Freies Land

Deutschland 2018/2019 Spielfilm

Déjà-vu!

DFF-Filmblog-Beitrag von Kai Mihm (filmportal.de), 20.11.2020
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Quelle: Telepool, DFF, © Verleih Telepool
Felix Kramer (links), Trystan Pütter (rechts) in "Freies Land" (2019)

 

Im Dezember soll – je nach Covid-Lage – Sönke Wortmanns neuer Film "Contra" starten. Wobei "neu" hier relativ zu sehen ist, denn es handelt sich um ein Remake der französischen Komödie "Le Birdo" (Die brillante Mademoiselle Neïla, 2017) von Yvan Attal. Schon Wortmanns letzter Film, "Der Vorname", hatte eine französische Vorlage. Auch wegen dieser Reihung ist "Contra" uns nun ein willkommener Anlass, um einen Blick auf die Vielzahl deutscher Remakes ausländischer Filme zu werfen – von denen es im Lauf der Jahrzehnte mehr gibt, als manche/r vielleicht dachte..

Bei dem Begriff "Remake" dürften die meisten Kinogänger/innen automatisch an Hollywood denken – an die vermeintliche Einfallslosigkeit der dortigen Produzent/innen, die sich gerne von internationalen Filmen "inspirieren" lassen, um die Stoffe dann für den amerikanischen Markt aufzubereiten. "City Of Angels" (1988) mit Nicolas Cage und Meg Ryan, basierend auf "Der Himmel über Berlin", sei hier nur als ein prominentes Beispiel genannt.

Tatsächlich aber sind auch deutsche Filmschaffende durchaus eifrig, wenn es um eine Adaption ausländischer Kassenhits geht – warum auch nicht? Die Themen, die die Menschen rund um den Globus beschäftigen, unterscheiden sich am Ende nur in Details, meist sind diese kulturell bedingt und lassen sich anpassen. Die Konflikte, Sorgen und Hoffnungen der Menschen sind letztlich universell – was wiederum zum Kino als Ort des kollektiven Träumens passt.

Oft sind es gerade auch prominente Schauspieler/innen und Regisseur/innen, die auf bewährte Stoffe zurückgreifen. So drehte der prominente Hollywood-Rückkehrer Wilhelm Thiele 1960 mit "Sabine und die 100 Männer" ein loses Remake des amerikanischen Kassenschlagers "One Hundred Men And A Girl" aus dem Jahr 1937 – zugleich war es sein letzter Film als Regisseur. Oskar Roehler verfilmte mit "Fahr Zur Hölle, Schwester" (2002) den Gruselklassiker "Whatever Happend To Baby Jane" von 1962 neu, mit Iris Berben und Hannelore Elsner in den Parts von Bette Davis und Joan Crawford. Die Kritiken waren eher mäßig, obwohl ein Psychokrieg zweier Schwestern ja eine durchaus länderübergreifende Ausgangssituation ist.  

Ähnliches gilt für Abitreffen, dachte sich wohl Til Schweiger bei "Klassentreffen 1.0" (2018) und "Die Hochzeit" (2020), die auf den dänischen Erfolgsfilmen "Klassefesten" (2001) und "Klassefesten 2" (2014) basieren. Und dass Fußball in Deutschland gut zieht, dürfte bei Ute Wielands "FC Venus – Angriff ist die beste Verteidigung" (2006) eine Rolle gespielt haben, der nur ein Jahr nach dem finnischen Original "FC Venus" entstand.  

Zuweilen wird auch aus einer Anleihe ein faktisches Remake: Anleitung zum Unglücklichsein war ein Sachbuch, weshalb Sherry Horman sich bei ihrer Verfilmung 2012 mangels einer Handlung kurzerhand bei "Die fabelhafte Welt der Amélie" (2001) bediente – auch bei der Bildgestaltung und der Musik. Fließender sind die Grenzen bei Literaturverfilmungen. Basiert ein Film nun eher auf der Buchvorlage oder der Erstverfilmung? Diese Frage könnte man sich unter anderem bei Dennis Gansels preisgekröntem Drama "Die Welle" (2008) stellen, denn die zugrunde liegende Geschichte "The Third Wave" wurde schon 1981 von Norman Jewison fürs US-Fernsehen adaptiert.

Apropos Fernsehen: dort kommt es mitunter zu Skurrilitäten, wenn etwa Christine Neubauer in der Degeto-Produktion "Eva Zacharias" (2006) zu einer deutschen "Erin Brockovich" wird, und Hannes Jaenicke in "Die Pferdeinsel" (2006) den deutschen "Pferdeflüsterer" gibt. An Julia Roberts und Robert Redford reichten die beiden allerdings nicht ganz heran.

Aus unterschiedlichen Gründen sehenswert sind fast alle der bisher genannten Werke. Im besten Fall fügen Remakes dem Stoff eine ganz neue Note hinzu. Die folgenden, rein subjektiv ausgewählten Beispiele aus den letzten 20 Jahren machen aus den Geschichten tatsächlich etwas Eigenes. Es handelt sich nicht immer um "offizielle" Remakes, doch bei allen gibt es signifikante Parallelen zu ausländischen Vorgängern. So oder so lohnt sich ein Anschauen – und im Idealfall auch ein Vergleich beider Werke.

