Die Filmkomödie der Weimarer Republik

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Karl Jöken (2.v.l.), Max Hansen (vorne), Paul Morgan (rechts) und die Band Weintraubs Syncopators in "Das Kabinett des Dr. Larifari" (1930)
 

"Das Cabinet des Dr. Caligari", "Metropolis", "Nosferatu", "Faust", "M", "Der blaue Engel" – die Weimarer Republik gilt als die Blütephase des deutschen Films. Die Vielzahl international gefeierter Klassiker der Filmkunst haben diesen Ruf begründet, doch zu diesem "goldenen Zeitalter der Filmgeschichte" gehört wesentlich mehr. Das Filmgeschäft in der Weimarer Republik war eine expandierende, höchst lebendige Industrie, deren Jahresproduktion zwischen 200-500 Filmen lag, wie der Filmhistoriker Anton Kaes bemerkt, "an Größe nur noch von Hollywood übertroffen" wurde: "Das Weimarer Kino bestand nicht nur, wie es heute scheinen könnte, aus einem dutzend klassischer Filme, die inzwischen einen Kanon bilden (...). Es gab vielmehr einen ganzen Kontinent von meist schnell hergestellten Genre- und Serienfilmen, die als Teil der Alltagskultur ohne Kunstanspruch nur Unterhaltung und Zerstreuung bieten wollten." Einen der wichtigsten und zugleich umstrittensten Zweige dieser ambitionierten Industrie bildet die Komödie, das Filmlustspiel.

 

Komischer Kintopp

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Ernst Lubitsch in "Schuhpalast Pinkus" (1916)
 

Bereits Ende der 1910er Jahre konnte die Filmkomödie auf eine eigene Tradition zurückblicken, der komische Kintopp hatte sich schon im Deutschen Kaiserreich und zur Zeit des Ersten Weltkriegs etabliert. In kurzen Filmgrotesken – wie z.B. "Willys Streiche – Klebolin klebt alles" (1909) mit dem damals siebenjährigen Curt Bois – zeigten Komödianten wie Karl Valentin ihr Können und etablierten sich frühe Stars des Genres wie Gerhard Dammann, der mit Film-Serien um seine Figuren Bumke und Luny zum beliebtesten Komiker des frühen deutschen Films avancierte. Ernst Lubitsch entwickelte in Filmen wie "Fräulein Seifenschaum" (1914) und "Schuhpalast Pinkus" (1916) sowohl als Regisseur wie auch als Hauptdarsteller jenen ironischen Tonfall, den er später als Starregisseur in Hollywood vervollkommnen sollte. Mit dem Drehbuchautor Hanns Kräly und Stars wie Ossi Oswalda realisierte er Komödien, die, so der Filmhistoriker Thomas Brandlmeier, "mitten im wilhelminischen Ordnungsstaat" gleichsam vorrevolutionär bereits "alle Zeichen seiner späteren Zersetzung" präsentierten.

Lustspiel-Misere

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Emil Jannings und Henny Porten in Ernst Lubitschs "Kohlhiesels Töchter" (1920)
 

Die meisten Größen des komischen Kintopp wirkten auch in Weimar, nicht wenige schufen in dieser Epoche ihre berühmtesten Werke – was jedoch wenig daran änderte, dass die Stellung der deutschen Komödie umstritten blieb. 1919, im Gründungsjahr der Weimarer Republik, beklagte Ernst Lubitsch öffentlich die "Misere des Filmlustspiels" und damit die "Gleichgültigkeit, mit der in den deutschen Filmfabriken das Filmlustspiel behandelt wird".Zu den Problemen der deutschen Filmkomödie bis zum Ende der 1920er Jahre zählten einerseits die auch auf dem deutschen Markt erfolgreichen Filme der Hollywoodstars Charlie Chaplin, Buster Keaton und Harold Lloyd. Es ging jedoch keineswegs nur um internationale Konkurrenz – zeitgleich existierten auch anhaltende nationale Ressentiments gegenüber dem Filmlustspiel als einem indiskutablen Vergnügen für "Menschen mit geläutertem Geschmack". 1925, sechs Jahre nach Lubitschs Protest, forderte die Tänzerin und Schauspielerin Valeska Gert: "Sowie die Deutschen aber den Mut haben werden, ihre eigene Groteske zu suchen, werden sie, genau wie Amerika, erstklassige Groteskfilme machen können." Noch 1928 wiederholte der Kritiker Hans Tasiemka die Überlegenheit der amerikanischen Komiker und konstatierte: "Komische Talente sind im deutschen Film sehr dünn gesät." Dass Tasiemka dieser Diagnose ein Loblied auf den Ausnahmekomödianten Siegfried Arno folgen ließ und ihn mit Buster Keaton auf eine Stufe stellt, ist ein Indiz für die durchaus vorhandene Qualität der Weimarer Filmkomödie.

