Weitere Namen
Hans Jürgen Traugott Böttcher (Geburtsname) Strawalde (Pseudonym)
Darsteller, Regie, Drehbuch, Schnitt, Musik
Frankenberg (Sachsen)

Biografie

Jürgen Traugott Böttcher, geboren am 8. Juli 1931 im sächsischen Frankenberg, wuchs in Strahwalde in der Oberlausitz auf. Von 1949 bis 1953 studierte er in der kurz zuvor gegründeten DDR Malerei an der Dresdner Akademie für Bildende Künste. Anschließend arbeitete er als freischaffender Künstler und gab Kurse an der Dresdner Volkshochschule, wo unter anderem A. R. Penck und Peter Makolies zu seinen Schülern zählten. 1955 nahm Böttcher ein Regiestudium an der im Jahr zuvor gegründeten Deutschen Hochschule für Filmkunst (später: Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf'; heute: Filmuniversität Babelsberg 'Konrad Wolf') in Potsdam auf. Bereits mit seinem Abschlussfilm "Notwendige Lehrjahre" (1960) sorgte er für Aufsehen. Darin porträtierte er auf einfühlsame und vorurteilsfreie Weise straffällig gewordene Jugendliche in einem Thüringer Jugendwerkhof.

Nach dem Studium bekam Böttcher eine Stelle im DEFA-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme. In seiner ersten DEFA-Arbeit, dem Kurz-Dokumentarfilm "Drei von vielen" (1961), griff er auf seine Erfahrungen als Kunstlehrer zurück und porträtierte mehrere junge Arbeiter (darunter Penck und Makolies), die sich für Bildende Kunst interessieren und individuelle Lebensentwürfe anstreben. Dieses Bild entsprach jedoch nicht dem offiziellen DDR-Ideal des Arbeiters – der Film wurde verboten und erst 1988 auf dem Internationalen Filmfestival Edinburgh im Rahmen einer Böttcher-Retrospektive uraufgeführt.

Ebenfalls 1961 wurde Böttcher nach einer Gruppenausstellung in der Akademie der Künste für seine Malerei scharf kritisiert. Im Zuge der folgenden Formalismus-Debatte erfolgte sein Ausschluss aus dem Verband Bildender Künstler. Seine beruflichen Möglichkeiten als Künstler waren damit faktisch zerstört.

Dennoch behielt Jürgen Böttcher seine Stelle bei der DEFA und konnte auch weiterhin Kurz-Dokumentarfilme drehen. Dabei befasste er sich immer wieder mit den Lebensentwürfen junger Menschen und den Berufswelten einfacher Arbeiter. Sehr positiven Anklang sowie internationale Aufmerksamkeit erfuhr "Ofenbauer" (1962), der die Verschiebung eines 65 Meter hohen und 2000 Tonnen schweren Hochofens im Eisenhüttenkombinat schilderte. "Stars" (1963) erzählte von Fließband-Arbeiterinnen im Glühlampenwerk Berlin; für "Barfuss und ohne Hut" (1965) begleitete er eine Gruppe Jugendlicher während eines Urlaubs an der Ostsee. Der Film vermittelte ein sehr realistisches Bild jugendlicher Lebensgefühle in der DDR Mitte der 1960er Jahre, wurde aber von den Behörden als zu wenig "repräsentativ" kritisiert; er bekam zwar eine Freigabe, erhielt aber keine nennenswerte Kinoauswertung. Weniger verfänglich geriet "Kindertheater" (1965), in dem Böttcher mit dem für ihn typischen Detailgespür hinter die Kulissen eines Kindertheaters blickte.

Obwohl Jürgen Böttcher als großer Verehrer des italienischen Neorealismus ursprünglich Spielfilmregisseur werden wollte, drehte er in seiner gesamten Karriere nur einen einzigen Spielfilm: "Jahrgang 45" (1966) handelt von einem Berliner Paar, dessen Ehe nach nur zwei Jahren bereits wieder vor dem Aus steht. Stilistisch orientierte Böttcher sich am realistischen Gestus des "cinéma vérité"; in der Schilderung des Beziehungsalltags und der großstädtischen Milieus mutet der Film beinahe dokumentarisch an. Bis auf die Hauptrollen besetzt er fast ausschließlich Laiendarsteller. Allerdings musste Böttcher die Arbeit an dem Film während der Rohschnittphase abbrechen. Der Grund: Beim 11. Plenum des Zentralkomitees der SED wurde "Jahrgang 45" als "nihilistisch und skeptizistisch" eingeschätzt. Erst im Jahr 1990, nach dem Ende der DDR, wurde er rekonstruiert und auf der Berlinale im Forum des Jungen Films uraufgeführt. Dort erhielt er eine Besondere Erwähnung der FIPRESCI-Jury sowie der Interfilm-Jury.

Nach dem herben Rückschlag mit dem Spielfilm "Jahrgang 45" kehrte Böttcher ins DEFA-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme zurück. Dort realisierte er in den folgenden Jahren vor allem kurze Filme für das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, so etwa "Wir waren in Karl-Marx-Stadt" (1967), über das Pfingsttreffen und das 8. Parlament der FDJ, und "Song International" (1971), über das 2. Festival des politischen Liedes in Berlin. Daneben konnte Böttcher aber auch persönlichere Projekte realisieren, so etwa "Der Sekretär" (1967), über einen Parteisekretär der SED in den Buna-Werken, und "Erinnere dich mit Liebe und Hass!" (1974), über die gesellschaftliche und politische Situation in Chile nach dem Militärputsch vom 11. September 1973. In "Ein Weimarfilm" (1977) porträtierte er die Stadt einerseits als deutsche Kulturhochburg, stellte diesem Bild aber die Tatsache gegenüber, dass sich in Weimar auch das KZ Buchenwald befand. "Martha" (1979), über die letzte Berliner Trümmerfrau, wurde bei den Oberhausener Kurzfilmtagen mit dem Preis der Mitarbeiter der Kurzfilmtage ausgezeichnet.

