Inhalt
Spielfilm nach Juan Morenos Sachbuch "Tausend Zeilen Lüge" über den Fall Relotius.
Der erfolgreiche, vielfach ausgezeichnete Journalist Lars Bogenius zieht mit seinen brillant geschriebenen Artikeln unzählige Leser*innen an - so viele, dass er eigenhändig für einen beachtlichen Teil der Auflage des renommierten Magazins verantwortlich ist, für das er schreibt. Doch Kollege Juan Romero entdeckt in seinen Artikeln einige Ungereimtheiten und erfundene Komponenten. Während seine Vorgesetzten ihm nicht glauben wollen und eher Neid hinter seinen Vorwürfen vermuten, stürzt Romero sich in eine umfassende Recherche, in welcher er den Wahrheitsgehalt der Reportagen von Bogenius Detail für Detail prüft. Romero riskiert damit nicht nur seine Karriere, denn seine Besessenheit wird auch für seine Familie zur Zerreißprobe. Eine Reise an die Grenze zwischen den USA und Mexiko, Schauplatz einer Reportage von Bogenius, soll endlich den Beweis für dessen Lügen erbringen.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Sein „Spiegel“-Kollege, der freie Mitarbeiter Juan Moreno, hat 2018, eher unfreiwillig und gegen heftigen Widerstand seiner Arbeitgeber, die Fälschungen aufgedeckt. Dabei stößt er an Grenzen, die nicht nur seinen Job gefährden, sondern auch seine Familie. In seinem im September 2019 bei Rowohlt in Hamburg erschienenen Bericht „Tausend Zeilen Lügen – Das System Relotius und der deutsche Journalismus“ erzählt Moreno auf 288 Seiten vom Aufstieg und Fall eines jungen Starjournalisten – und die unglaubliche Geschichte einer mit sechzig Fake-Stories beispiellosen Täuschung.
Dabei schrieb Claas Relotius immer genau das, was sein Ressortchef Matthias Geyer und der designierte Chefredakteur Ullrich Fichtner lesen wollten. Weshalb seine Fälschungen jahrelang unentdeckt bleiben konnten. In seinem Sachbuch hat sich Juan Moreno nicht zuletzt die Frage gestellt, was diese Verhältnisse über den Qualitäts-Journalismus, den ein Medium wie „Der Spiegel“ für sich reklamiert, aussagen.
Diese Frage haben sich Drehbuchautor Hermann Florin und Regisseur Michael „Bully“ Herbig in ihrer Leinwandadaption „Tausend Zeilen“ nicht gestellt. In ihrer hybriden Mischung aus Realfilm mit verschlüsselten Namen und fiktiver Familienkomödie mit Marie Burchard als Gattin und vierfacher Mutter Anne Romero sowie Kurt Krömer als Fahrkartenkontrolleur, stehen die beiden Protagonisten Lars Bogenius (als Claas Relotius) und Juan Romero (als Juan Moreno) auch als Erzähler ganz im Mittelpunkt einer die vierte Wand durchbrechenden Satire.
Zum Thema privater Milizen an der Grenze zwischen Mexiko und den USA sollen Romero, freier Mitarbeiter des hier „Chronik“ genannten Nachrichtenmagazins, und der vielfach preisgekrönte Redakteur Bogenius eine investigative Titelstory verfassen: Ersterer von Südmexiko, Letzterer von Arizona aus. Während Bogenius seine gefälschte Story am Pool eines Luxushotels in Los Angeles in den Laptop tippt, recherchiert Romero mit seinem österreichischen Fotografen Milo vor Ort.
Als er Zweifel an der Seriosität des Skriptes seines prominenten Ko-Autors äußert, schenken ihm seine Chefs Rainer M. Habicht (als Matthias Geyer) und Christian Eichner (als Ullrich Fichtner) keinen Glauben. Weshalb sich Juan und Milo auf eigene Kosten nach Arizona aufmachen und dort vom angeblichen Informanten Jack Webber erfahren, dass er Lars Bogenius nicht zu Gesicht bekommen hat. Den Stein ins Rollen bringt freilich erst ein prominenter amerikanischer Rechtsanwalt, der Habicht und Eichner telefonisch auf dem Golfplatz erreicht…
„Die Wahrheit. Sonst nichts“ lautet der Werbespruch des „Chronik“-Magazins. „Tausend Zeilen“, die, so der Warner-Pressetext, „moderne Mediensatire“, ist einer eigenen Wahrheit verpflichtet, wie Michael „Bully“ Herbig im Presseheft bekundet: „Ähnlichkeiten mit unwahren Ereignissen könnten zufällig zutreffen. Die Fakten werden aber mit Sicherheit verdreht, damit´s am Ende stimmt!“ Also: Mainstream-Unterhaltung statt Arthouse-Tiefgründigkeit. Hat mir, gerade auch durch den außergewöhnlichen kinogemäßen Zugriff auf die Sachbuch-Vorlage, 93 höchst unterhaltsame Minuten vor der großen Leinwand ohne Risiken und Nebenwirkungen beschert.
Pitt Herrmann