Geburt eines Filmstudios - Babelsberg in der Kaiserzeit

Im Jahr 1911 wurde der Chefkameramann und technische Leiter der Deutschen Bioscop Filmgesellschaft, Guido Seeber vom Direktor Erick Zeiske damit beauftragt, ein geeignetes Gelände für ein neues Filmstudio zu finden, da das alte Atelier der Filmgesellschaft in Nordberlin viel zu klein geworden war. Dabei gab es einige Voraussetzungen zu beachten. So sollte die neue Filmfabrik weder direkt in der Stadt liegen noch zu weit von Verkehrsmitteln entfernt, um für die Mitarbeiter leicht erreichbar zu sein. Der passende Ort wurde bald gefunden. Guido Seeber entdeckte in der Nähe der Villenwohnsiedlung Neubabelsberg ein geeignetes freies Grundstück mit einem alten Fabrikgebäude. Die Großstadt Berlin war nah, die Gegend gleichwohl ideal für Außenaufnahmen: freier Platz für unterschiedliche Schauplätze und vor allem kein Mangel an Sonnenlicht tagsüber bildeten optimale Bedingungen. "Rings um dieses Gelände", berichtete Seeber, "befand sich ein ziemlich weites, völlig freies Feld, so dass die Sonne in der Tat von früh bis spät das Grundstück beschien."

Quelle: DIF
Guido Seeber

Guido Seeber fasst die Vorteile dieses Standortes selbst so zusammen: "Erstens bot die Staatsbahn eine dreifache und schnelle Verbindung. Weit ringsherum waren keine Wohnhäuser zu finden, so dass selbst bei einem Brande die Umgebung nicht gefährdet werden konnte. Die Lage des Grundstückes, von dem ein Giebel direkt nach Süden zeigte, ließ die Errichtung eines Glasateliers als Verlängerung des Gebäudes ratsam erscheinen, denn es würde dann von früh bis spät immer unter Sonne, d.h. dem günstigsten Licht stehen."

Licht und Glas
Die Gefahr eines Feuers war in den frühen Tagen des Filmes durch die heiß brennenden Lampen und den allseits zum Einsatz kommenden, leicht brennbaren Nitro-Film sehr groß, sodass der Brandschutz eine wichtige Rolle spielte. Neben der alten Fabrik sollte eine Spezialkonstruktion entstehen, ein großes Glashaus, das besonderes viel Tageslicht hereinlassen konnte. Natürliches Licht war die Antwort auf die problematische Situation dieser Zeit: einerseits das wenig lichtempfindliche Filmmaterial und andererseits die noch unterentwickelte Lichttechnik. Die Besonderheit dieses Glashauses lag auch darin, die eiserne Trägerkonstruktion jederzeit umbauen und versetzen zu können.

Der Grundstein für das erste 15 x 20 Meter große ebenerdige Atelier wurde am 3. November 1911 gelegt. Das vorhandene Gebäude erhielt unter anderem ein Kopierwerk. Im Herbst 1912 erwarb Guido Seeber noch ein weiteres Grundstück für das "große Glashaus", "speziell für die Fabrikation des Asta-Nielsen-Films", wie er betonte. Schon am 12. Februar 1912 begannen die Dreharbeiten zu "Der Totentanz" im neuen Gebäude. Mit der Errichtung des Glashauses auf dem dafür idealen Gelände des Potsdamer Stadtteils setzte sich Guido Seeber ein Denkmal.

Im darauf folgenden Jahr kamen 6.000 Quadratmeter große Fabrikationsgebäude mit Glashaus hinzu, die aber den Anforderungen nicht genügten, da, so Guido Seeber, "man oft Dekorationen gern im Freien errichtete und zur Vermeidung von Reisen kleinere Freibauten auf einem dazu geeigneten Gelände zwecks späterer Verwendung stehenlassen wollte". Wieder war es Seeber, der eine Lösung fand und ein 40.000 Quadratmeter großes angrenzendes Gelände erwarb, "um für eine längere Zeit die Möglichkeit zu haben, größere Aufbauten für Filmzwecke vorzunehmen".

Als erster Bau wurden drei Achtel des Umfanges eines Zirkus auf dem neuen Gebiet errichtet, der fast zehn Jahre lang seinen Zweck als Kulisse erfüllte. Als weiteres Technikgebäude entstand eine zweite Kopieranstalt, die zugleich als Kulisse diente und deren Außenfront für Großaufnahmen in verschiedenen Baustilen, unter anderem gotisch und romanisch, gestaltet war.


Quelle: DIF
 Asta Nielsen

Asta Nielsen – ein Star der ersten Stunde
Babelsbergs Aufstieg als bedeutender Produktionsort von Filmen ist in besonderer Weise mit der charismatischen Schauspielerin Asta Nielsen verbunden. Zwar hatte diese, bevor sie in Deutschland Filme zu drehen begann, in ihrer Heimat Dänemark für Aufsehen gesorgt, doch schon nach ihrem ersten großen Erfolg "Abgründe" ("Afgrunden") im Jahr 1910, zog es sie und auch den dänischen Regisseur Urban Gad nach Berlin. Dort versprachen sich beide bessere Entwicklungsmöglichkeiten.

Im Jahr 1911 waren unter anderem die beiden Filme "Heißes Blut/Großstadtversuchungen" und "Nachtfalter" von Nielsen, Gad und ihrem Kameramann Guido Seeber so erfolgreich, dass die Deutsche Bioscop die ausdrucksstarke Dänin für weitere acht Filme verpflichtete, darunter auch "Der Totentanz", der den Beginn der Filmproduktion in den Studios von Babelsberg bedeuten sollte. Urban Gad und Asta Nielsen blieben ein erfolgreiches Gespann und wurden auch privat ein Paar, heirateten 1912, trennten sich allerdings bereits 1918. Bis 1916 arbeiteten sie beruflich zusammen und drehten insgesamt über 30 gemeinsame Filme.

