Franz von der Groth: Der Filmschriftsteller (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Franz von der Groth ist ein Pseudonym des Schriftstellers Oscar Kaiser (*1885). Zwischen 1917 und 1920 gab er die "Weimarer Schriftsteller-Zeitung" sowie im gleichen Verlag die Ratgeber-Reihe "Hilfsbücher für die Praxis des Schriftstellers" heraus. Bereits im ersten Heft 1917 hatte sich Wilhelm Adler mit der Frage "Wie schreibe ich einen Film? Ein Lehr- und Hilfsbuch für Filmschriftsteller" beschäftigt. 1919 ließ von der Groth dann seine Broschüre "Der Filmschriftsteller" folgen. Neben Textbeiträgen (S. 5-43) enthält sie ein umfangreiches Adressbuch für den angehenden Filmautor (S. 44-73).

Im Vorwort weist von der Groth darauf hin, dass sich sein Buch von anderen Ratgebern dahingehend unterscheide, als dass es keine Filmschriftsteller züchten wolle; es sei "kein Kochbuch für Filmszenarien". Es richte sich vielmehr an Schriftsteller, die für den Film schreiben wollen, "aber leider technisch und kaufmännisch recht unbeholfen sind." (S. 3) 1919 entstanden in Deutschland 470 Spielfilme und der Bedarf an verwertbaren Drehbüchern war entsprechend hoch. Der Band adressiert somit vorrangig erfahrene Autoren, die nun auch für das Kino schreiben wollen, aber noch nicht mit den spezifischen Anforderungen eines Filmszenariums vertraut sind. Der Ausdruck "Drehbuch" kommt aber in der Broschüre noch nicht vor

In "Des Kinos Siegeszug" blickt Karl Alex Raida auf die Zeit zurück, als die Bühnenautoren, Theaterleiter und -schauspieler vergeblich zum Boykott des Kinos aufriefen. Auch als das "ethische Banner gegen Volksverbildung, Jugendverrohung und Ungeschmack" ausgerollt wurde, florierte das Kino weiter. Ebenso wenig konnte der Ruf nach Polizei und Zensur den Siegeszug des Kinos aufhalten. Als dann der erste Bühnenschriftsteller sein Werk für "eine namhafte Summe [...], eine hohe Garantie und glänzende Tantieme" ans Kino verkaufte, war der Damm gebrochen. Raida nennt keine Namen, aber gemeint ist Paul Lindau, der sein Bühnenstück "Der Andere" von 1893 für die Verfilmung an die Deutsche Vitascope GmbH verkauft hatte; Max Mack verfilmte den Stoff und schuf mit "Der Andere" (1912/13) den ersten Autorenfilm. Der Verband deutscher Bühnenschriftsteller beendete den Boykott und handelte mit den Filmproduzenten einen Normalvertrag aus, "worin ein- für allemal eine größere Anzahlung als Garantie und Tantieme (letztere geriet in letzter Zeit allerdings mehr oder weniger in Vergessenheit) gesichert wurde." (S. 6)

Der Beitrag "Kilometerdichter" des Autors Hans Brennert ist eine unveränderte Übernahme aus dem 1916 von Max Mack herausgegebenen Sammelband "Die zappelnde Leinwand".

Der Hauptteil des Buches diskutiert Thema, Idee, dramaturgischen Aufbau und Ausarbeitung eines Filmmanuskripts. Da er nicht gezeichnet ist, dürfte er von Franz von der Groth stammen. Eine gesicherte Theorie der Filmkunst gebe es derzeit noch nicht: "Vorerst ist die Kunst des Films der Geschmack: das Banale, Widerwärtige zu meiden." Vielleicht liege die Kunst des Films "in seiner Naturwahrheit – auch die Bühne wollte in den Freilichttheatern zur Natur zurückkehren – und die vermeintliche Kunst des Filmdramas ist Verirrung." (S. 15) Mit dieser Fragestellung greift von der Groth indirekt die Kritik der Kinoreformer am Spielfilm auf und deren Bevorzugung des dokumentarischen Films als der eigentlichen Bestimmung des Films.

Den Neuling warnt von der Groth, "den Film mit weltbeglückenden Ideen reformieren zu wollen." Sein Erstlingswerk solle sich vielmehr an den technischen Möglichkeiten sowie am Markt ausrichten: "Für den idealistischen Träumer ist in der Kinowelt kein Platz." (S. 16) Er empfiehlt, sich an den verschiedenen Genres wie Drama, Detektivfilm, Lustspiel, Posse und Groteske zu orientieren. Die "früher sehr beliebten Trickfilms" – gemeint sind aber nicht Animationsfilme, sondern mittels Trickaufnahme im Studio hergestellte "Sensationen" – sollte der Anfänger einem erfahrenen Regisseur überlassen. Es lohne sich auch nicht, Märchenfilme zu schreiben: hier sei die Dekoration wichtiger als die Geschichte. "Der Rest des Spielplanes: aktuelle Aufnahmen, Naturaufnahmen usw. gehören dem Kinooperateur, nicht dem Schriftsteller." (S. 17)

