Hans Richter: Fritzkarl und Mieze Meyer (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Der Schriftsteller und Herausgeber Hans Richter (1889-1941) ist nicht mit dem avantgardistischen Filmemacher Hans Richter zu verwechseln. Richter verfasste um 1920 vor allem populäre Filmschriften, die er in seinem eigenen Verlag veröffentlichte. Seine undatierte Filmdetektivgeschichte Fritzkarl und Mieze Meyer kam um 1919 in zwei textidentischen, aber verschieden aufgemachten Ausgaben heraus.

Die lose verknüpften Erzählungen Fritzkarl und Mieze Meyer sind eine milde Parodie auf das in den 1910er Jahren florierende Genre des Detektivfilms. Amüsant und kurzweilig geschrieben, zeichnen sie ein launiges Bild des Berliner Filmmilieus im Gründerrausch, das gewiss mehr als nur ein Quäntchen Wahrheit enthält.

Fritzkarl, gelangweilter Erbe eines großen Vermögens, hat es sich in den Kopf gesetzt, einen Kintopp-Detektiv in die Irre zu führen: "Ein Detektiv ist ein Mensch, der etwas lesen kann, wo gar nichts steht, der durchs Wasser schwimmt, wenn andere Leute über die Brücke gehen, der unwahrscheinlich gut angezogen ist, ungeheuer viel Zigaretten raucht, dauernd Auto fährt und mit all diesen Requisiten die Welt von Verbrechern reinigt." (S. 8) Diesen und anderen Eigenarten von Filmdetektiven erklärt Fritzkarl den Krieg: "Wir werden ihn vor Aufgaben stellen, Aufgaben aus dem täglichen Leben, die er nicht lösen kann. Wir werden ihn ad absurdum führen. Wir werden die Welt vom Meisterdetektiv befreien." (S. 9)

Im ersten Kapitel "Die entlaufene Freundin" inszeniert Fritzkarl die Entführung seiner Freundin Mieze Meyer. Unter ihrem Künstlernamen Ada van Straaten ist sie Mitglied eines Weltstadttheaters und ein zukünftiger Filmstar: "Sie spielte nett angezogene und ziemlich nichtssagende Dienstmädchen im Theater, ebensolche im Film, als sie Fritzkarl kennen lernte, der sich ihrer Garderobe freundschaftlich annahm. Ihr nunmehr tadelloser Anzug ließ sie einige Sprossen auf der Himmelsleiter zum Film und Theater höher steigen, es wäre doch auch schade gewesen, wenn diese Toiletten immer nur in der Garderobe gehangen hätten." (S. 6f) Nach der fingierten Entführung engagiert Fritzkarl einen Meisterdetektiv, um sie wieder aufzufinden. Es folgen zahlreiche Verwicklungen, bei denen sich dieser nicht sonderlich geschickt anstellt. Schließlich zaubert Fritzkarl seine Mieze ausgerechnet in einem Kino wieder hervor. Tröstend nimmt er den gescheiterten Detektiv am Arm und führt ihn hinter den Vorhang und in den Film zurück. Die Vorstellung beginnt, und der Detektiv Lu Flebs "in tadellosen Anzug und durchgeistigten Zügen, verbeugte sich und entdeckte im Film scharfsinnig und folgerichtig jedes Verbrechen." (S. 57)

Im zweiten Teil "Die Diva" gründet der Regisseur Poldi mit dem Geld von Fritzkarl die Orion Film Gesellschaft, um mit Mieze Meyer alias Ada van Straaten "Seelendramen" (S. 64) zu kurbeln. Der erste Film soll "Der Fehltritt der Gräfin Leonore" heißen. In wenigen Tagen und in einem rasenden Tempo stampft Poldi die Filmproduktion mit Sitz im Berliner Filmviertel aus dem Boden – denn "eine Film-Compagnie, die nicht in der Friedrichstraße ist, ist unmöglich." (S. 70) Er diktiert der Presse PR-Mitteilungen, lässt riesige Plakate aufhängen und beantragt Geheimnummern, denn "bekannte Filmmenschen mit Anschluss sind ein Nonsens. [...] Ich werde schon unter der Hand dafür sorgen, dass eure Geheimnummern recht bald bekannt werden." (S. 71) Schließlich ordert er bei dem angesagten Fotografen Alexander Binder, der damals die halbe Filmwelt porträtierte, Porträtaufnahmen für Starpostkarten von Mieze. Sogar der blasierte Fritzkarl wandelt sich zum Produzenten, wird ein "überhasteter und abgetriebener Filmmensch", der schnell lernt, "einen Brief zu diktieren und gleichzeitig ein Telefongespräch abzuhalten, Anweisungen zu geben, Besucher abzufertigen, in allen Teilen des Betriebes unerwartet aufzutauchen und seine Leute zu kontrollieren." (S. 76) Am Premierenabend stürzt der aufgeregte Regisseur "sofort in die Kabine des Vorführers, um ihm genaue Verhaltungsmaßregeln über das Tempo zu geben." (S. 83) In den Aktpausen nimmt er zusammen mit Mieze den Beifall der Zuschauer entgegen.

Im dritten Kapitel "Der Stern" floriert die Orion-Film-Gesellschaft, denn Mieze ist zur beliebtesten Filmschauspielerin aufgestiegen. Die Gesellschaft errichtet in Tempelhof ein neues Atelier. Fritzkarl und sein Regisseur Poldi streifen durch die Kinos, um den Geschmack des Publikums zu studieren. "Der Film soll den Ansprüchen des Publikums im Westen Berlins genügen, er soll gleichzeitig in Pankow, im Rheinland und Ostpreußen gefallen. Der Film ist sehr der Mode unterworfen [...], die Zeiten des Trickfilms und des Grammophons, des sprechenden Bildes, sind hoffentlich für immer vorbei." (S. 91) Trickfilm bezieht sich hier allerdings nicht auf Animationsfilme, sondern auf Sensationsfilme, deren angeblich so riskanten Szenen als Trickaufnahme im Studio realisiert wurden.

Leider geriert sich Mieze immer mehr als Diva, verlangt auch als Autorin mitarbeiten zu dürfen und fährt während der Dreharbeiten aus einer Laune heraus in den Urlaub. Nur mit einer List kann sie wieder nach Berlin gelockt werden, und die nächsten Filme sind gesichert: eine neuartige Detektivfilmserie mit Fritzkarl als Hautdarsteller.

Jeanpaul Goergen (Mai 2020)

Hans Richter: Fritzkarl und Mieze Meyer. Eine Filmdetektivgeschichte. Berlin: Hans Hermann Richter Verlag [1918/19], 109 Seiten (= Filmmenschen. Kino-Bücherei; 1)
dnb: http://d-nb.info/362152993

Hans Richter: Fritzkarl und Mieze Meyer. Eine Filmdetektivgeschichte. Berlin: Hans Hermann Richter Verlag [1918/19], 109 Seiten
Traub/Lavies: 3094
dnb: http://d-nb.info/575816546