Schlafkrankheit

Deutschland Frankreich Niederlande 2010/2011 Spielfilm

Inhalt

Seit fast 20 Jahren leben Ebbo und Vera Velten in verschiedenen afrikanischen Ländern. Ebbo leitet ein Schlafkrankheitsprojekt. Seine Arbeit füllt ihn aus. Vera hingegen fühlt sich zunehmend verloren in der internationalen Community von Yaounde. Sie leidet unter der Trennung von ihrer Tochter Helen, 14, die in Deutschland ein Internat besucht. Ebbo muss sein Leben in Afrika aufgeben, oder er verliert die Frau, die er liebt. Aber mit jedem Tag wächst seine Angst vor der Rückkehr in ein Land, das ihm fremd geworden ist.

Jahre später. Alex Nzila, ein junger französischer Mediziner mit kongolesischen Wurzeln, reist nach Kamerun. Er soll ein Entwicklungshilfeprojekt evaluieren. Schon lange hat er den Kontinent nicht mehr betreten. Doch statt auf neue Perspektiven trifft er auf einen destruktiven, verlorenen Menschen: Wie ein Phantom entzieht sich Ebbo seinem Gutachter.

Quelle: 61. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Abenteuerliche Fahrt über eine zwar asphaltierte, aber unbeleuchtete Straße, wie urzeitliche Ungetüme rauschen LKW vorbei, die nur schemenhaft im Lichtkegel der Scheinwerfer zu erkennen sind. Plötzlich taucht in Fahrtrichtung ein unscheinbares flackerndes Licht auf, der Fahrer reduziert sofort das Tempo. Polizeikontrolle. Die beiden Erwachsenen weisen ihre Papiere vor, das Kind im Fond, soeben erst vom Flughafen abgeholt, hat seinen Ausweis mit dem Visumstempel irgendwo im Gepäck verstaut.

Dann scheint die an sich harmlose, weil hierzulande alltägliche Szene, auch wenn sie sich im trüben Schein von Taschenlampen abspielt, zu eskalieren. Die Polizisten wollen zuerst Geld, und als der Fahrer ablehnt, will ein Offizier im geländegängigen Fahrzeug bis zum nächsten größeren Ort mitgenommen werden. Auf einmal ist eine Pistole im Spiel und die Frau rennt entsetzt auf die Streithähne zu, um Schlimmeres zu verhindern...

Dr. Ebbo Velten und seine Gattin Vera leben seit fast zwanzig Jahren in verschiedenen Ländern, derzeit leitet der 50-jährige deutsche Mediziner ein Projekt zur Eindämmung der Schlafkrankheit hier in Kamerun. Das von der Weltgesundheitsorganisation WHO finanzierte Vorhaben ist so erfolgreich, dass von einer Epidemie nicht mehr die Rede sein kann und das von Velten geleitete Krankenhaus eher einer Hühnerfarm gleicht als einer Isolierstation.

Ebbo, obwohl längst desillusioniert von den doch sehr beschränkten Möglichkeiten der Europäer, die Lebensverhältnisse der Menschen wirklich grundlegend zu verändern, hat sich eingerichtet im „Schwarzen Kontinent“ und geht seiner Tätigkeit ungerührt weiterhin nach, obwohl das offiziell längst ausgelaufene, aber immer wieder verlängerte Projekt obsolet geworden ist und man im übrigen auch nach Ebbos Auffassung die finanziellen Mittel lieber in die Bekämpfung der Tuberkulose stecken sollte.

Die sieben Jahre jüngere Vera hingegen fühlt sich zunehmend verloren in der ghettoisierten internationalen Community von Yaoundé mit den immer gleichen Gesprächspartnern in den Luxusherbergen samt Pool und knackigen Mädchen, die für ein Europa-Stipendium alles tun würden, mit den von der Umwelt abgeschotteten Bars und Restaurants, mit den rund um die Uhr bewachten Wohnhäusern. Und der schier überall grassierenden Korruption.

Weshalb Vera beschlossen hat, die Familie nach Deutschland zurückzuholen, nachdem sie diese zuvor in Kamerun noch einmal während der Schulferien ihrer Tochter vereint hat. Denn die 14-jährige Helen, die ihre Eltern gerade vom Flughafen Douala abgeholt haben, besucht seit zwei Jahren ein Internat in Wetzlar. Ebbo, der mit dem jungen Arzt Dr. Elia Todorov bereits seinen Nachfolger einarbeitet, steht vor der Wahl: Familienleben in Europa oder ein Leben ohne Familie in Afrika. Doch er muss feststellen, dass Helen nicht mehr das kleine, anschmiegsame Mädchen aus seiner Erinnerung ist. Und mit jedem Tag, da immer weitere Gepäckstücke verfrachtet und die Möbel des Hauses verkauft werden, wächst seine Angst vor der Rückkehr in ein ihm fremd gewordenes Deutschland. So hockt er am Ende weinend in der leeren Wohnung.