Wer allerdings keine Ideen in Hülle und Fülle habe, sei kein Filmschriftsteller und werde auch nie einer. Bei der Bearbeitung von bereits veröffentlichten Werken für den Film müsse das Urheberrecht beachtet werden. Der Autor solle sich zudem über die angesagten Themen informieren. Sein Manuskript solle nur die nackte Handlung wiedergeben und Titel nur dort enthalten, wo unbedingt nötig. Auf Nebenhandlungen sollte weitgehend verzichtet werden. Scharf herauszuarbeiten seien dagegen die "großen Szenen" und die Aktschlüsse. Der Filmschluss solle "kurz und schmerzlos" sein. (S. 20) Die 20 bis 30 und mehr Bilder eines Aktes mit ihren wechselnden Schauplätzen sollten aber nicht allzu lang ausgeführt werden und kurze Zwischenbilder als Nahaufnahme eingesetzt werden.

Es folgen praktische Tipps zum Einreichen des Manuskripts. Der Debütant könne auch die Hilfe von erfahrenen Filmschriftstellern in Anspruch nehmen, die ihre Texte – gegen die Hälfte der Einnahmen – überarbeiteten. Die Filmfirmen zahlten pro Akt 100 bis 200 Mark; Sensationsdramen würden besser honoriert als Lustspiele. Von der Groth warnt davor, Manuskripte "mit allen Rechten" zu verkaufen und rät dazu, sich das Recht einer Bearbeitung als Roman oder für die Bühne vorzubehalten. Der Filmautor solle zudem vereinbaren, dass in Filmvorspann und in allen Ankündigungen sein Name erwähnt wird.

Schließlich steuert Karl Saul weitere praktische Ratschläge bei. Er rät dazu, das Filmmanuskript im Telegramstil bei Verzicht auf direkte Rede und poetische Beschreibungen abzufassen. Typische Szenen sollten nicht ausgemalt, sondern mit einem Stichwort benannt werden. Der Autor solle beim Schreiben bereits "Regiegedanken" fassen und überraschende Bildeffekte, symbolische Szenen und Lichteffekte einbauen. "So bringe man also Poesie durch Handlung in den Film und nicht durch Worte." (S. 23)

Zwar sei die Zensur aufgehoben, aber Saul befürchtet, dass die vor der Revolution geltenden Regeln mehr oder weniger streng weitergeführt würden. Der Filmschriftsteller sei aber nicht auf drastische oder pikante Schilderungen angewiesen. Der Film schreie zwar nach Handlung, "allzu blutrünstig aber wirkt er auch abstoßend." (S. 24).

Es folgen Hinweise zum praktischen Schreiben des Filmmanuskripts. Jedes Bild solle auf einem besonderen Blatt stehen. Für den Dramaturgen hilfreich sei eine Ausstellung jener Bilder, die am gleichen Schauplatz spielen sowie eine Liste der in den jeweiligen Szenen auftretenden Darsteller. Als Anregung dient ein Akt aus dem Manuskript "Die Königin der Nacht. Großes Lebensbild aus dem Ungarischen in 4 Akten" von Aloys Alfons Zengerling, das von der Creutz-Film-Gesellschaft W. Creutz & Co in Dresden aufgekauft wurde.

Der zweite Teil der Broschüre enthält eine kommentierte Literaturliste und ein Verzeichnis der bekanntesten Filmzeitschriften. Eine umfangreiche Aufstellung der Filmproduktionen mit Stand Ende März 1919 nennt nicht nur Anschrift und Telefonnummer, sondern auch die vertraglich gebundenen Regisseure und Stars, ergänzt um Hinweise, wie das Unternehmen mit eingesandten Manuskripten umgeht. Eine weitere Liste führt Filmregisseure auf, die gegen Vergütung Manuskripte begutachten und "kurbelreif" bearbeiten. Es folgt eine kommentierte Übersicht der Fachblätter, die filmrelevante Beiträge veröffentlichen. Ein Porträt der Regisseurin und Schauspielerin Iwa Raffay (S. 75), die als Anzeige zu werten ist, beschließt den Band, der zudem kleine Kapitelillustrationen von Paul R. Hensel enthält. 1928 erschien noch in einem anderen Verlag eine veränderte Auflage.

Jeanpaul Goergen (Mai 2020)

Franz von der Groth: Der Filmschriftsteller. Mit Beiträgen von Hans Brennert, Karl Alex Raida, Karl Saul. Zeichnungen: Paul R. Hensel. Weimar: Weimarer Schriftsteller-Zeitung 1919, 80 Seiten, Ill. (= Hilfsbücher für die Praxis des Schriftstellers; 14)
Traub/Lavies: 611
dnb: http://d-nb.info/579810933

Franz von der Groth: Der Film-Schriftsteller. Wie schreibe ich einen Film? Mit Beiträgen von Hans Brennert; Karl Alex. Raida. Zeichnungen: Paul R. Hensel. Weimar: Rothe & Co. 5. veränderte Auflage 1928, 75 Seiten, Ill.
Traub/Lavies: 612
dnb: http://d-nb.info/560472595