Kopfüber

Deutschland 2011-2013 Spielfilm

Inhalt

Der zehnjährige Sascha strapaziert mächtig die Nerven seine Mutter. Mit ihr und zwei älteren Geschwistern lebt er in einer Siedlung am Rande der Stadt. Die Stimmung ist oft gereizt, denn die Beschwerden über Saschas Benehmen wollen nicht aufhören. Sascha klaut und lügt, wird schnell wütend und hält sich an keine Abmachung. Dabei hat er durchaus auch seine guten Seiten. Fahrräder repariert er wie kein anderer, und mit seiner Freundin Elli tourt er durch die Gegend, um akustische Fundstücke zu Geräuschmusik zu mischen.

Als das komplette Schulversagen droht, sucht die Mutter Hilfe. Ein Erziehungsbeistand schaltet Ärzte ein, die Pillen gegen ADHS verschreiben. Die Medikamente wirken Wunder: In der Schule läuft es gut, und die Polizei klingelt nicht mehr an der Tür. Sascha ist plötzlich so ruhig und folgsam, dass es selbst der geplagten Mutter nicht geheuer ist. Etwas ist auf der Strecke geblieben.

Elli bringt es auf den Punkt. Ihr fällt auf, dass ihr Freund nicht mehr lachen kann

Quelle: 63. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)

 

Kommentare

Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!

Heinz17herne
Heinz17herne
„Brauchst du ‘ne Brille?“ fragt seine Mutter im Supermarkt, als ihr Jüngster die Positionen auf dem Einkaufszettel nur ganz allmählich silbenweise herauspresst statt sie zügig vorzulesen. Die Kindergärtnerin Regine Mertens ist als berufstätige Alleinerziehende eines schwierigen Trios aus dem zehnjährigen Sascha, seiner mitten in der Pubertät steckenden Schwester Mandy und dem eigentlich schon selbständigen älteren Bruder Daniel, ohnehin rund um die Uhr gestresst.

Da kann sie keinen Ärger an der Supermarkt-Kasse gebrauchen: Die Kassiererin hat gesehen, wie Sascha heimlich ein Einweg-Feuerzeug eingesteckt hat, das er später bei seiner Schwester gegen zwei Zigaretten eintauschen wird. „Ich lass‘ mich doch nicht ausbeuten“: Bruder „Dani“ hat die Tischler-Lehre hingeschmissen und hängt mit zwielichtigen Freunden ab, wahrlich kein Vorbild für Sascha, der aufgrund schlechter Leistungen auf eine Förderschule gehen soll. Viel lieber ist er mit seiner gleichaltrigen Freundin Elli unterwegs, die so gut wie zur Familie Mertens gehört.

Wie sich auch Sascha umgekehrt häufig bei Elli aufhält, die im Arbeiterschließfach gegenüber wohnt (gedreht wurde in der Plattenbausiedlung Jena-Neulobeda) und deren Vater als Fernfahrer nur selten daheim ist. Sascha hat große Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, kann zwar gut rechnen, aber nicht nur kaum lesen, wie seine neue empathische Lehrerin Kunze gleich in der ersten Unterrichtsstunde feststellen muss, sondern fällt auch beim Schreibtest durch. Er fühlt sich nur wohl, wenn er zusammen mit Elli Geräusche mit dem Tonband aufnimmt, die sie später am Computer bearbeitet. Was auch gefährlich sein kann, etwa im abgesperrten Baustellenbereich des Jagdebergtunnels an der A 14.

Nachdem der rasch wütend werdende Sascha einen Mitschüler geschlagen hat und mehrfach bei kleineren Diebstählen erwischt worden ist, stellt ihm Frau Jentsch (Jutta Heurich) vom Jugendamt mit dem engagierten Frank Berger einen Erziehungsbeistand an die Seite. Beide lernen sich gegenseitig besser verstehen, als Sascha ihm seine selbst bestückte kleine Fahrradwerkstatt auf dem Dachgeschoss des Hochhauses zeigt. Frank Berger erkennt, dass das auffällige Verhalten seines Schützlings verbunden mit seiner Lese- und Rechtschreib-Schwäche medizinische Ursachen haben könnte.

Die konsultierte Kinderärztin Dr. Lange (Hannelore Koch) diagnostiziert eine kurz als ADHS bezeichnete Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung und verschreibt Sascha einschlägige Medikamente. Zusammen mit Ergotherapie und Nachhilfe verbessern sich Saschas schulische Leistungen innerhalb kurzer Zeit so beträchtlich, dass er in die sechste Klasse versetzt wird. Auch sein Sozialverhalten in der Schule ist nun ein anderes. Was selbst seiner naturgemäß erfreuten Mutter merkwürdig vorkommt: „Ganz geheuer ist mir das nicht.“

Und Elli schon gar nicht, die im Beipackzettel der Medikamente ihres Freundes von Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit, Übelkeit und Schlafstörungen liest. Und sich nun nicht mehr darüber wundert, dass Sascha einschläft, als sie am Computer zu den gesammelten Geräuschen mit Musik eine regelrechte Komposition erschafft. „Weißt du eigentlich, dass du nicht mehr lachen kannst?“ fragt sie Sascha, der ein letztes Mal mit Frank Berger zum Paddeln fährt: Sein Auftrag scheint erfüllt, er wird nun einen neuen Jungen betreuen. Was für Sascha nur schwer zu verkraften ist, der sofort eifersüchtig reagiert, als er ihn mit seinem neuen Schützling in der Eisdiele beobachtet. Er setzt die Pillen bewusst ab, um sich wieder ganz Elli und ihrer Geräuschsammlung zuzuwenden…

„Kopfüber“ ist, mit Unterstützung der HFF Konrad Wolf in Babelsberg und der Lobdeburgschule Jena, ganz aus der Sicht des Kindes gedreht. Und steht damit in der Tradition des 2012 in Berlin gestorbenen Defa-Regisseurs Helmut Dziuba, dem Bernd Sahling seinen im gleichen Jahr entstandenen Spielfilm gewidmet hat auch in Erinnerung an den gemeinsamen Film „Die Blindgänger“, der letzten Arbeit des renommierten Kinder- und Jugendfilmemachers der DDR.

Der Spielfilm stellt wichtige Fragen – nach den Problemen, die Sascha hat und denen, die andere mit ihm haben, nach Möglichkeiten und Grenzen medizinischer und psychologischer Betreuung und nicht zuletzt nach persönlichkeitsverändernden Nebenwirklungen gängiger Medikamente. Nicht eine einzige Frage wird beantwortet, aber sie in Form eines Spielfilms überhaupt gestellt zu haben, könnte schon zumindest gesellschaftlich ein Vorteil sein.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Dreharbeiten

    • 27.09.2011 - 11.11.2011: Jena
Länge:
94 min
Format:
35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung: 12.04.2013, 135561, ab 6 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 11.02.2013, Berlin, IFF - Generation Kplus;
Kinostart (DE): 07.11.2013

Titel

  • Arbeitstitel (DE) Das verlorene Lachen
  • Originaltitel (DE) Kopfüber

Fassungen

Original

Länge:
94 min
Format:
35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung: 12.04.2013, 135561, ab 6 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 11.02.2013, Berlin, IFF - Generation Kplus;
Kinostart (DE): 07.11.2013

Auszeichnungen

FBW 2013
  • Prädikat: wertvoll