Drei Jahre später. Ebbo ist immer noch in Kamerun, als mit Alex Niza ein junger französischer Mediziner mit kongolesischen Wurzeln von Paris geschickt wird, um das Schlafkrankheitsprojekt zu evaluieren. Er kommt gerade recht, um Ebbos Kind mit Jo, einer 25-jährigen Einheimischen, zur Welt zu bringen – unter Anleitung per Handy mit einem Kaiserschnitt, was Kameramann Patrick Orth überflüssigerweise in naturalistischen Bildern festgehalten hat.

Ebbo, der sich mehrere Tage lang nicht blicken lässt, wohl auch, um seiner raffgierigen neuen Großfamilie zu entkommen, für die er nun den Ernährer darstellt samt Hausbau und Berufsausbildung auch entfernterer Verwandter, macht aus seiner Resignation, ja Verzweiflung über seine berufliche wie private Situation kein Geheimnis: Die WHO- Entwicklungshilfegelder werden anderswo dringender benötigt und er selbst, der wohl weder mit seiner neuen noch seiner alten Familie je glücklich werden wird, steht mit einem vielversprechenden Tourismus-Projekt, das er zusammen mit dem französischen Geschäftsmann Gaspard Signac vorantreibt, vor der Pleite, weil die Kameruner Bürokratie mit der notwendigen verkehrlichen Infrastruktur nicht nachkommt...

Nach seinen ersten beiden Spielfilmen „Bungalow“ und „Montag kommen die Fenster“, die beide nach der Uraufführung auf der Berlinale 2002 bzw. 2006 mehrfach ausgezeichnet worden sind, ist Ulrich Köhler auf der Berlinale 2011 für „Schlafkrankheit“ mit dem Silbernen Bären für die beste Regie belohnt worden. Der Drehbuch-Preis wäre freilich angemessener gewesen, und das nicht nur des schon grotesken Endes wegen, bei dem, das immerhin kann verraten werden, ein großes Nilpferd die Hauptrolle spielt: Ulrich Köhler, dessen Eltern Entwicklungshelfer in Zaire waren und der selbst in einem kleinen Dorf an einem Nebenfluss des Kongo aufgewachsen ist, zeichnet in seiner immer wieder wie eine Dokumentation wirkenden Geschichte ein ganz ungeschminktes Bild von Afrika und den doch sehr beschränkten Möglichkeiten, mit Entwicklungshilfe nachhaltig seit Generationen eingefahrene Verhaltensmuster zu verändern.

„Schlafkrankheit“ ist zugleich ein letztlich doch sehr resignatives Porträt entwurzelter, abgekapselter, in ihrer eigenen Welt lebender „weißer“ Idealisten im „schwarzen“ Kontinent, die, wenn nicht zu Alkoholikern, so doch zu Zynikern werden: Es sind Menschen, die nach vielen Jahren zu Fremden in der alten Heimat geworden sind und sich vor ihr fürchten wie vor ihren dort zurückgelassenen Angehörigen. Und die in der neuen Umgebung, die auch nach Jahrzehnten nicht zur Heimat werden kann, nur aufgrund ihrer Funktion leben können – als Mediziner oder Versorger einer Großfamilie.

Mindestens ebenso fremd fühlt sich Alex auf dem Kontinent seiner Vorfahren. Ulrich Köhler hat sich in seinem Drehbuch vom Roman „Season of Migration for the North“ des Sudanesen Tayel Salih inspirieren lassen, aber auch von der Biographie seiner eigenen Eltern, die es nach ihrer Rückkehr aus Zaire nicht lange in der hessischen Provinz ausgehalten und wieder eine Aufgabe in Afrika angenommen haben – just in dem Kameruner Krankenhaus, in dem „Schlafkrankheit“ gedreht wurde.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Dreharbeiten

    • 25.01.2010 - 30.03.2010: Kamerun, Frankreich
Länge:
2498 m, 91 min
Format:
35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby Digital
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 02.03.2011, 126737, ab 6 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 12.02.2011, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 23.06.2011

Titel

  • Arbeitstitel (DE) Die Schlafkrankheit
  • Originaltitel (DE) Schlafkrankheit
  • Weiterer Titel (FR) Maladie du Sommeil

Fassungen

Original

Länge:
2498 m, 91 min
Format:
35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby Digital
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 02.03.2011, 126737, ab 6 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 12.02.2011, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 23.06.2011

Auszeichnungen

Festival des deutschen Films, Ludwigshafen 2011
  • Filmkunstpreis
IFF Berlin 2011
  • Silbener Bär, Beste Regie