Inhalt
Anita und Fred, beide Anfang siebzig, sind seit 50 Jahren zusammen und fast genauso lange verheiratet. Sie haben zwei erwachsene Kinder. Fred hat es als Kaufmann zu einigem Wohlstand gebracht, das Paar lebt in einem großzügigen Haus mit idyllischem Garten. Eines Morgens findet Anita zufällig heraus, dass Fred heimlich eine Wohnung gemietet hat – laut Fred lediglich ein Ort zum Nachdenken. Fred hat Krebs und verweigert – gegen den Willen seiner Frau, die ihn einen Egoisten schimpft - die Behandlung. Anita trifft einen verzweifelten Entschluss: Wenn Fred sein Leben nicht mehr mit ihr teilen will, verlässt sie eben ihn. Sie zieht in eine Seniorenresidenz und reagiert zunächst ablehnend auf Freds Versuche, sie zurückzuholen, kehrt dann aber nach mehrmaligem Insistieren erschöpft und glücklich nach Hause zurück. Ausgelassen tanzen sie auf der Abiturfeier ihrer Enkelin. Die Nacht verbringen sie im Hotel. Sie lieben sich, tauschen Erinnerungen an ihr bewegtes Leben und ihre Liebe aus. Am nächsten Morgen machen sich Anita und Fred elegant zurecht wie für ein Fest: Er im dunklen Anzug, sie ganz in Schwarz. Bevor sie das Haus verlassen, ziehen sie die Vorhänge zu. Ein Taxi holt sie ab. Auf dem Rücksitz halten sich Anita und Fred an den Händen…
Quelle: Internationale Hofer Filmtage 2010
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Es ist also nichts besonderes, wenn sich Fred nach dem Frühstück, bei dem übrigens Anita interessiert in der Zeitung liest, ins Büro verabschiedet. Sie fährt erst später in die Stadt, um einige Besorgungen zu machen. Wo sie ihren Mann von weitem auf der Straße sieht: Neugierig, keinesfalls misstrauisch oder gar eifersüchtig, folgt sie ihm – und steht plötzlich in einem frisch renovierten, noch gänzlich leeren Appartement mit herrlichem Blick über die Stadt.
Fred ist so verlegen, als habe sie ihn inflagranti erwischt – und so reagiert Anita auch auf seine Erklärung, er habe die Wohnung als Investition erworben, nicht als Liebesnest. Sie glaubt ihm nicht, dass er einfach nur einen Ort zum Nachdenken brauche – dafür sei die Villa schließlich groß genug. Anita ist zutiefst verletzt, dass Fred sie das erste Mal in dem mehr als halben Jahrhundert ihrer bisher so ungetrübten Liebesbeziehung vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Und das ausgerechnet so kurz vor einem wichtigen Datum: ihre Tochter Karoline, allein erziehende Mutter der kurz vor dem Abitur stehenden und bei den Großeltern wohnenden Yvonne, heiratet Mathis, einen ausgesprochen sympathischen, ja liebevollen Mann.
Zur Hochzeit reist auch ihr zweites bereits erwachsenes Kind, Patrick, an – und bezieht natürlich „sein“ altes Zimmer im Elternhaus. Er merkt sofort, dass etwas daheim nicht stimmt – und hakt nach. Dabei rutscht der immer noch auf Fred wütenden Anita heraus, was zumindest bis nach der Hochzeit ein Geheimnis bleiben sollte: Vater ist an Prostatakrebs erkrankt. Der bösartige Tumor wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gänzlich aus dem Körper entfernen lassen, weshalb Fred beschlossen hat, sich nicht einer Operation zu unterziehen sondern die ihm noch verbleibende Zeit zu genießen. Noch so eine einsame Entscheidung...
Erst nach der sehr romantisch in ländlicher Idylle gefeierten Hochzeit erfährt das frisch getraute Paar die Wahrheit – und reagiert erwartungsgemäß entsetzt. Doch ihrer Abreise steht ebenso wenig im Wege wie der Patricks: Die beiden Alten werden sich schon zusammenraufen, zumal sie Yvonne unterstützen wollen in ihren Abiturvorbereitungen. Freilich: die erste (Gewitter-) Nacht ohne Fred an ihrer Seite lässt Anita einen verzweifelten Entschluss fassen. Sie bezieht ein Zimmer in einem exklusiven Seniorenheim und lässt sich auch von Freds täglichen Besuchen dort nicht umstimmen.
Um dann eines Tages doch wieder in der Villa und vor allem in ihrem über alles geliebten Garten zu stehen: das Leben im Seniorenheim der resoluten Managerin Koch ist keine Alternative für Anita. Ihr graut vor der Vorstellung, auch sie müsse eines Tages die Bevormundung durch Schwester Sophie über sich ergehen lassen wie ihre um einiges ältere Mitbewohnerin Margot Mulder.
Und so tanzen die Großeltern auf Yvonnes Abiturfeier in ausgelassener Stimmung mitten unter all' den jungen Leuten, um sich zu vorgerückter Stunde klammheimlich davonzustehlen: den Rest der Nacht verbringen sie im Hotelbett. Anita und Fred haben sich wieder gefunden, wollen für immer zusammen bleiben. Am anderen Morgen machen sie sich zurecht, als wollten sie in die Oper gehen: ein Taxifahrer chauffiert sie vor die Tür ihres bis auf ein Sofa immer noch leeren Appartements...
„Satte Farben vor Schwarz“ ist Sophie Heldmans Kinodebüt, ihr Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). 1973 in Hamburg geboren und in der Schweiz aufgewachsen sammelte die Wahl-Berlinerin erste Filmerfahrungen in den USA, bevor sie in Berlin und New York studierte. Die Assistentin u.a. von Sydney Pollack, Xavier Koller und Daniel Schmid hat für ihren lakonisch-unterkühlten, beinahe dokumentarisch-distanzierten Erzählstil mit Christine Anna Maier eine kongeniale Kamerafrau gefunden. Beiden ist ein nachhaltig beeindruckendes, weil nachdenklich machendes Leinwand-Kammerspiel über das hierzulande vor allem durch kirchlichen Einfluss immer noch tabuisierte Thema des selbstbestimmten Sterbens gelungen, das naturgemäß von der Klasse-Besetzung mit Senta Berger und Bruno Ganz lebt.
Dabei ist das melancholische, auf melodramatische Effekte verzichtende Drama auch ein Ensemblefilm, der bis in kleinste Episodenrollen hochkarätig besetzt ist. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit im persönlichen Umfeld der Regisseurin: „Suizid muss nicht immer Unglück und Ausweglosigkeit bedeuten“, so Sophie Heldman im Farbfilm-Presseheft. „Anita und Fred handeln im Film wie die realen Personen im Leben: Sie wählen den Freitod nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Der Freitod ist für sie ein Mittel, um das Leben selbstbestimmt und ohne Leid zu beschließen.“ Die Deutsche Erstaufführung fand bei den 44. Internationalen Hofer Filmtagen (26.-31.10. 2010) statt, die TV-Erstausstrahlung war am 27. Juni 2013 in der ARD.
Pitt Herrmann