Inhalt
Tilda jongliert zwischen Studium, Job an der Supermarktkasse, Schwimmen und der Verantwortung für ihre kleine Schwester Ida und ihre alkoholkranke Mutter. In der Kleinstadt, in der sie lebt, fühlt sie sich festgefahren, während Freunde längst zu neuen Ufern aufgebrochen sind und in Metropolen wie Berlin oder Amsterdam leben. Doch plötzlich bekommt sie die Aussicht auf eine Promotionsstelle in Berlin und damit ebenfalls die Chance auf einen Neuanfang. Gleichzeitig trifft sie Viktor, den Bruder ihres vor fünf Jahren verstorbenen Freundes Ivan. Beide verbindet nicht nur, dass sie immer genau 22 Bahnen schwimmen. Doch gerade als Tilda beginnt, an eine andere Zukunft zu glauben, gerät das Leben zu Hause immer mehr außer Kontrolle.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Denn außerhalb des Freibades sind Tildas chaotische Tage streng durchgetaktet: Die hochbegabte Mathematik-Studentin („Mathe schafft Ordnung, Mathe ist ein Ort, an dem ich zuhause bin“) sitzt quasi für ihre alkoholkranke arbeitslose Mutter Andrea an der Supermarkt-Kasse, um die seit einem Autounfall vor fünf Jahren vaterlose Familie finanziell über die Runden zu bringen. Und muss dafür das eine oder andere Seminar an der Universität schwänzen, obwohl sie gerade an ihrer Masterarbeit sitzt. „Mirácoli oder Gut und günstig“ ist keine Frage: Um die wählerische Ida ruhig zu stellen, füllt sie heimlich die billigeren Spaghetti in die Marken-Packung um.
„Wenn ich nachts auf meiner Matratze liege, dann denke ich, dass ich das Ganze da draußen noch lange aushalten kann. Solange der Wind nachts auf mich fällt, denke ich, kann ich mich tagsüber in den Krieg da draußen stürzen. Gegen meine Mutter, gegen ihre Launen, gegen diese Kleinstadt. Und für Ida“: Wenn nicht ‘mal wieder daheim die Hölle losbricht und die bis zur Bewusstlosigkeit betrunkene Mutter die Küche in Brand setzt, könnte sich Tilda mit dem mordsmäßigen Stress arrangieren.
Weil sie auf ihre beste Freundin Marlene zählen kann, mit Professor Klein einen verständnisvollen Hochschullehrer hat und es mit ihrer Mutter immer wieder auch schöne Stunden zu dritt auf der Wohnzimmercouch gibt. Und weil plötzlich mit Viktor, der Bruder von Marlenes früherem Freund Ivan, ein gut aussehender junger Mann seine Bahnen im Freibad zieht – exakt 22 wie sie selbst. Der jetzt in Hamburg als freiberuflicher Programmierer lebende Computernerd hat vor fünf Jahren seine ganze Familie durch einen Unfall verloren, wobei in Tilda Schuldgefühle hochkommen. Denn sie hatte zusammen mit Marlene Ivan in der Nacht vor der Fahrt mit seinen Eltern nach Russland zu einer Party überredet, auf der Magic Mushrooms die Runde machten.
Als Tilda auf einer großen Fete in der Sandgrube vom offenbar anderweitig liierten Leon, ihrem jetzt in Berlin als Künstler lebenden „Ex“, angebaggert wird, lässt sie sich von Viktor nach Hause fahren. Wo noch Licht in der Wohnung brennt mitten in der Nacht und Tilda signalisiert: Es ist ‘mal wieder soweit, die zugedröhnte Mutter ist gegen Ida auch körperlich ausfallend geworden. Der herbeigerufene Notarzt schließt einen Suizidversuch nicht aus, weshalb er eine Klinikeinweisung verfügt.
Da kommt das Angebot ihres Professors für ein Promotionsstipendium in Berlin wie ein Blitz aus düsterem Himmel: Er gibt seinem „Ausnahmetalent“ nur wenig Zeit für ihre Zu- oder Absage. „Ich kann nur gehen, wenn Ida gewappnet ist“ – wofür nach ihrer durch Idas ausdrückliches Plazet befeuerten Entscheidung für die Hauptstadt nur knapp fünf Monate Zeit bleiben. Die Zehnjährige weiß, dass sich mit Berlin für ihre Schwester ein Traum erfüllt, dass Tilda bisher immer nur für andere da war. Ida ist fest entschlossen, nun daheim das Ruder zu übernehmen…
In der ersten halben Stunde entsteht der Eindruck eines weiteren typisch deutschen Befindlichkeitsstreifens. Doch dann nimmt „22 Bahnen“ richtig Fahrt auf – auf ganz unspektakuläre Weise. Mit einem grandiosen Protagonisten-Quartett um die Schweizerin Luna Wedler und einer ganz eigenen Tonalität. Ja, „22 Bahnen“ ist auch ein Film über das Erwachsenwerden, vor allem aber ein Plädoyer für den bedingungslosen familiären Zusammenhalt. Und für die Liebe, obwohl diese bei allem Licht am Ende des Tunnels zu kurz kommt: Viktor ist nicht die einzige offene Frage nach 103 emotionsgeladenen Minuten.
Caroline Wahl, deren Bestseller „22 Bahnen“ 2023 bei DuMont in Köln erschienen ist: „Ich habe da beim Schreiben des Romans diesen flirrenden, schwülen Sommer mit den Gewitterwolken am Himmel gespürt, der sich irgendwie besonders anfühlte, und in dem sich vieles entschieden hat für die beiden Schwestern, und dieses Flirren habe ich auch gespürt, als ich jetzt den Film gesehen habe. Aber was mich am meisten überwältigt hat, ist dieser bedingungslose Zusammenhalt zwischen Tilda und Ida, der so berührend auf die Leinwand gebracht wurde. Ich würde mich freuen, wenn auch die Zuschauer diese Hoffnung und Lebenslust aus dem Film mitnehmen, wenn sie mit den Schwestern realisieren, dass es, egal wie scheiße es gerade ist, trotz allem schön sein kann da draußen und dass es besser wird. Und vor allem: dass es verdammt cool ist, dass wir Menschen in unserem Leben haben, die wir lieben und beschützen und die uns lieben und beschützen.“
Pitt Herrmann