Christian Alvart hatte bereits mit "Steig.nicht.aus" (2018), basierend auf dem spanischen Thriller "El Desconocido" (Anrufer unbekannt, 2015), bewiesen, dass er sich auf Remakes versteht. Auch das Kriminaldrama "Freies Land" entstand nach einem spanischen Film, dem Thriller "La isla Mínima" von 2014. Alvart bleibt einerseits sehr nah an der Handlung des Originals über einen grausamen Serienkiller in der Provinz. Doch er gibt der Geschichte einen cleveren deutschen Bezug, indem er sie aus dem Spanien kurz nach der Franco-Diktatur ins Ostdeutschland der Nachwendezeit verlegt. Auf verblüffende und beklemmende Weise zeigt sich ganz nebenbei, wie sehr autoritäre Systeme und soziale Strukturen sich ähneln. Und das enorm spannend.

"Das perfekte Geheimnis" (2019)

Die italienische Erfolgskomödie "Perfetti Sconosciutti" (Völlig Unbekannte) von 2016 wurde rund um den Globus neu verfilmt – kein Wunder, denn die Geschichte ist von seltener Allgemeingültigkeit: Es geht um Handys und Geheimnisse. Bei einem gemeinsamen Abendessen stellen sieben Freund/innen ihr Vertrauen auf die Probe, indem sie sämtliche auf ihren Smartphones eingehenden Nachrichten und Anrufe mit den Anwesenden teilen. Glänzend besetzt und reich an bissigen Dialogen wird "Das perfekte Geheimnis" gerade dadurch interessant, dass es die Story des Originals nicht wirklich „eindeutscht“, sondern vielmehr zeigt, wie ähnlich und austauschbar die kleinen und gemeinen Geheimnisse weltweit sind, die wir alle vor unseren Freund/innen hüten.

"Lulu & Jimi" (2009)

Offiziell ist dies kein Remake, doch die Parallelen zu David Lynchs Kultklassiker "Wild At Heart" (1990) liegen auf der Hand. Oskar Roehler inszenierte die Geschichte einer Amour fou zwischen einer jungen Frau aus wohlhabendem Haus und einem Schwarzen Ex-GI als Mischung aus Melodram und Komödie, angesiedelt im Wirtschaftswunder-Deutschland der 1950er Jahre. Stilistisch ist sein Film ähnlich eigenwillig wie "Wild At Heart": ein grellbuntes, rauschhaftes Pop-Märchen, temporeich und auf romantische Weise naiv. Roehler zeigte hier einen unbekümmerten ästhetischen Wagemut, wie man ihn im deutschen Film recht selten erlebt. Am Ende sollte man "Lulu & Jimi" wohl eher eine liebevolle Aneignung nennen als ein Remake.

"Tatort: Angriff auf Wache 08" (2020)

Die "Tatort"-Folgen des Hessischen Rundfunks sind für ihre Experimentierfreude berühmt, insbesondere jene mit Ulrich Tukur als Kommissar Murot. Nachdem Dietrich Brüggemann ihn bei "Murot und das Murmeltier" (2019) in einer kongenialen Variation von "Und täglich grüßt das Murmeltier" inszenierte, drehte Thomas Stuber mit "Angriff auf Wache 08" eine Reminiszenz an John Carpenters "Assault On Precinct 13"  aus dem Jahr 1976: düster und brutal, mit einer stilisierten Ästhetik und einer teils surrealen Atmosphäre – mithin das Gegenteil von Carpenters hyperrealistischem Stil. "Angriff auf Wache 08" ist zwar nicht annähernd so spannend wie das Original, doch er zeigt, was im deutschen Fernsehen erzählerisch und ästhetisch möglich ist, wenn man sich nur traut – und die richtigen Redakteur/innen findet.

"Die innere Sicherheit" (2000)

Christian Petzolds Film ist kein Remake von Sidney Lumets "Running On Empty" (Die Flucht ins Ungewisse, 1988), zumal er sagte, Lumets Films erst nach der Fertigstellung seines eigenen gesehen zu haben. Trotzdem passt "Die innere Sicherheit" in diese Reihe, denn die Parallelen sind frappierend: Hier wie dort geht es um eine Familie, die seit vielen Jahren im Untergrund lebt, weil die Eltern wegen ihrer linksterroristischen Vergangenheit gesucht werden. Freundschaften sind tabu, soziale Kontakte auf das Nötigste beschränkt. Fortwährend droht die Entdeckung und die nächste Flucht ins Ungewisse. Bei Petzold will die Teenage-Tochter mit diesem unsteten, isolierten Leben brechen, als sie sich verliebt; bei Lumet ist es der Sohn. Der Konflikt wird zur Zerreißprobe. Nahezu identisch ist bei beiden Filmen neben der Story auch der Fokus der Inszenierung: denn Lumet und Petzold geht es nicht um Thrillerspannung oder Politik, sondern um die familiären Konflikte und die zwischenmenschlichen Dynamiken. Im Mittelpunkt stehen Teenager, die den Preis für die Taten ihrer Eltern bezahlen müssen – in Form eines ungelebten Lebens.

Quelle: www.dff.film

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