweisheit (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Der 1890 geborene österreichische Autor Friedrich Porges arbeitete zwischen 1917 und 1929 auch als Drehbuchautor und Regisseur für Wiener und Berliner Produktionen. Er veröffentlichte Novellen und Romane sowie weitere Bücher zum Thema Film. 1926 gründete er mit "Mein Film" eine der großen österreichischen Filmzeitschriften, die er bis 1938 auch als Chefredakteur leitete. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft flüchtete er 1938 nach England und anschließend in die USA, wo er weiter publizistisch sowie als Drehbuchautor tätig war. Er starb 1978 in Hollywood.

Porges Buch "Fünfzig Meter Kinoweisheit" erschien 1919 in einem preiswerten Kleinformat ohne Abbildungen, freilich ganz selbstbewusst mit einer Porträtzeichnung des Autors sowie Anzeigen für seine letzten Bücher und Filme. In dem auf September 1919 datierten Vorwort beschreibt er seine Texte als "populär in der Form der Wiedergabe, ohne Pathos und Stilkünstelei" (S. 7). Hinweise im Text deuten darauf hin, dass einige Teile des Buchs noch während des Krieges entstanden.

Mit leichter Feder führt Porges seine Leser durch die Welt des Films, wobei er die technische Seite weitgehend außer acht lässt. Beim Versuch, einen breiten Leserkreis anzusprechen, verliert er sich gelegentlich in selbstverliebtes Geplauder. Tiefgründende Analysen sind ebenso wenig zu erwarten wie filmtheoretische Überlegungen, wohl aber eine Vielzahl von pointierten Beobachtungen und kenntnisreichen Details. Porges schreibt für ein österreichisches Publikum, seine Überlegungen treffen aber größtenteils auch auf die deutsche Filmproduktion zu.

Eingangs macht er sich über jene naiven Geister lustig, die glauben, eine geniale Filmidee gefunden zu haben und damit auch reich werden zu können. Er hält ihnen entgegen, dass der Film "nicht aus ein paar einfachen, alltäglichen Szenen" bestehe und auch "kein Rührstück und kein krasses Effektstück" (S. 12) sei. Der moderne Film sei "von künstlerischer Qualität" und erfordere daher "in Ausbau und Ausführung künstlerische Arbeit" (ebd.).

Der Schauspieler müsse stets darauf bedacht sein, "natürlich" (S. 20) zu wirken. Auch wenn in Glasateliers gedreht wird, werden zusätzlich sechs große elektrische Ständerlampen benötigt, die ein "grelles, blassviolettes Licht" (S. 22) abgeben und die derart lärmen, dass der Regisseur kaum sein eigenes Wort verstehe.

Ein vieraktiger Film bestehe aus achtzig bis hundert Einzelszenen. Im Vergleich zum Theaterregisseur kümmere sich der Regisseur sowohl um die Ausstattung im Atelier als auch um die Suche nach den besten Drehorten in freier Natur: "Er muss tausend Einzelheiten der Dekorationskunst beherrschen, er muss Blick für klare, bildhafte Wirkungen haben, er muss den Blick des Künstlers mit dem des Photographen vereint besitzen" (S. 24).

Die Besetzung eines Films beschreibt Porges vor allem als ein logistisches Problem. Auch die Zusammenstellung der Filmkomparsen sei schwierig. Nicht alle besäßen die für eine Szene passende Garderobe, auch müssten sie von Aussehen und Verhalten zum Thema des Films passen. In Gesellschaftsfilmen würden deshalb häufig Damen und Herren der Gesellschaft mit ihrer eigenen Garderobe als Statisten mitwirken.

Die Ausstattung eines durchschnittlichen Films sei nicht unter 50.000 Kronen zu haben. Die gegenwärtige Verteuerung der Filmproduktion dürfe nicht dazu führen, bei den Dekorationen zu sparen, da sonst die österreichischen und ungarischen Filme nicht mehr konkurrenzfähig seien. Filme würden durchschnittlich in zehn bis zwanzig Exemplaren hergestellt, Filmschlager auch mit dreißig Kopien.

