Inhalt
Ende der fünfziger Jahre fährt ein ehemaliger KZ-Insasse, der Puppenspieler Sebastian Fußberg, mit seiner Wanderbühne übers Land. Er nimmt Achim, den Enkel seines in Buchenwald getöteten Freundes, auf. Achim könnte sein Nachfolger werden. Auch die junge Marianne, die, wenn sie nicht putzt, in den Betten der Bauleute liegt, vor denen Fußberg und Achim spielen, schließt sich Fußberg an. Wenn sich die drei auch näher kommen, letztlich bleibt der Puppenspieler mit seiner traumatischen Vergangenheit den jungen Leuten fremd. Am Ende zieht Fußberg wieder alleine weiter.
© "Cinematographie des Holocaust: Die Vergangenheit in der Gegenwart", Deutsches Filminstitut – DIF 2001
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Achim überlegt nicht lange, obwohl ihm schwant, dass Fußberg arg übertrieben hat, als er von begeisterten Zuschauern in vollen Turnhallen und vor allem von willigen blonden Mädchen, die sich um ihn reißen werden, schwärmt. Dass sich die Realität auf schmutzige Absteigen, feuchte Plätze und vor Angst weinende Kinder beschränkt, hätte der rasch ernüchterte Achim jedoch nicht erwartet.
Von Romantik des „fahrenden Volkes“ keine Spur: Als „Zigeuner“ verschrien und als potentielle Diebe verdächtigt sind Fußberg und sein lerneifriger Adlatus längst nicht überall willkommen, wohl aber auf einer einsamen Baustelle mitten im Wald, wo sich Fußberg so ganz nebenbei auch als Koch Verdienste erwirbt.
Die beiden können sich eine Zeitlang am Rande des Arbeitscamps ausruhen, ihr klappriges Fahrzeug auf Vordermann bringen, ihr Arbeitswerkzeug restaurieren. Achim lernt mit Marianne ein „süßes Madel“ kennen und lieben, das als einziges weibliches Wesen nicht nur allen Arbeitern den Kopf verdreht, sondern auch noch die Drecksarbeit verrichten muss - warum auch immer, aber jedenfalls in vor-sozialistischer Manier.
Achim erfährt von Fußberg, dass dieser sechs Jahre im „Lager“ war und daher jetzt von seiner Rente leben könnte. Aber er will diese verlorene Zeit als Puppenspieler nachholen, auch wenn er weiß, dass sein Repertoire aus Stücken wie „Ritter, Tod und Teufel“ oder „Stülpner Karl“ nicht mehr zeitgemäß ist. Die Leute wollen auf einfache, möglichst derbe Art unterhalten werden.
Dennoch macht der „letzte Mohikaner“ weiter, zumal er seinem verstorbenen Freund versprochen hat, dessen Enkel Achim eine Chance zu geben, einmal das Traditionsunternehmen fortzuführen, Fortbildung einbegriffen. „Stürmt die Gipfel der Kultur“ lautet der Banner-Spruch über einem Schulungsheim, doch Fußberg kann auch mit den im Saal von SED-Parteiabzeichen-Trägern verkündeten Inhalten nichts anfangen.
Die beiden jungen Leute, Marianne ist inzwischen mit im Boot, haben zunehmend Probleme mit Fußbergs sonderlicher Art. Sie verstehen ihn nicht, und können es wohl auch nicht, als er, daheim auf seinem die meiste Zeit des Jahres verwaisten Hof, seine „Leichen“ aus dem Keller holt, beinahe lebensgroße Puppen von Hitler und Göring und Achims Großvater in KZ-Häftlingskleidung. Als Fußberg endlich in der Lage ist, seine Dämonen zu bannen, ist er wieder allein unterwegs – zwischen hohen Plattenbauten im Nirgendwo eines anonym-hässlichen Neubaugebietes...
Schon mit dem Titel „Fariaho“ des 1983 im thüringischen „Holzland“ zwischen Saalfeld und Gera entstandenen tragikomischen Roadmovies über einen wandernden Puppenspieler und ehemaligen KZ-Häftling, wollte Regisseur Roland Gräf auf Widersprüche hinweisen, wie er anlässlich der Feier seines 75. Geburtstages am 15. Oktober 2009 im Filmmuseum Potsdam bekundete. Der Protagonist des Films fühlt sich schuldig, dass er 1945 das Konzentrationslager überlebt hat, nicht aber sein Freund und Puppenspiel-Compagnon, der Großvater Achim Lobaus. Und so hat er sich als Sühne auferlegt, weiter über die Lande zu fahren – und nach Möglichkeit Achim als Nachfolger und Erbe zu gewinnen und einzuarbeiten.
Nach der Uraufführung zu DDR-Zeiten lediglich in wenigen Filmkunststudios aufgeführt, verschwand „Fariaho“ in mysteriösen Archiven, obwohl er beim 4. Nationalen Spielfilmfestival der DDR Mitte Mai 1984 in Karl-Marx-Stadt zwei Jurypreise erhielt für Franciszek Pieczka („Bester Hauptdarsteller“) und Jürgen Brauer („Beste Kamera“). Noch im gleichen Jahr lief „Fariaho“ bei der Berlinale außerhalb des Wettbewerbs, woraufhin ein bis heute anonym gebliebener West-Verleih die Kino- und TV-Rechte erwarb. Zwischen Karl-Marx-Stadt (dem heutigen Chemnitz) Mitte der 1980er und Husum Mitte der 1990er Jahre gab es nur einige Festival-Vorführungen – und auf DVD ist „Fariaho“ erst seit 1983 erhältlich.
Was sich im Potsdamer Marstall am wenigsten Roland Gräf erklären konnte. Seine Hauptfigur, der Puppenspieler, schleppt seine traumatische KZ-Vergangenheit nicht nur stets mit sich, sondern hält sie gleichermaßen im Keller versteckt, beinahe lebensgroße geschnitzte Figuren seiner Nazi-Verfolger und –Peiniger. Erst am Ende kann er sich ihrer entledigen. Obwohl Gräf seine psychologisch grundierte Geschichte in den 1950er Jahren spielen lässt, passte sie nicht ins Schema der SED-Ideologen: Bürger der DDR sind Bürger eines antifaschistischen Staates und somit aller Verstrickungen in die überwundene Vergangenheit des Dritten Reiches ledig. Faschismus bleibt danach als Thema und Pflicht zur Aufarbeitung allein dem westlichen Kapitalismus überlassen.
So nimmt es kein Wunder, dass dieser gänzlich wider die offiziöse Konvention gerichteten Art der Vergangenheitsbewältigung kein Erfolg im DDR-Kino beschieden werden sollte. Zumal Roland Gräf neben filmhistorischen Bezügen auch einige gezielte Spitzen eingebaut hat für Zuschauer, die zwischen den Zeilen zu lesen gelernt haben und nun auch zwischen den Zeilen zu sehen imstande sind, etwa gegen den „Bitterfelder Weg“ des verordneten sozialistischen Realismus.
Pitt Herrmann