17 Produktionen entstanden zwischen 1911 und 1913 in Zusammenarbeit mit Guido Seeber. Waren ihre ersten Filme noch auf dem Gelände des Bioscop-Ateliers in der Berliner Chausseestraße realisiert worden, so kam es mit "Totentanz" zu jener Wende, nach der das  Babelsberger Gelände bleibender Teil der Filmgeschichte werden sollte. Im September 1913 wurde mit "Die Suffragette" ihre letzte Zusammenarbeit uraufgeführt, bei der Guido Seeber an der Kamera bereits von Emil Schünemann und Karl Freund unterstützt wurde. Gemeinsam mit Freund feierten Urban Gad und Asta Nielsen daraufhin weitere Erfolge wie "Engelein"(1913/14) und "Weiße Rosen"(1914/15).

Quelle: FMM
"Der Student von Prag": Paul Wegener in einer Doppelrolle

"Der Student von Prag" und "Der Golem": Vom Autorenfilm bis zur monumentalen Mystik
Guido Seeber hingegen arbeitete ab 1913 vor allem mit Paul Wegener und Stellan Rye zusammen. Gemeinsam bildeten sie das neue Startrio und schufen Filmklassiker wie "Der Golem" und "Der Student von Prag", der 1913 eine neue Ära in Babelsberg einläutete. Diese Initialzündung des frühen Autorenfilms – so genannt, weil Literaten wie Rye und Hanns Heinz Ewers nun auch Filme realisierten – gilt noch heute als Meilenstein der deutschen Filmgeschichte, dessen aufwendige Inszenierung auch international für Aufsehen sorgte. Vor allem die von Seeber perfektionierte Mehrfachbelichtungstechnik, die Wegener in einer Doppelrolle erscheinen lässt, erstaunte das Publikum im In- und Ausland. In diesem Verfahren wird derselbe Abschnitt eines Filmstreifens zweimal belichtet, wobei jeweils eine Hälfte der Kameralinse verdeckt bleibt. So war es möglich, Paul Wegener ohne großen technischen Aufwand doppelt, jeweils rechts und links, in einem Bild auftreten zu lassen. In diesem Doppelgängermotiv lässt sich zugleich die Tendenz des Drehbuchautors Hanns Heinz Ewers zur schwarzen Romantik erkennen, die den Babelsberger Stil nachhaltig prägte.

In dieser kurzen Blütezeit vor dem Krieg profitierte das Filmstudio vom Erfolg der Autorenfilme. Berliner Theaterstars gingen in Babelsberg ein und aus. Es herrschte gute Stimmung unter den Mitarbeitern und man fühlte sich, so Margarete Berner-Suchy, Sekretärin der Bioscop bis 1914, wie "eine große Familie". Niemand störte sich daran, dass es außer Aufnahme und Inszenierung keine spezialisierten Aufgabenbereiche gab und somit bei den meisten Entscheidungen einfach der Regisseur das letzte Wort behielt.

Kurz vor Kriegsbeginn wurde 1914 mit "Der Golem" ein neuer Höhepunkt fertig gestellt. In den erfolgreichen Golem-Filmen fungierte Paul Wegener als Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur und avancierte so zum Allround-Star der Deutschen Bioscop GmbH. Ebenso glänzte Otto Ripperts sechsteilige, mystische "Homunculus"-Reihe ab 1916 mit aufwendigen Tricks und Kulissen und legte den Grundstein für den Serienfilm in Deutschland. Die deutsche Stummfilm-Phantastik war geboren, die sich im Expressionismus der Weimarer Jahre weiter entfalten sollte.

Quelle: DIF
"Der Golem": Paul Wegener, Lyda Salmonova

Schnitt! Der Erste Weltkrieg als Zäsur
Die großen Babelsberger Produktionen trugen wesentlich zur Etablierung des Films als ernstzunehmendes künstlerisches Medium bei. Dabei sollte der monumentale Stil über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Studios hinwegtäuschen, die mit Beginn des Ersten Weltkrieges einsetzten. Der Kriegseinzug vieler Mitarbeiter – darunter auch Seeber und Rye – löste einen Personalmangel aus. Frauen hielten den Betrieb am Laufen, verschiedene Regisseure kamen und gingen, manchmal sprangen auch die Geschäftsführer ein.

Die Zukunft des Studios warf nicht zuletzt im Ludendorff-Brief ihre Schatten voraus, in dem eine staatlich geregelte Filmindustrie gefordert wurde – die erste Anbahnung der Ufa. Ab 1918 musste das Atelier oft vermietet werden, um die Babelsberger Finanzen aufzubessern. Es folgten häufige Besitzerwechsel, bis sich 1920 die Deutsche Bioscop Gesellschaft mit der deutschen Niederlassung des französischen Filmkonzerns Eclair Decla zusammenschloss und die Decla-Bioscop AG bildete. Zu dieser Zeit leitete Erich Pommer die Auslandsvertretung. Ein Jahr später fusionierte die Decla-Bioscop mit der Universum-Film AG (Ufa).

Damit begann die neue international geachtete Glanzzeit des Babelsberger Studios und zugleich die Tradition diverser staatlicher Einflussnahmen. Die Nachkriegsjahre zeichneten sich durch Experimente und avantgardistische Stilrichtungen aus; neue Ideen und Kunstrichtungen suchten und fanden ihren Ausdruck. Anfang 1923 übernahm Erich Pommer die Oberleitung der in die Ufa integrierten Decla-Bioscop. Eine neue Ära in Babelsberg sollte beginnen.