Als Filmkünstler bezeichnet Porges jene Schauspieler, die sich endgültig für die Filmschauspielerei entschieden haben: "Sie sind die eigentlichen, speziellen Filmkünstler, sie sind die anzuerkennenden Vertreter der Filmschauspielkunst, denn sie streben nach Vollendung in dieser Kunst allein" (S. 32). Als Beispiele führt er Valdemar Psilander, Gunnar Tolnaes, Alwin Neuß, Bernd Aldor, Henny Porten, Asta Nielsen und Fern Andra an. Diese und viele andere hätten sich "zu einer Spezialklasse von darstellenden Künstlern" (S. 33) entwickelt, sie "gehören nicht mehr der Bühne an, sie spielen nur für den Film, sie üben darstellende Filmkunst aus" (ebd.). Filmkünstler seien daher eine "Künstlerkategorie für sich" (ebd.).

Porges weist sodann darauf hin, dass die Maske des Filmschauspielers – im Gegensatz zum Theaterschauspieler – besonders sorgfältig angefertigt sein sollte, da die Dreharbeiten in größeren zeitlichen Abständen erfolgen. Aus diesem Grund sei sie "im allgemeinen möglichst einfach" (S. 36) gehalten. Er warnt vor übertriebenen Kinogesten, da diese auf der Leinwand das Gegenteil der angestrebten Wirkung bewirkten. Die Filmgeste müsse vielmehr "klein, weich, ausgeglichen" (S. 37) sein. Auch beim Mienenspiel seien Sparsamkeit und Ausgeglichenheit angebracht.

Noch gäbe es keine besondere Ausbildung nur zum Filmschauspieler, so Porges weiter. Dringend rät er vor selbsternannten "Filmschulen" und "Filmlehrern" ab, da diese "ihr obskures Gewerbe oft auch in Moral gefährdender Weise" (S. 39) missbrauchten. Der Weg zum Film führe über die Bühne. Allerdings scheint Porges eine Ausnahme für "besonders schöne und wohlgestaltete Mädchen" zu machen; aber auch sie sollten "darstellerische Fähigkeiten" (S. 40) haben. Die Mitwirkung beim Film stelle für die Schauspieler nur einen Nebenverdienst dar; einzig fest engagierte Filmstars könnten mit einem "Lebenseinkommen" (ebd.) rechnen.

Von den vor einiger Zeit populären Zirkusfilmen seien nur wenige vor allem wegen ihrer herausragenden Attraktionen sehenswert gewesen. In diesen Filmen hätten ausgezeichnete Artisten an Stelle des Hauptdarstellers die gefährlichen Kunststücke ausgeführt. Den Ausdruck "Double" kennt Porges noch nicht und spricht stattdessen vom "Pseudo-Hauptdarsteller" (S. 43).

Eigenartigerweise stünde die Tanzkunst als die "vollendetste Kunst der Bewegung" (S. 44) der Filmkunst nicht besonders nahe. Die graziöseste und geschmeidigste Tänzerin "weiß wohl abgerundete, fein abgetönte Bewegungen zu vollführen", ihr fehle jedoch "die Kunst der Mimik der Gesichtsmienen. Und die große weltberühmte Tänzerin ist nicht immer – was die Gesichtszüge anlangt – vollendete Schönheit. Und der Film verlangt nun einmal vollendete Frauenschönheit, harmonische Gesichtszüge und – Jugend" (ebd.). Was nütze alles tänzerische Können, "wenn das Gesicht der Tänzerin im Film unschön oder alt aussieht" (ebd.). Anderes gelagert seien die beim Publikum beliebten Tanzeinlagen, da hier nur Tanzkunst, aber keine Filmschauspielkunst vonnöten sei.

Im Kapitel über "Mode im Film" macht sich Porges über Filmdiven lustig, die sich die Ausgaben für ihre Toiletten nicht mehr leisten könnten. Er gesteht aber ein, dass Roben derzeit "nur zu fast unerschwinglichen Preisen" (S. 46) zu bekommen seien; auch "die Konfektionäre entschließen sich nur schwer, Toiletten leihweise herzugeben" (ebd.). Man sollte es nicht glauben, so Porges weiter, aber das weibliche Publikum habe im Kino "hauptsächlich das Auge auf die Toiletten der Hauptdarstellerin" (ebd.). Die Garderobe müsse stets dem Schauplatz angepasst werden. Weißes Kleid bei starker Sonne gefährde die Aufnahme, "denn Weiß überstrahlt in grellem Licht alles übrige." (S. 47)

Porges verweist auf Frankreich, wo Filme als "lebendes Modealbum" (ebd.) der Präsentation von Modeschauen dienten. Zwar sei man auch in Österreich bestrebt, "neue, elegante Frauenmode" (ebd.) im Film zu zeigen. Das sei aber erst nach Kriegsende möglich, "wenn die Schneiderpreise geringer sind und nicht nur die Diva, sondern auch die Damen der Komparserie sich neue Robenmodelle wieder werden leisten können." (ebd.)

