Ein Virus kennt keine Moral

BR Deutschland 1985/1986 Spielfilm

Zum 80. Geburtstag von Elfi Mikesch

DFF-Filmblog-Beitrag von Julia Welter (filmportal.de), 31.05.2020
Elfi Mikesch
Quelle: Filmgalerie 451, DFF, Foto: Lilly Grote
Elfi Mikesch

 

In einem Interview des Deutschlandfunks einmal danach befragt, welche ihrer zahlreichen Auszeichnungen, die sie in ihrem über 50-jährigen Schaffen als Fotografin, Kamerafrau und Regisseurin erhalten habe, ihr die wichtigste sei, nannte Elfi Mikesch den Teddy Award. Den queeren Filmpreis der Berlinale hatte die gebürtige Österreicherin 2014 erhalten und begründete seine Relevanz mit den Worten: "[…] das ist genau dieser Bereich, der so vielschichtig, vielfältig ist und wo eben auch Grenzen überwunden werden, und der ein Gebiet ist, was voll ist von Überraschungen und auch Widerstand. Denn es ist immer wieder gefährdet. Und deshalb ist dieser Preis so wichtig. Und kann nicht genug betont werden, dass es dort Filme zu sehen gibt, die Geschichten erzählen, die nicht ganz so bekannt sind."

Und es ist genau dieses Interesse am Erzählen und Zeigen des Unbekannten, Anderen, des Überwindens von Grenzen, des Auslotens von Spannungsfeldern und des Widerstands gegen Althergebrachtes, das seit Beginn ihrer Karriere alle ihrer meist experimentellen und vor allem poetischen Arbeiten auszeichnet. Seit den 1970er Jahren gehört sie zu den wichtigen Vorkämpferinnen der feministischen Gegenkultur und gilt als prägende Figur des subversiven Kinos in Deutschland.

Nicht den ausgetretenen Pfaden und Traditionen folgen wollend, stattdessen unangepasst und experimentierfreudig zu sein, auch das Frauenbild in neuen Kategorien zu denken – das war das Ansinnen, das sie mit anderen feministischen oder Gegenkultur-affinen Zeitgenoss*innen teilte, die ab den späten 60ern/frühen 70ern filmisch und auch gesellschaftlich neue Wege begehen wollten.

Zentrale Elemente in Mikeschs Regiearbeiten sind aber auch die Auseinandersetzung mit Kontrasten von statischem und bewegten Bild – sie kommt von der Fotografie –, die Erkundung von Bildern als Katalysator von Erinnerung und (persönlicher) Geschichtsschreibung sowie die Betrachtung von Film als Abbildungsmedium im Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Erdachtem, Fantasie und Wirklichkeit. So trifft in Mikeschs erstem Langfilm, dem semi-dokumentarischen "Ich denke oft an Hawaii" (1979) die triste Wirklichkeit auf bunte, von der Camp-Ästhetik amerikanischer Underground-Filme inspirierte Traumwelten, in denen sich die 16-jährige Protagonistin, angeregt durch die "exotischen" Postkarten ihres entfremdeten Vaters, verliert. In ihrem 2014 erschienenen autobiografisch inspiriertem Spielfilm "Fieber" sind alte Fotografien Ausgangspunkt für die Rekonstruktion von Vergangenheit. Bewusst offen bleibt dabei die Frage, ob die Geschichte, wie sie sich die Hauptfigur anhand der Fotos erschließt, nicht doch nur ein narratives Konstrukt ist.

Über 20 weitere Kurz- , Dokumentar- und Spielfilme hat Elfi Mikesch als Regisseurin realisiert, darunter der hochgelobte Dokumentarfilm "Was soll'n wir denn machen ohne den Tod" (1980), der den Alltag eines lesbischen Paares in einem Hamburger Altersheim begleitet. Ihr erster langer Spielfilm, "Macumba", eine selbstreflexive Verhandlung unterschiedlichster filmischer Stilmittel, erschien 1982. Drei Jahre später sorgte ihr auf der Berlinale uraufgeführte Spielfilm "Verführung: Die grausame Frau" für Aufruhr. Der von Mikesch in Co-Regie mit ihrer damaligen Lebensgefährtin, der queer-feministischen Filmemacherin Monika Treut realisierte Film über eine Domina, die selbstbewusst ihre masochistischen Fantasien mit Männern und Frauen auslebt, löste eine Kontroverse aus, vor allem aufgrund seiner von vielen als Provokation verstandenen Infragestellung von Machtverhältnissen und Geschlechterrollen. Und während in Deutschland Publikum und Kritik zwischen Lob und aggressiven Verrissen schwankte, wurde "Verführung" auf internationalen Festivals gefeiert.

