Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Deutschland 2022/2023 Spielfilm

Inhalt

Sommer 1990. Ein Bauernhof an der deutsch-deutschen Grenze, die seit Kurzem keine mehr ist. West-Familienmitglieder kommen zu Besuch, alle tasten sich an die ungewisse neue Zeit heran, der Alltag bleibt, der Sommer ist heiß. Sohn Johannes hat für seine Freundin Maria und sich den Dachboden zum kleinen Idyll gemacht. Maria liest Dostojewski, streift durch die Wiesen und widmet sich auch sonst der Suche nach dem Existenziellen. Die Begegnung mit Henner, dem um einiges älteren Nachbarn, wird zum Prüfstand. Zum Sog. Schicksal. Man könnte sagen, eine tragische Liebe nimmt ihren Lauf. Allerdings wäre das tiefgestapelt angesichts all der rau-sinnlichen Feinheiten bei gleichzeitiger Archaik, die sich von Daniela Kriens subtilem Wenderoman in die Atmosphäre von Emily Atefs Film übertragen haben.

Selten hat die Adaption eines vibrierenden literarischen Texts selbst solche Schwingungen zu erzeugen vermocht und noch seltener dabei Tugenden im wahrsten Sinne revitalisiert, die manchem veraltet erscheinen mögen. Von Charisma erzählt dieser Film, von nackten Körpern, von Willenlosigkeit und Sehnsucht. Pur, direkt, offen. Ungeahnte deutsche Romantik.

Quelle: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)

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Heinz17herne
Heinz17herne
Ein Lufthauch weht durchs geöffnete Fenster. Endzeit im Arbeiter- und Bauernstaat zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung: Es ist ein heißer Sommer im Jahr 1990 in einem Dorf im Vogtland. Die in der Buchvorlage bald 17-jährige, in der Kino-Adaption zwei Jahre ältere Maria aus dem Nachbardorf lebt mit ihrem Freund Johannes auf dem Hof seiner Eltern. Trotz der Skepsis der Altbauern Frieda und Alfred, ob das verträumte Mädchen die Richtige sei für den designierten Hoferben, ist die Büchernärrin Maria von Vater Siegfried, Mutter Marianne und dem Nachzügler Lukas ganz selbstverständlich als Familienmitglied aufgenommen worden.

„Ich will heut nicht“: Maria, die für Dostojewskis Opus Magnum „Die Brüder Karamasow“ seit geraumer Zeit die Schule schwänzt, ein Satz des 20-jährigen Protagonisten Aljoscha gibt Daniela Kriens 2011 bei Graf in München erschienenem Roman und Emily Atefs Film den Titel, hilft bei der Ernte auf den weitläufigen Feldern und im Hofladen. Ein begehrter Wartburg Tourist steht auf dem Hof, so schlecht geht es des Brenners in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) also nicht.

Die nun freilich vor der Auflösung steht, weshalb Siegfrieds Bruder Hartmut zur ökologischen Bewirtschaftung rät und bei den nötigen Investitionen finanziell helfen will. Der Münchner Ingenieur mit eigenem Planungsbüro besucht nach Öffnung des Eisernen Vorhangs zusammen mit Gattin und zwei Kindern nach Jahrzehnten erstmals seine Eltern und sein Heimatdorf in Thüringen. Siegfried soll nach Bayern kommen und sich dort entsprechende Höfe anschauen.

Die neue Freiheit, noch stehen konsternierte DDR-Posten an den provisorisch geöffneten Grenzdurchgängen, die noch nicht einmal Ausweispapiere sehen wollen, nutzt Johannes, um sich vom Geldgeschenk seiner West-Tante Gisela, die als „Hausfrau“ staunend wahrnimmt, dass Marianne selbstverständlich einen Beruf erlernt und diesen auch ausgeübt hat, eine Mittelformat-Kamera zu kaufen. „Das ist meine Zukunft“ schwärmt er, der den Hof gern seinem Bruder Lukas überlässt: Johannes will Fotografie in Leipzig studieren und sich mit einer Serie über sein Heimatdorf um die Aufnahme an der Kunsthochschule bewerben.

Nachdem Maria ihre nach der Währungsunion arbeitslos gewordene Mutter Hannah, die nun wieder bei ihrer „Oma Traudel“ genannten Mutter lebt, besucht hat, will Hannah sie in ihrem Trabant zurück auf den Brennerhof fahren. Setzt das Fahrzeug aber in den Graben, weil sie, um Sprit zu sparen, zwischendurch den Motor ausgeschaltet hat. Der auf Pferdezucht spezialisierte Nachbar Henner, gerade mit seinen zwei Hunden unterwegs, zieht den Trabi wieder heraus – und die mit sich und ihrem Leben hadernde Mutter lässt Maria in der Walachei stehen.

