Die erste Reihe. Bilder aus dem Berliner Widerstand

DDR 1987 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Eine vielleicht 20-köpfige Gruppe fröhlicher junger Leute unserer Tage läuft über den Alexanderplatz und vorbei am Roten Rathaus zum Lindenboulevard. In Schinkels Neuer Wache neben dem Zeughaus, dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus, treten ihnen an Lothar Kwasnitzas „Ewiger Flamme“ sechs in den 1930er Jahren etwa gleichaltrige Protagonisten des Berliner Widerstandes gegen die Nationalsozialisten entgegen, die sich ihnen – und damit dem Publikum – direkt zugewandt vorstellen.

Zum Schlosser Rudolf Schwarz, der bürgerlichen Studentin Lilo Herrmann, dem Buchdrucker Heinz Kapelle, dem Dreher Willi Gall und dem Werkzeugmacher Walter Husemann gesellt sich mit dem Spanienkämpfer Artur „Propeller“ Berliner eine aus verschiedenen Lebensgeschichten zusammengesetzte, deshalb aber nicht weniger authentische Person hinzu. Als einziger Überlebender aus dem losen und eher informellen Widerstands-Netzwerk um
Libertas und Harro Schulze-Boysen (Rainer Etzenberger), Dr. Arvid Harnack (Bernhard Geffke), Hans Coppi (Lutz Blochberger) sowie Elisabeth (Iris Bohnau) und Kurt Schumacher (Peter Pauli), dem die Gestapo und der „Abwehr“ genannte Nachrichtendienst der Deutschen Wehrmacht den Namen „Rote Kapelle“ gegeben hatten, ist er Zeitzeuge späterer Generationen.

Rudolf Schwarz & Co schauen sich Slatan Dudows proletarischen Spielfilm „Kuhle Wampe“ im Kino an, in dem Martha Husemann mitwirkt, und stimmen kämpferisch in Ernst Buschs Solidaritätslied „Vorwärts und nicht vergessen“ ein, als ein SA-Trupp die Vorstellung sprengt. Gedankenschnell können sie sich mit einer Polonaise durch die Hintertür retten. „Verlangt immer mehr von euch selbst als ihr von anderen verlangt“ trichtert Schwarz den jungen Genossen ein, die Albert Schweitzers Rundfunkansprache zur Wahl Adolf Hitlers verfolgen.

Der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann ist verhaftet worden, 1933 müssen die Genossen in den Untergrund flüchten. Gefährliche Zeiten für Liebende wie Rudolf Schwarz und der wegen „kommunistischer Umtriebe“ von der Universität relegierten Lilo Herrmann. Als sie schwanger ist, rät ihr die Krankenschwester Anna, Berlin zu verlassen. Doch sie will bleiben: „Die Macht hat auf Dauer noch nie über den Geist gesiegt.“ Um der Übermacht der NSDAP-Medien wenigstens etwas entgegenzusetzen, werden Flugblätter („Freiheit erkämpfen – Krieg verhindern“) gedruckt, die Heinz Kapelle von seinem Moped aus verstreut. Aus der Archenhold-Sternwarte kann immerhin ein Großteil des KPD-Archivs vor dem Gestapo-Zugriff gerettet werden.

Anlässlich der Berliner Olympiade 1936 gibt sich das NS-Regime friedlich, fröhlich und weltoffen. Artur „Aljoscha“ Berliner kommt frei, wird aber von einem Gestapo-Mann (Christian Grashof) überwacht. Anna und Elsbeth kümmern sich um ihn und später auch um Walter Husemann, der untertauchen muss. Während Rudolf Schwarz zusammen mit drei Genossen im Wald von SA-Männern „auf der Flucht“ erschossen werden, kann Willi Gall zunächst nach Prag entkommen. Als ihn Elli 1939 im Auftrag der Partei nach Berlin zurückschickt, um versprengte Widerstandsgruppen neu zu organisieren, wird er am Gendarmenmarkt beim Treffen mit Elsbeth erkannt.

