Inhalt
Die Verfilmung von Ingrid Nolls gleichnamigen Roman-Bestseller führt mit Rückblenden durch persönliche Erinnerungen und damit auch durch 60 Jahre deutscher Geschichte: Charlotte hat beinahe ihr ganzes Leben auf ihre große Liebe gewartet. Hugo jedoch war der Mann ihrer Schwester, und so gingen er und Charlotte getrennte Wege: Hinter ihr liegen der Zweite Weltkrieg, ein Ehemann, Liebhaber, ein Leben als dreifache Mutter und – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Leiche im Keller. Mit über 80 trifft sie nun Hugo wieder, der seinerseits zu spät bemerkt hat, dass er und Charlotte füreinander bestimmt gewesen waren – und es auf eine Art noch immer sind: "Vielleicht braucht es ein ganzes Leben, um fünf Minuten glücklich sein zu können."
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Ida erwartet von Hugo, einem schwärmerischen Literaten, der sich später als kleiner Buchhändler und Rezeptionist in einem Ami-Hotel durchschlägt, ein Kind. Und ihre Eltern erwarten, dass die beiden heiraten und der Schwiegersohn von seinen künstlerischen Flausen ablässt, um ins Schuhgeschäft einzusteigen. Doch bei der Hochzeit kommt es zum ersten Knall: Charlotte gesteht ihre Liebe zum Bräutigam, die dieser – heimlich – auch erwidert. Der sich unverstanden fühlende Albert erhängt sich auf dem Dachboden.
Jahre einer versäumten Liebe brechen an: Zwei junge Menschen, Charlotte und Hugo, wie füreinander geschaffen, sind nicht in der Lage, ihre Liebe wirklich zu leben. „Vielleicht braucht es ein ganzes Leben, um fünf Minuten glücklich zu sein“ bilanziert Charlotte. Aber da sind fünfzig Jahre vergangen und sie steht bereits im Achtzigsten. Auch Charlotte hat geheiratet, den älteren und eher langweiligen Lehrer Bernhard. Der bleibt im Krieg verschollen, sodass für eine kurze Zeit die alte Liebesbeziehung mit Hugo wieder aufflammt. Doch eines Nachts erscheint der Totgeglaubte in der Tür – als ein körperliches und seelisches Wrack. Nach einer versuchten Vergewaltigung geschieht ein Unfall, bei dem Bernhard stirbt. Charlotte und Hugo mauern die Leiche im Keller des Hauses ein.
Zu allem Überfluss erscheint der blinde Spätkeimkehrer Anton, ein Kriegskamerad Bernhards, auf der Bildfläche. Er zieht zu Charlotte, ihrer Tochter Regine und ihrem Enkel Felix, verdingt sich als Masseur – und fällt später einem Autounfall zum Opfer. Nach fünfzig Jahren kehrt Hugo (nun gespielt vom großartigen Heinz Bennent), der Mann ihrer Schwester, von dem sie weiß, dass er der richtige für sie gewesen ist, zu Charlotte zurück. Doch die lebt inzwischen ihr eigenes Leben, hat den Krieg, den Ehemann und den einstigen Liebhaber überwunden, ist dreifache Mutter geworden. Und doch fühlt die nun schon über Achtzigjährige das Wiedererwachen ihrer großen Liebe.
Alte Rechnungen werden beglichen: Die Leiche im Keller wird ausgegraben und vom entsetzten Enkel „entsorgt“. Und Charlotte gibt das große Geheimnis ihres Lebens preis: Hugo ist der wirkliche Vater ihrer Tochter Regine. Bevor die Story nun gänzlich in den Kitsch abgleitet, haucht Hugo sein Leben auf dem Rücksitz von Regines Auto aus...
„Kalt ist der Abendhauch“ ist also ein typischer Ingrid Noll-Romanstoff, und wer solche Epen liebt, ist bei Rainer Kaufmanns hochkarätig besetzter Verfilmung bestens aufgehoben. Denn ihm ist es gelungen, die bei Noll in voller Roman-Breite ausgewalzten, vielfältig verschachtelten Handlungsstränge zu einer stringenten, plausiblen und nachvollziehbaren Filmhandlung zu bündeln. Zur Musik von Niki Reiser ist eine opulente Lebens-, Liebes- und Familiengeschichte entstanden über Menschen, die alt werden, sich aber ihre junge Liebe bewahren konnten. Ein großes Leinwandepos aus deutscher (TV-Ko-) Produktion, melancholisch, grotesk-makaber, am Anfang wirklich spannend – und am Ende reichlich klamottig. Was Ingrid Noll-Fans auch nicht anders erwarten. Was sie bei Rainer Kaufmann dazu bekommen ist ein stimmiges Porträt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die TV-Erstausstrahlung war am 20. April 2003 auf Sat 1.
Pitt Herrmann