Neben ihrer Arbeit als Regisseurin, hat sich Elfi Mikesch zuerst und vor allem auch einen Namen als Kamerafrau gemacht. Hervorzuheben ist in ihrem über 60 Produktionen umfassenden Kamerawerk die vielfache Zusammenarbeit und enge Freundschaft mit Rosa von Praunheim, Werner Schroeter und Monika Treut.

Rosa von Praunheim, die wohl wichtigste Stimme des queeren Kinos in Deutschland und agitatorischer Schwulenaktivist, hatte Mikesch bereits Anfang der 1960er in Frankfurt kennengelernt. Einige Jahre später folgte sie ihm nach Berlin, wo die beiden zunächst an gemeinsamen Fotografie-Projekten arbeiteten. Seit Anfang der 1970er führte Mikesch die Kamera für viele seiner Werke, darunter "Horror Vacui", "Ein Virus kennt keine Moral", "Anita - Tänze des Lasters" und später "Meine Mütter - Spurensuche in Riga" oder auch "Überleben in Neukölln". Praunheims Filme, in denen Inhalt meist wichtiger ist als Form und der seine Bilder selbst als "schnell und dreckig" bezeichnet, bereicherte sie mit ihrer suggestiven Kamera und ihrem Gespür für das In-Szene-setzen von Gesichtern und Körpern ebenso wie die Filme des 2010 verstorbenen Werner Schroeter mit dem beide seit den 1960ern eng befreundet waren.

Für Schroeter, der große Gesten und Überhöhung liebte und wenig von traditioneller Montage und Synchronität hielt, übernahm Mikesch die Bildgestaltung erstmals in dem in glühenden Farben erzählten Camp-Film "Der Rosenkönig" (1986). Es folgten weitere Zusammenarbeiten etwa für "Malina" mit Isabelle Huppert oder dem Dokumentarfilm "Poussières d'amour". Mikesch und Schroeter verband der Sinn für Ästhetik und der offene Blick. Er schätzte zudem ihre ruhige Art, die seiner Aussage nach dazu beiträgt, dass sich Schauspieler*innen sicher fühlen und gelöst agieren. Mit "Mondo Lux - Die Bilderwelten des Werner Schroeter", 2011 knapp ein Jahr nach Schroeters Tod auf der Berlinale uraufgeführt, setzte Mikesch ihrem langjährigen Wegbegleiter ein filmisches Denkmal.

Als die Kamerafrau Sophie Maintigneux 2014 bei der Verleihung des Special Teddy Awards an Elfi Mikesch die Laudatio hielt, fasste sie die Qualität von Mikeschs Kameraarbeit so zusammen: "Wenn ich an Elfi denke, denke ich an Gesichter. Schauspieler und Schauspielerinnen erhalten eine unerwartete Schönheit und ein verlockendes Geheimnis, wenn Elfi hinter der Kamera steht. […] Das Licht macht das Fantastische glaubhaft oder umgekehrt das Reale fantastisch. Das Licht ist eine "magic essence", die ein Gesicht streicheln oder angreifen kann. Und Du, Elfi, weißt mit Feingefühl und Souveränität zwischen diesen beiden Extremen Deine Entscheidungen zu treffen."

Zuletzt hat sie dieses Feingefühl 2019 bewiesen als sie die Kamera führte für Thomas Ladenburgers Dokumentarfilm "Ich bin Anastasia" über eine Transfrau in der deutschen Bundeswehr. Feingefühl ist zudem auch in ihren fotografischen Arbeiten evident. Diese sind im Foto-Text-Buch "Vis-à-vis. Fotografie und Film" zu sehen.

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