Nach einem Treffen mit Otto Nelte (Peter Sodann) und einer geheimen Versammlung im Wald wird Willi Gall verhaftet und in Plötzensee hingerichtet – wie auch Heinz Kapelle und Lilo Herrmann. Lilos bis dato regimetreuen Eltern wird die Rechnung für die Ausführung der Todesstrafe präsentiert: 458,30 Reichsmark. Artur „Aljoscha“ Berliner kann während der alliierten Bombardements zu Anna fliehen – und überlebt. Als der Krieg endlich vorbei ist, spielen Kinder in den Ruinen der untergegangenen Reichshauptstadt diesen nach – teilweise mit aufgeklaubten echten Waffen. Artur ist entsetzt: „Hört doch endlich auf mit dem Krieg!“

Der hochkarätig besetzte Spielfilm nach Stephan Hermlins 195-seitiger Vorlage seiner Rundfunk-Vorträge, erschienen 1951 im Verlag Neues Leben (Ost-) Berlin, ist mit dokumentarischen Schnipseln in Schwarz-Weiß angereichert worden. Er entspricht ganz der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung, welche die im Westdeutschland der Nachkriegszeit als kommunistische „Vaterlandsverräter“ diffamierten Widerständler als antifaschistische Helden verklärt und als straff organisierte Kadergruppe Moskaus Befehle ausführen lässt. „Es lebe die Sowjetunion!“ rufen die Gefangenen vor ihrer Hinrichtung in Plötzensee.

„Die erste Reihe“ unterschlägt naturgemäß den Hitler-Stalin-Pakt und die Säuberungen unter KPD-Genossen in der Sowjetunion. Immerhin wird nicht jede Figur dem ideologischen Schwarz-Weiß-Denken geopfert: In einer pathetischen Szene schreibt Walter Husemann an seinen Vater, den emotionalen Brief wird ein Pfarrer (Daniel Minetti) aus dem Gefängnis schmuggeln.

Peter Vogel hat sich im Kreis eines halben Dutzend „seiner“ Schauspieler bei einer Vorführung im September 2025 im Berliner „Kaffekaffe“ zu dieser – und damit auch zu seiner – Sicht der Geschichte bekannt. Der inzwischen 88-jährige, im Faschismus geborene Regisseur vermisst heute eine politische Haltung der Filmemacher zum gesellschaftlichen Kontext. Er versteht seinen Film nicht nur als Erinnerung an eine Zeit, wo er selbst „übermütig“ war in der Hoffnung auf ein besseres, weil sozialistisches Deutschland. Sondern auch, aus heutiger Sicht, als Auseinandersetzung mit einer verlogenen Demut gerade auch von Künstlern gegenüber staatlichen Zumutungen in der DDR.

Die Westdeutsche Premiere war bereits Ende November 1987 in Stuttgart, organisiert vom „VVN — Bund der Antifaschisten“ und dem Stadtjugendring. Die bundesdeutsche TV-Premiere erfolgte am 17. November 1989 im „Dritten“ des Westdeutschen Rundfunks. „Die erste Reihe“ ist mit dem Ehrendiplom beim Filmfest der XIII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1989 im nordkoreanischen Pjöngjang ausgezeichnet worden.

Pitt Herrmann

Credits

Regie

Darsteller

Alle Credits

Regie

Darsteller

Produktionsleitung

Länge:
105 min
Aufführung:

Uraufführung (DD): 22.11.1987, DDR-TV

Titel

  • Originaltitel (DD) Die erste Reihe. Bilder aus dem Berliner Widerstand
  • Schreibvariante Die erste Reihe. Bilder vom Berliner Widerstand

Fassungen

Original

Länge:
105 min
Aufführung:

Uraufführung (DD): 22.11.1987, DDR-TV