Sternstunden und Stars

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Siegfried Arno in "Ihr dunkler Punkt" (1928)
 

Tatsächlich kann bei der Entwicklung der Filmkomödie in der Weimarer Republik nicht unbedingt von einer "Misere" gesprochen werden. Im selben Jahr, in dem Lubitsch seine öffentliche Anklage erhob, feierte auch sein satirisches Märchen "Die Austernprinzessin" Premiere, in dem die Kritikerin Frieda Grafe 1972 den Höhepunkt der deutschen Komödie erkannte: "Der beste komische Film, der je in Deutschland gemacht worden ist, eine Groteske von destruktiver Vulgarität." Vor und hinter der Kamera, z.B. in Produktionen wie "Der Himmel auf Erden" (1926/27) und "Herkules Maier" (1927), bewies auch Reinhold Schünzel seine Meisterschaft, die er bis zu seiner Flucht aus Deutschland in Meisterwerken wie "Viktor und Viktoria" (1933) und "Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück" (1935) als Regisseur und Autor demonstrierte. Zwar entwickelte sich hier kein internationaler Starkult, der dem von Chaplin, Harold Lloyd oder Max Linder vergleichbar gewesen wäre; dennoch brachte auch die Weimarer Komödie eine Reihe von Publikumslieblingen hervor. Zu ihnen gehörten Ossi Oswalda, Lilian Harvey, Renate Müller, Adele Sandrock, Jenny Jugo und Anny Ondra ebenso wie ihre männlichen Kollegen Siegfried Arno, Felix Bressart, Willy Fritsch, Curt Bois, Theo Lingen, Julius Falkenstein, Otto Wallburg oder der junge Heinz Rühmann, der mit dem Publikumshit "Die Drei von der Tankstelle" 1930 seinen Durchbruch feierte. 1925 beschrieben Kritiker den schlaksigen Siegfried Arno als "ganz selbständigen Groteskkomiker großen Formats", als "den deutschen Chaplin", mit dem "man eine deutsche Groteske schaffen könnte". Rudolf Arnheim lobte Felix Bressart 1931 als komödiantisches "Sperrgut", als den einzigen, "in dem wir uns erkennen." Otto Wallburg, im Volksmund "der Blubberer" genannt, wurde von Kurt Tucholsky 1927 als "Badeengel aus Zelluloid" umschwärmt. Unterschiedliche Spielarten boten diesen Stars Plattformen für ihre Komik. Neben den beliebten Militärschwänken sowie den Bauernschwänken und Heimatfilmen war die musikalische Komödie, die nach dem Siegeszug des Tonfilms Ende der 1920er Jahre auf den Markt drängte, eine bleibende Größe im Weimarer Kino. Dabei tauchte auch die Travestie, das Spiel mit geschlechtlichen Rollenwechseln, immer wieder auf. Umso auffälliger erscheint das teils moderne Verwirrspiel um Geschlechterrollen, als es anschließend im Kino Nazideutschlands nahezu restlos verschwand.

Letzte Höhepunkte

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Lilian Harvey und Willy Fritsch
 

Unmittelbar vor dem Ende der Weimarer Republik erlebte die Filmkomödie ihre größte und kürzeste Blütezeit. 1930 erhöhte sich der Anteil der Komödien und Operetten an der Gesamtproduktion auf über 40% und stieg noch bis 1932 auf über 64% an. "Die drei erfolgreichsten Filme der Saison 1930/31", notiert der Filmhistoriker Ulrich von Thüna, "waren die musikalische Komödie "Die Drei von der Tankstelle", die Militärgroteske "Drei Tage Mittelarrest" und die historische Komödie "Das Flötenkonzert von Sanssouci"." Einerseits könnte diese Hochphase der Unterhaltung mit den Auswirkungen der großen Wirtschaftskrise erklärt werden; mit dem Bedürfnis des Publikums nach einer besonders zeitgemäßen Ablenkung. Viele der Komödien dieser Zeit – so z.B. "Die Drei von der Tankstelle", "Fünf von der Jazzband" (1932) und die grandiose Film-im-Film-Satire "Das Kabinett des Dr. Larifari" (1930) – gingen direkt auf Geldnot und Krisenstimmung ein: "Erste Funktion des Lustspiels der Depressionszeit war es," so Ulrich von Thüna "Überlebenshilfe zu leisten." Andererseits aber spielte ebenso die Entwicklung des Tonfilms eine Rolle, mit dem nun die bislang vernachlässigten Stärken der Theaterkomödie und -Operette auf der Leinwand ausgespielt werden konnten. "Für die deutsche Prominenz von Varieté und Brettl", schreibt Thomas Brandlmeier, "wird erst mit dem Tonfilm das Kino richtig attraktiv."

Verdrängtes Lachen

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Otto Wallburg
 

Die letzte Hochphase der Komödie am Vorabend der NS-Zeit bedeutete gleichzeitig die letzte Hochphase jener Filmschaffenden, die in Nazideutschland Opfer des Antisemitismus und des völkischen Rassismus wurden. Von Beginn an war die Geschichte der deutschen Filmkomödie gerade von jüdischen Künstlerinnen und Künstlern geschrieben worden. Namen wie Ernst Lubitsch, Curt Bois, Paul Morgan, Franziska Gaal, Siegfried Arno, Blandine Ebinger, Reinhold Schünzel, Rosa Valetti, Erich Pommer, Fritz Schulz, Trude Berliner, Felix Bressart und Kurt Gerron stehen dafür. Allein in den letzten zwei Jahren vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler waren Arno und Bressart noch in jeweils knapp 20 Filmkomödien zu sehen, Fritz Schulz in 25 und Otto Wallburg in über 30 Filmen. Otto Wallburg wurde wie auch Paul Morgan, Max Ehrlich, Kurt Gerron und viele andere von den Nazis ermordet, er starb 1944 in Auschwitz. Über 1.500 Filmschaffende mussten aus Deutschland fliehen, die wenigsten fanden im Exil ihr Glück. Die Folgen dieses Verlustes sind im deutschen Film bis heute spürbar – nicht nur in der Qualität der Filme, sondern auch in der Nachhaltigkeit, mit der jüdische Stars des Weimarer Kinos in Vergessenheit geraten und somit bis heute erfolgreich verdrängt worden sind.