Unter dem Pseudonym "Strawalde" (angelehnt an den Ort seiner Kindheit) hatte Böttcher ab Mitte der 1970er Jahre auch zahlreiche Ausstellungen als bildender Künstler. Zu Beginn der 1980er Jahren machte er seine Kunstwerke auch zum Thema mehrerer Experimentalfilme: "Pottes Stier" (1981), "Venus nach Giorgione" (1981) und "Frau am Klavichord" (1981). Mit "Kurzer Besuch bei Hermann Glöckner" (1985) drehte er zudem ein sehr persönliches Porträt des damals 96-jährigen Malers Hermann Glöckner.

Der Themenkomplex Arbeitswelten blieb aber auch weiterhin ein zentrales Motiv seines filmischen Schaffens. In "Rangierer" (1984) schilderte er die routinierte Arbeit auf dem größten Rangierbahnhof der DDR in Dresden-Friedrichstadt; in "Die Küche" (1986) beobachtete er den harten Alltag der Küchenfrauen einer Rostocker Großwerft. Ein bedeutendes Zeitdokument drehte Böttcher mit "Die Mauer" (1990): Darin fing er die Atmosphäre und zahlreiche Stimmungsbilder um den Fall der Berliner Mauer 1989 ein. Im Forum der Berlinale 1991 wurde "Die Mauer" mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet; beim Europäischen Filmpreis 1991 erhielt er eine Besondere Erwähnung. Danach drehte Böttcher, der bis 1991 bei der DEFA angestellt war, zehn Jahre lang keinen Film. Als Künstler "Strawalde" blieb er gleichsam sehr aktiv und hatte zahlreiche Ausstellungen in Europa und Nordamerika. Stilistisch in der Tradition der klassischen Moderne stehend, befasste er sich in seinen Gemälden vor allem in den frühen 1990er Jahren mit der deutschen Wiedervereinigung.

1992 wurde Jürgen Böttcher mit dem Deutschen Filmpreis für sein Lebenswerk geehrt. 1994 verlieh man ihm in Frankreich den Titel "Officier de l'Ordre des Arts et des Lettres". 2001 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Mit seinem umfangreichen und eigenwilligen Werk war Böttcher der angesehenste DDR-Dokumentarfilm-Regisseur der 1970er und 80er Jahre – und das über die Grenzen der DDR hinaus. Seine Filme gelten heute als stilbildend für eine ganze Generation ostdeutscher Filmemacher.

Im Jahr 2000 realisierte Böttcher seinen bislang letzten Film: Der experimentelle Dokumentarfilm "Konzert im Freien" (2001) zeigt anhand historischer, seinerzeit von Böttcher gedrehter Aufnahmen die Entstehung des "Marx-Engels-Forums" in Berlin. Diesem Material stellte er neu gedrehte Bilder gegenüber und unterlegte die filmische Collage mit Free-Jazz-Musik. "Konzert im Freien" wurde 2001 auf der Berlinale gezeigt.

2006 würdigte man Böttchers Lebenswerk mit der "Berlinale Kamera"; 2011 erhielt er den Ehrenpreis seiner alma mater, der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf".

Jürgen Böttcher lebt in Berlin.

FILMOGRAFIE

2020/2021
  • Mitwirkung
2000/2001
  • Darsteller
  • Sprecher
  • Regie
  • Drehbuch
1992/1993
  • Mitwirkung
1991
  • Mitwirkung
1990
  • Schnitt
1990
  • Regie
  • Drehbuch
1990
  • Regie
1990
  • Mitwirkung
1987/1988
  • Sprecher
  • Regie
  • Drehbuch
1985/1986
  • Regie
  • Drehbuch
1984
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1984
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1984
  • Schnitt
1983/1984
  • Regie
  • Drehbuch
1983
  • Regie
  • Drehbuch
1981
  • Regie
  • Drehbuch
  • Schnitt
  • Musik-Beratung
1981
  • Regie
  • Drehbuch
  • Schnitt
  • Musik-Beratung
1981
  • Regie
  • Drehbuch
  • Schnitt
  • Musik-Beratung
1978/1979
  • Regie
  • Drehbuch
1977
  • Regie
  • Drehbuch
1977
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1976/1977
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1974
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1973/1974
  • Regie
  • Drehbuch
1972
  • Regie
  • Drehbuch
1972
  • Regie
  • Drehbuch
1971
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1970
  • Regie
  • Drehbuch
1969
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1967/1968
  • Regie
  • Drehbuch
1968
  • Regie
  • Drehbuch
1967
  • Regie
  • Drehbuch
1967
  • Regie
  • Drehbuch
1966
  • Regie
  • Drehbuch
1965
  • Regie
  • Drehbuch
1964
  • Regie
  • Drehbuch
1963/1964
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1963
  • Regie
  • Drehbuch
1962/1963
  • Regie
  • Drehbuch
1962
  • Regie
  • Drehbuch
1962
  • Regie
  • Drehbuch
1962
  • Regie
  • Drehbuch
1961
  • Regie
  • Drehbuch
1960
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kommentar
1958/1959
  • Regie
  • Drehbuch
  • Schnitt
1957
  • Regie
  • Drehbuch
  • Schnitt