Starker deutscher Auftritt in Locarno

Angela Schanelec mit "Der traumhafte Weg" und Langfilmdebütant Michael Koch mit "Marija" im internationalen Wettbewerb, Christian Schwochow mit "Paula" und Maria Schrader mit "Vor der Morgenröte" auf der Piazza Grande, eine Retrospektive über das frühe Filmschaffen der BRD, Auszeichnung für sein Lebenswerk an Mario Adorf, und Edgar Reitz Pardo di Domani-Jurypräsident - selten war die deutsche Präsenz beim Festival del Film Locarno größer als bei der 69. Ausgabe (3. – 13. August 2016).

Darüber hinaus wird der Wettbewerb Cineasti del presente von Douglas Gordons "I Had Nowhere To Go" eröffnet. Außerhalb des Wettbewerbs wird die Weltpremiere von Corinna Belz' neuem Dokumentarfilm "Peter Handke – Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte" präsentiert. In Pardo di domani, dem Wettbewerb für kurze und mittellange Filme, konkurriert "Etage X" von Francy Fabritz (DFFB).

Über die deutschen Beiträge:
Angela Schanelec, zuletzt mit ihrem Kurzfilmbeitrag zu "The Bridges of Sarajevo" 2014 in Cannes, stellt mit "Der traumhafte Weg" einen Spielfilm über die Machtlosigkeit und das Glück vor. Theres und Kenneth lieben sich, können aber nicht verhindern, dass sie sich wieder verlieren. Dreißig Jahre später löst sich die TV-Darstellerin Ariane in einer Krise von ihrem Mann, der daraufhin in ein Apartment am Hauptbahnhof zieht. Er beobachtet einen Obdachlosen, es ist Kenneth. Somit führen die Wege der beiden erneut zu Kenneth und Theres.

"Marija" erzählt von einer jungen Ukrainerin, die in einem Hotel in Dortmund putzt, jedoch von einem eigenen Friseursalon träumt. Entschlossen ihren Traum in die Tat umzusetzen, ist sie bereit, ihren Körper, ihre sozialen Beziehungen, zuletzt die eigenen Gefühle dem erklärten Ziel unterzuordnen. Regisseur Michael Koch, Absolvent der Kunsthochschule für Medien Köln, gewann für seinen Abschlussfilm "Polar" den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold 2009. "Marija" ist sein Langfilmdebüt.

Die imposante Kulisse mit 8.000 Zuschauerplätzen und riesiger Leinwand ist der Premierenort für Christian Schwochows Kinofilm "Paula" über die deutsche Malerin Paula Modersohn-Becker, eine Pionierin der expressionistischen Malerei. Regisseur Christian Schwochow – bekannt durch "Novemberkind", "Die Unsichtbare" und "Westen" – erzählt mit Shooting Star Carla Juri ("Feuchtgebiete") in der Titelrolle die universelle Geschichte einer modernen Frau, die für ihre kreative Selbstverwirklichung und romantische Vorstellung von Ehe und Liebe kämpfte.

Maria Schrader widmet sich mit "Vor der Morgenröte" ebenfalls einer bedeutenden Persönlichkeit. Episodisch erzählt sie aus den Exiljahren des österreichischen Schriftstellers, dargestellt von Josef Hader. Auf dem Höhepunkt seines weltweiten Ruhms verzweifelt er in der Emigration angesichts seines Wissens um den Untergang Europas, den er schon früh voraussieht. Der Film erzählt vom Verlieren der alten und dem Suchen nach einer neuen Heimat. In Deutschland sahen den Film bereits über 150.000 KinobesucherInnen. Maria Schrader gehört zu den profiliertesten Schauspielerinnen Deutschlands, ihr Regiedebüt "Liebesleben" lief beim Filmfestival in Rom.

Der Eröffnungsfilm des Wettbewerbs Cineasti del presente "I Had Nowhere To Go" des Filmemachers und Videokünstlers Douglas Gordon, der u.a. in Berlin lebt, basiert auf den Tagebüchern von Jonas Mekas, der prägenden Figur des amerikanischen Avantgardekinos. Dieser musste vor über 70 Jahren, damals 22-jährig, sein litauisches Heimatdorf verlassen, und wurde in ein Arbeitslager in Deutschland gesperrt. Heute zählt Mekas zu einem der letzten lebenden Zeitzeugen und "Displaced Persons" seiner Generation. Er erzählt aus seinem Leben im Exil und von seiner Emigration in die USA. Gordon und Mekas werden den Film persönlich bei der Weltpremiere in Locarno vorstellen.

In ihrem neuen Kinodokumentarfilm "Peter Handke – Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte", der außerhalb des Wettbewerbs läuft, erkundet die Filmemacherin Corinna Belz das Rätsel Peter Handke und die zentralen Fragen seines literarischen Werks. Damit widmet sich die Regisseurin nach "Gerhard Richter Painting" erneut einem zeitgenössischen Ausnahmekünstler.

Die Wettbewerbssektion Pardi di domani zeigt kurze und mittellange Filme von jungen RegisseurInnen, die bislang noch keinen Langfilm realisiert haben. Der 14-minütige "Etage X" von Francy Fabritz zeigt hier eine zufällige Begegnung zweier älterer Frauen im Kaufhausfahrstuhl, der steckenbleibt und sie zur Improvisation zwingt.

Über die Retrospektive "Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963":
In enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filminstitut - DIF und mit finanzieller Unterstützung von German Films widmet das Festival in diesem Jahr seine Retrospektive dem Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland. Im Fokus stehen über 70 Filme, die zwischen 1949 und 1963 entstanden. Sie beleuchtet damit eine Schaffensphase, die bis heute in Deutschland sowie im Ausland nur wenig Aufmerksamkeit erfuhr. Hierfür stehen zum einen Unterhaltungsfilme als Spiegel von damaligen Geschlechterverhältnissen, individuellen Ängsten sowie Umgang und Flucht vor den Traumata der jüngsten Vergangenheit. Zum anderen überraschen Filme mit ihrem künstlerischen Anspruch.

Der Katalog zur Retrospektive erscheint am 28. Juli, publiziert vom Deutschen Filminstitut - DIF. Nach der Präsentation der Retrospektive in Locarno, wird eine Auswahl der Filme international auf Tournee gehen. Neben Präsentationen in Triest und Turin sind erste bestätigte Abspielorte unter anderem die Cinemateca Portuguesa, die Film Society of Lincoln Center in New York und die National Gallery of Art in Washington, DC.

Schauspieler Mario Adorf wird für sein Lebenswerk mit dem Pardo alla carriera ausgezeichnet. Es werden sowohl Filme im Rahmen der Retrospektive als auch internationale Produktionen mit seiner Beteiligung sowie ein Publikumsgespräch präsentiert.

Alle deutschen Filme und Koproduktionen in Locarno 2016 finden Sie hier.

Quelle: www.german-films.de