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Die drei Freunde Ertan, Kemal und Mehdi leben in Kiel. Sie sind Ausländer, "Kanaken", wie sie sich selbst voller Stolz nennen. Für sie ist dieser Begriff Ausdruck eines Lebensgefühls. Das Trio hält sich mit kleinen Gaunereien über Wasser, doch mit der Zeit werden sie immer tiefer in einen Strudel aus Gewalt und Kriminalität hineingezogen.
Aus einer Laune heraus spielt Erkan sich als Beschützer zweier Prostituierter auf und macht sich dadurch zwei skrupellose Zuhälter zu Feinden. Nach einem missglückten Überfall landet Ertan für kurze Zeit im Knast, Kemal wird in die Türkei abgeschoben. Davon lassen die beiden stolzen "Kanaken" sich jedoch nicht unterkriegen, im Gegenteil: Gemeinsam wollen die Freunde nun eine Drogen-Luftbrücke zwischen Istanbul und Deutschland aufbauen. Aber der Traum vom schnellen Geld endet für Kemal und Ertan in Tod und Trauer.
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Ertan bildet zusammen mit Kemal und Mehdi ein Dealer- und Ganoventrio, dem immer ein gewisser Kommissar Lorant auf den Fersen ist. Doch dieser im Grunde gutmütige Mensch weiß, dass gegen eine solche Sozialisation kein Kraut gewachsen ist – und keine Gefängnismauer ankommt.
Klein-Chicago liegt hier in Kiel, und da haben auch die Türken-Gangs ihre Claims, die sie abstecken und mit brutaler Gewalt verteidigen. So ist Ertans ärgster Widersacher ein Zuhälter, der Bordelbesitzer Attila (Ercan Durmaz, Oberbösewicht des Multikulti-Genres, der etwa in „Eine Handvoll Gras“ den dealenden Onkel Faruk spielte und wie auch Brigitte Janner in beiden Bavaria-Co-Produktionen auf der Leinwand zu sehen ist).
Aber wie viele Handlungsstränge der insgesamt 13 kleinen Episoden in „Kanak Attack“ wird dieser von Lars Becker nur angerissen, sodass bei Zuschauern, die die 35 Episoden aus dem Leben des realen Ertan Ongun, Ich-Erzähler in Feridun Zaimoglus Kult-Roman „Abschaum“ (1998), nicht kennen, viele Fragen offen bleiben.
Trotz aller Brutalität ist Ertan im Film, ganz anders als in der Romanvorlage, ein sympathischer „Held“. Äußerlich der nette Junge von nebenan, sorgt er für die Seinen, zu denen auch der Schwager Bülent gehört, der in der Psychiatrie gelandet ist, weil er mit der Härte des „Kanakster“-Daseins nicht mehr zurechtkam. Ertan gibt seiner Schwester Geld – und nimmt ihr die Verpflichtung ab, sich um den Gemütskranken zu kümmern. Zudem finanziert Ertan, ein weiterer Sympathiepunkt in den Augen des Publikums, die Beerdigung seines Freundes Farouk.
Doch vom Samariter rasch zurück in die harte (Drogen-) Realität. Ertan überfällt Spielhallen und Fast Food-Restaurants, verdingt sich als Westentaschen-Strizzi bei den beiden „Pferdchen“ seines verstorbenen Freundes sowie als „Abkassierer“ in den viel zu kleinen Schuhen seines noch ganz kleinbürgerlichen türkischen Vaters.
Den Stoff aber, mit dem er die ganz große Kohle machen will, holt sich das Milchgesicht selbst aus Istanbul ab – und legt eine glatte Bauchlandung hin, nachdem er selbst vom „Schnee“ probiert hat. Noch so ein Sympathiepünktchen. Es ist ein charmantes Kerlchen, dieser Ertan. Das erkennen auch die beiden Prostituierten Sandra und Yonca, die sich nach dem Ableben ihres Zuhälters nach einem neuen „Beschützer“ umsehen und zunächst Ertan favorisieren, um sich dann doch lieber unter den „Schutz“ des starken Attila zu stellen.
Immer, wenn Ertan ganz besonders cool wirken will, fällt er umso heftiger auf die Schnauze und so ist „Kanak Attack“ vor allem die Story eines Verlierers, der es nur noch nicht gemerkt hat, einer zu sein. Lars Beckers Romanverfilmung (die „taz“ sprach nicht zu Unrecht von „Ghetto-Folklore“) hält leider nicht das, was der Titel verspricht: Explosivkraft ist trotz aller Action-Szenen nur wenig spürbar. TV-Erstsendung war am 20. September 2002 auf Arte.
Pitt Herrmann