Ausführlicher beschäftigt sich Porges mit den Filmarten Lustspiel, dem Kostüm- und dem Märchenfilm. Die in der Regel einaktige Filmposse lebe von der Präsenz des komischen Hauptdarstellers, der in grotesken, aber eher anspruchslosen Szenen für Heiterkeit sorge. Der dreiaktige Filmschwank enthalte bereits eine logisch aufgebaute und tragfähige Handlung mit einer gute Pointe. Das Filmlustspiel als die "edle Gattung des heiteren Filmspieles" (S. 49) schließlich sei breiter angelegt und nicht auf Situationskomik aufgebaut, sondern psychologisch begründet. Es solle fein, vornehm und heiter sein. "Die Handlung muss unaufdringlich-heiter durchgeführt werden und soll dabei der lieblich-herzlichen Szenen (keine Kitsch-Sentimentalität!) nicht entbehren." (S. 50). Als Musterbeispiele führt er die Lustspiele von Henny Porten an.

Der Kostümfilm sei derzeit nur selten anzutreffen, da es während des Krieges kaum möglich war, eine entsprechende Ausstattung auf die Beine zu stellen. Daher spielten die meisten Filme derzeit im "europäischen Gegenwartsmilieu" (S. 51).

Der für Kinder und Jugendliche bestimmte Märchenfilm, wie von den Kinoreformern gefordert, könne die Filmindustrie aber kaum herstellen. "Die jungen deutschösterreichischen Filmfabriken sind heute nicht imstande, Experimente zu machen" (S. 53). Wenn ihre Produktion finanziell gefördert werde, so Porges, seien die Filmfabriken auch bereit, Kinder- und Jugendfilme herzustellen. Als Bahnbrecher im Bereich des Märchenfilms bezeichnet er Paul Wegener mit seinen Filmen "Rübezahls Hochzeit" (1916) und "Hans Trutz im Schlaraffenland" (1917).

Die häufig geäußerte Kritik an den Zwischentiteln treffe vor allem kleinere Produktionen; Titel der großen Produktionen seien stets tadellos. Porges konstatiert einen Trend zu etwas lyrischeren Titeln. Reichsdeutschen Firmen empfiehlt er, die Titel ihrer nach Österreich ausgeführten Filme zu "verösterreichern" (S. 56), denn "das Berlinische wird in unseren Vorstadtkinos arg missverstanden und damit oft der ganze Film!" (ebd.)

Im Kapitel über Filmtricks hebt er Paul Wegner "Der Yoghi" (1916) und Stellan Ryes "Der Student von Prag" (1913) hervor und erklärt ausführlich die Herstellung von Doppelgängeraufnahmen.

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit den Filmautoren. Der Film sei auf dem Wege zu einer "literarischen Kunstform" (S. 61) und werde früher oder später auch von Literatur- und Theaterhistorikern "oder vielleicht gar von Spezialfilmhistorikern" (ebd.) gewürdigt werden müssen. Porges beschließt sein Buch mit dem Abdruck seines Filmszenariums "Die Schwiegermutter des Maharadscha", auch um zu beweisen, dass ein Filmbuch "verhältnismäßig nicht viel weniger Arbeitsleistung" (S. 64) erfordere als das Schreiben eines Theaterstücks. Eine Verfilmung dieses Drehbuchs ist allerdings nicht nachweisbar.

(Jeanpaul Goergen, Juni 2019)

Friedrich Porges: Fünfzig Meter Kinoweisheit. Aus der Werkstatt eines Erfahrenen über Filmdichtung, Filmregie, Filmaufnahme, Filmdarstellung. Im Anhang: Ein Filmszenarium. Wien, Leipzig: Verlag Karl Harbauer 1919, 87 Seiten
Traub/Lavies: 270, 679
dnb: http://d-nb.info/575419644