Die Frau am Klavichord

DDR 1981 Kurz-Animationsfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Emanuel de Witte, als Sohn eines Lehrers um 1617 in Alkmaar geboren, trat 19-jährig in die Malergilde seiner westfriesischen Heimatstadt ein. Die ihm bald zu eng wurde, weshalb er nach Rotterdam zog und über einen mehrjährigen Aufenthalt als Mitglied der Lucasgilde in Delft schließlich in Amsterdam ansässig wurde. Wo er sich als Architekturmaler etablierte: Seine Öl-auf-Leinwand-Gemälde hauptsächlich von Kirchen, aber auch von Straßen, Plätzen und Innenräumen zeichnen sich durch ungewöhnliche Perspektiven und eine bisweilen geradezu suggestive Lichtführung aus, etwa wenn sich einfallendes Licht durch farbige Kirchenfenster bricht. Nach dem frühen Tod zweier Ehefrauen und juristischen Auseinandersetzungen setzte Emanuel de Witte 1692 in Amsterdam seinem Leben selbst ein Ende durch Ertrinken.

Für „Die Frau am Klavichord“, den dritten Teil seines filmischen Triptychons „Verwandlungen“, übermalte Jürgen Böttcher aka Strawalde eine Serie von 27 Kunstpostkarten der Genreszene „Interieur mit Frau am Virginal“ Emanuel de Wittes, entstanden zwischen 1665 und 1670, erworben vom polnischen König Jan III Sobieski (1629-1696) für den Wilanów Palast in Warschau und heute im Besitz des Museums Boijmans Van Beuningen in Rotterdam.

Das Ölgemälde zeigt die titelgebende Frau in niederländischer Tracht mit weit ausladender weißer Haube im Vordergrund rechterhand als Rückenbild. Sie spielt auf dem Clavichord, einem der ältesten besaiteten Tasteninstrumente, das besonders im 17. und 18. Jahrhundert eine große Rolle in der häuslichen Musik spielte. Im Zentrum des Bildes eine nur durch schmale Türrahmen sichtbare Abfolge mehrerer Räume bis zu einem halb geöffneten Fenster im Hintergrund. Das durch Fenster einfallende Licht wirft Muster auf den Boden und lässt im dritten Raum eine ähnlich gekleidete Frau, die den Boden fegt, mehr erahnen als erkennen.

Strawalde hat schon mehrfach, hierin dem 1953 mit seiner Familie aus Thüringen nach Westdeutschland geflohenen Künstlerkollegen Sigmar Polke und dem Österreicher Arnulf Rainer verwandt, Kunstpostkarten mit Farben übermalt. Für seinen 17-minütigen Kurzfilm, der ‘mal als Animations-, ‘mal gar als Zeichentrickfilm in den einschlägigen Portalen klassifiziert wird, hat er de Wittes Gemälde variiert. Jetzt taucht eine Bedienstete im Hintergrund mit Tablett auf und die Frau sitzt zunächst am Schreibtisch. Der Zuschauer kann live erste Übermalungen verfolgen, in denen schemenhafte Figuren in die perspektivische Raumfolge eingefügt werden.

Auch der Vordergrund variiert, eine venezianische Gondel wird durch einen Albrecht Dürerschen Hasen abgelöst und der wiederum durch einen liegenden menschlichen Akt. Wie Marionetten hängen miteinander verbundene Personen an Schnüren, darunter eine Mutter mit Kind. Die Durchsicht durch die Türrahmen auf die hinteren Räume ist nun versperrt u.a. durch die Äste eines stilisierten Baumes, durch kalligraphische Zeichen und geometrische Formen. Überblendungen und Einfärbungen erinnern an die surrealen pflanzlichen Formen eines Max Ernst, dann wieder an flämische Stillleben.

Mit einer Art Sprechgesang des Künstlers unterlegt nimmt Thomas Plenert die Verselbständigung des Bildes von seinem ursprünglichen Sujet auf. In einer Collage aus Detail-, Nah- und Ganz-Nah-Aufnahmen dokumentiert er Strawaldes an Action Painting in der Nachfolge Jackson Pollocks angelehntes Verfahren, an dessen Ende eine Art Musical-Show der Marke „Ein Kessel Buntes“ steht.

Wolfgang J. Ruf, 1975 bis 1985 Direktor der Westdeutschen Kurzfilmtage, anlässlich einer Wiederaufführung am 3. Mai 2025 bei den 71. Int. Kurzfilmtagen Oberhausen: „Bei Böttchers Film mag man in den destruktiven Übermalungen des bürgerlichen Interieurs die Kräfte der DDR vermuten, die auch den Künstler selbst bedrängten. Die Perspektive, die ein besonderes Merkmal von Emanuel de Witte war, nimmt dabei Schaden. Vielleicht sind es aber auch die dunklen Schatten aus der Geschichte dieses Bilds. Einst war es im Besitz von Jan III Sobieski, seit 1674 polnischer König, und hing im Schloss Wilanów. Später kaufte es Adolf Hitler für sein geplantes ‚Führermuseum‘ in Linz. Ob Jürgen Böttcher das wusste?“

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
478 m, 17 min
Format:
35mm, 1:1,33
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton

Titel

  • Originaltitel (DD) Die Frau am Klavichord
  • Arbeitstitel (DD) Verwandlungen

Fassungen

Original

Länge:
478 m, 17 min
Format:
35mm, 1:1,33
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton