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Jara, 35, ist ein schüchterner und einsamer Mann. In einem Vorort von Montevideo arbeitet er als Angehöriger des Sicherheitsdienstes für einen Super markt – sein Job ist es, die Überwachungskameras des gesamten Gebäudes im Auge zu behalten. Weil er in der Nachtschicht eingesetzt ist, hat er dabei nicht viel zu tun, denn nachts ist der ganze Laden wie ausgestorben. Dementsprechend verbringt er die meiste Zeit mit seinen bevorzugten Freizeitbeschäftigungen: Er schaut sich Videos an, löst Kreuzworträtsel oder hört Musik.
So geht sein Leben dahin – bis eines Tages Julia in sein Blickfeld gerät. Julia ist 25 und arbeitet als Putzfrau im Supermarkt. Jara fühlt sich stark zu ihr hingezogen. Zunächst verbringt er Stunde um Stunde vor den Monitoren und schaut ihr bei der Arbeit zu. Doch bald schon verfolgt er sie auch nach Feierabend, wenn sie ins Kino geht, an den Strand, ja, selbst wenn sie sich mit einem anderen Mann trifft. Allmählich richtet er sein ganzes Leben nach den Gewohnheiten und dem Tagesablauf Julias aus.
Da machen eines Tages Gerüchte von einem geplanten Personalabbau unter den Angestellten die Runde. Als es kurz darauf tatsächlich zu Entlassungen kommt und auch Julia gekündigt wird, steht Jara vor einer schwierigen Entscheidung. Soll er von seiner Obsession lassen? Oder soll er sich ihr stellen?
Quelle: 59. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Die Kolonne der uniform gekleideten Frauen schwärmt sogleich aus und wird von dem beleibten Uniformträger in seinem Kabuff auf zahllosen Monitoren verfolgt. Nicht sonderlich aufmerksam, eher neugierig, wenn der Kollege von der Schicht zuvor 'mal wieder das Kreuzworträtselheft vollgeschrieben hat. Und wenn Jara einmal Zeuge eines kleineren Diebstahls wird, drückt er beide Augen zu – jedenfalls wenn es sich um „Mundraub“ handelt.
Jaras Alltag verläuft in den geregelten Bahnen eines Singles: Wenn er von der Nachtschicht in seine kleine Wohnung heimkehrt, schaltet er den Fernseher an, stopft sich Junk Food zwischen die Kiemen und schläft hoffentlich bald auf dem Sofa ein. Auch sein Zweitjob, Türsteher im Molotow Disco Club, einem Tanztempel der lärmenden Hauptstadt Uruguays, ist reinste Routine und selten spannend: So schnell legt sich niemand mit dem hünenhaften Jara an.
Der scheint sich abgefunden zu haben mit seiner spannungslosen Existenz - am ausfransenden Rand der südamerikanischen Metropole wie am unteren Ende einer gesellschaftlichen Mittelschicht, die nach europäischen Maßstäben schon unter das Un-Wort Prekariat fiele. Und doch sticht ihm eine neue, junge Putzfrau ins Auge, die das Unglück magisch anzuziehen scheint: Julia stößt einen sorgsam komponierten Turm von Reinigungstüchern um und zieht auch sonst durch allerlei Ungeschicklichkeiten die Aufmerksamkeit des stets genervten Chefs auf sich.
Jara hilft ihr, den Warenstapel wieder zu errichten – und lässt sie künftig nicht mehr aus den Augen. Weder im Supermarkt noch nach Feierabend am frühen Morgen, wo er ihr im gleichen Bus bis ins Internet- Café folgt und in den Tagen danach erkundet, wo Julia wohnt und ob sie vielleicht in festen Händen ist. Doch Jara ist kein Stalker, selbst wenn er sich im dunklen Kino Sitzreihe für Sitzreihe seinem Objekt der Begierde nähert. Eher ein Beschützer, der sie aus respektvoller Entfernung sicher nach Hause geleitet und schmierigen Macho-Typen mit ebensolchen Sprüchen 'mal eben im Vorbeigehen zeigt, wo der Hammer hängt.
Gebannt von der für ihn schönsten Putzfrau aller Zeiten überwindet sich der tragische Held und spricht sogar mit Julias Chat-Partner, welcher ungefragt Entwarnung gibt: Keine Konkurrenz zu befürchten. Selbst als Jara erfährt, dass Julia nicht nur ebenfalls Single ist, sondern auch wie er auf Heavy Metal steht, traut er sich nicht, den ersten Schritt zu machen und die Angebetete anzusprechen. Erst als Julia im Zuge einer Entlassungswelle, der wilde Streiks der Gewerkschaften vorausgegangen sind, ihren Job verliert, handelt Jara: Er räumt so ordentlich im Supermarkt auf, dass auch er seine Papiere nehmen muss – und setzt sich zu Julia an den herrlichen Sandstrand von Montevideo...
Mit einem geradezu klassischen Rückenbild endet nach knapp anderthalb Stunden einer der schönsten, weil unspektakulärsten Liebesgeschichten des Kinojahres 2009. Adrián Biniez erzählt in seiner lakonischen Komödie das Gefühl des Verliebtseins mit geradezu staubtrockenem Humor. Seine Sympathie gehört dem Titelhelden, der schon allein durch sein gigantisches Äußeres und sein martialisches Auftreten als „Metallicer“ nicht gerade prädestiniert scheint für eine romantische Zweierkiste zwischen Sehnsucht und Unsicherheit, Einsamkeit und Liebe. Arauco Hernández Holz liefert zum Spielfilmdebüt des 1974 in Argentinien geborenen Regisseurs zauberhafte, aber stets Distanz wahrende Bilder.
Adrián Biniez im Neue Visionen-Presseheft: „Ich habe ‚Gigante‘ immer als etwas gesehen, dass die klassischen Muster der romantischen Komödie unterläuft. ‚Gigante‘ konzentriert sich im Gegensatz zur klassischen Liebeskomödie auf einen Teil der Betroffenen: wie er sie entdeckt, wie er ergriffen und geblendet wird von ihrem Anblick, wie er sich seiner Situation bewusst wird und wie er sich mit dem Bedürfnis auseinandersetzt, in echten Kontakt mit dem Menschen zu treten und nicht nur mit seinem Bild.“
Pitt Herrmann