Maria geht zusammen mit Henner – und nun beginnt eine vom Chaos des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Neuanfangs befeuerte heftige Amour Fou zwischen der jungen Frau, die ihren Platz im Leben erst noch finden muss, vor der Suche danach aber zurückschreckt, und dem doppelt so alten, so eigenwilligen wie charismatischen Mann. Den selbst Marianne nicht von der Bettkante stoßen würde, wie sie einmal halb im Scherz bekundet, als Henner im Hofladen einkauft. Und Maria zum Ausreiten durch bis zum Horizont reichende Kornfelder abholt.

„Wir sind die Wanderer ohne Ziele“: Immer wieder schleicht sich Maria zu Henner, bei dem sie Georg Trakls expressionistische Gedichte kennenlernt. Als Johannes für einige Tage nach Leipzig fährt, um sich die Kunsthochschule anzusehen, zieht Maria auf den Pferdehof: „Mach mit mir, was du willst!“ Der 40-Jährige und die nunmehr 19-Jährige leben im Geheimen ihre alles verzehrende Liebe zwischen zartem Begehren und hartem körperlichen Sex aus, doch Henner weiß, dass sie hier auf dem Land nicht akzeptiert werden würde…

„Ich war den Männerblick im Kino satt“, so Emily Atef im „Tagesspiegel“-Gespräch (18.2.2023). „Das weibliche Begehren findet, wenn überhaupt, nur im Auge des Mannes statt.“ Eine „feministische Selbstermächtigung“ will der Film sein, in dem Emily Atef nach eigenen Angaben „das primitive, archaische, das reine und rohe Begehren zwischen zwei Menschen“ aus dem Blickwinkel Marias zeigt. Für mich steht die letztlich toxische Beziehung Marias gleichwertig neben der sehr atmosphärischen Schilderung der Wendezeit in der DDR-Provinz: zum guten Schluss kriecht Maria bei ihrer Mutter unter, die einen Job als Schulsekretärin annimmt und dafür in die Stadt zieht – wohl zusammen mit ihrer Tochter.

Die Buchautorin Daniela Krieg, geboren 1975 in Neu-Kaliß, war zur Wendezeit 15 Jahre jung und lebte in einem Dorf in Sachsen. Sie hat Kultur-, Kommunikations- und
Medienwissenschaften in Leipzig studiert und als 16- bis 20-Jährige „alles von Dostojewski gelesen.“ Seit 2010 freie Autorin erzählt für Daniela Krieg das Alterswerk Dostojewskis sehr viel über Maria, „über ihren Anspruch an sich selbst und ihre Entwicklung, ihren Ehrgeiz und über die Wege, aus ihrer Situation herauszukommen. Maria liest dieses komplexe Werk auf einer ziemlich simplen, aber für sie richtigen Ebene. Vor allem Gruschenkas Liebesgeschichte hat mit ihr zu tun. Maria gleicht sich mit der leidenschaftlichen und verrucht scheinenden Gruschenka ab“, so die Ko-Drehbuchautorin im Pandora-Presseheft. Die TV-Erstausstrahlung erfolgte am 26. Februar 2025 auf Arte.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Regie

Regie-Assistenz

Kamera

Kameraführung

Kamera-Assistenz

Farbkorrektur

Außenrequisite

Innenrequisite

Schnitt

Ton-Schnitt

Synchron-Ton-Schnitt

Ton-Design

Ton-Assistenz

Mischung

Stunt-Koordination

Produktionsfirma

Produzent

Co-Produzent

Ausführender Produzent

Herstellungsleitung

Produktionsleitung

Produktions-Koordination

Dreharbeiten

    • 15.06.2022 - 26.07.2022: Thüringen
Länge:
133 min
Format:
DCP, 1:2,39 (CinemaScope)
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 13.02.2023, 239416, ab 16 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 17.02.2023, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 13.04.2023

Titel

  • Originaltitel (DE) Irgendwann werden wir uns alles erzählen
  • Weiterer Titel (eng) Someday We'll Tell Each Other Everything

Fassungen

Original

Länge:
133 min
Format:
DCP, 1:2,39 (CinemaScope)
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 13.02.2023, 239416, ab 16 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 17.02.2023, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 13.04.2023