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Ramona ist Anfang Dreißig, lebt in einer tristen Wohnsiedlung nahe dem Berliner Stadtbahnhof Ostkreuz und arbeitet in einer Kosmetikfabrik, mit deren Produkten die unscheinbare Frau nichts anzufangen weiß. Ihr belangloses Leben nimmt eine Wendung, als sie eines Tages auf der Bahnhofstreppe unvermittelt von dem polnischen Zigarettenschmuggler Andrzej in die Arme genommen und geküsst wird – damit dieser einer Polizeirazzia entgehen kann.
Aus der Zufallsbegegnung entwickelt sich eine zarte Liebe und die junge Frau blüht regelrecht auf, als sie von Andrzej ein Kind erwartet. Doch das Glück ist nicht von Dauer: Andrzej entpuppt sich als bereits in Polen verheiratet, Ramonas Schwester Lucie wird wegen Diebstahls verhaftet, schließlich verliert die Ramona das Baby. Schock, Trauer und verzweifelte Hoffnung treiben die vom Schicksal Geschlagene zu einer verhängnisvollen Tat.
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So weit so normal. Doch nun passiert das Ungewöhnliche: Ramona verheimlicht Andrzej, dass sie ihr Kind durch eine Frühgeburt verloren hat. Denn Andrzej will bei ihr in Berlin bleiben. Er hat genug „Kohle“ zusammen, um seine Frau daheim mit der Wohnung „abzufinden“. Was er nur findet an der total neurotischen Fließbandarbeiterin in ihrem gruseligen 1950er Jahre-Outfit?
Helke Misselwitz' Film „Engelchen“ durchziehen auch sonst hanebüchene Stories. Sophie Rois und Herbert Fritsch, seinerzeit die beiden Stars der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, wo auch Katrin Angerer auf den Brettern stand, spielen ein Elternpaar am Rande der Gesellschaft. Asoziale Verhältnisse, Alkohol, Gewalt – aber Kinder in die Welt setzen.
Ramonas Blick auf das Neugeborene in unmittelbarer Nachbarschaft wird immer sehnsüchtiger, doch ihr Wunsch, diesem Elternhaus das Würmchen zu entwenden, scheitert am „Familiensinn“ des Paares, das auch vor Inzest mit der älteren Schwester (Luise Wolfram) des Babys nicht zurückschreckt. So vertauscht Ramona zwei Kinder in der S-Bahn und die Polizeimaschinerie (Ulrich Mühe als verständnisvoller Kommissar) wird in Gang gesetzt...
Helke Misselwitz hat einen authentischen Fall von Kindesentführung aufgegriffen, ihn aber mit dermaßen vielen Klischees zusätzlich angereichert, dass der Vorteil der Authentizität rasch dahin ist. Von einem „sensiblen Frauenporträt“, wie im Pressetext des Koproduzenten ZDF angepriesen, kann gar keine Rede sein. Denn auch Susanne Lothar spielt nur wieder sich selbst: Seit ihrem furiosen „Lulu“-Debüt am Deutschen Schauspielhaus Hamburg unter Peter Zadek ist sie leider ständig auf die gleichen Rollenklischees festgelegt. So weiß man bereits weit im Voraus, was einen erwartet – und das erhöht die Spannung nicht eben.
Zur tollen Besetzung mit zahlreichen Berliner Stars gehört auch Ben Becker in der Rolle als Lucies Freund, der Ramona mehrfach zu lieblosem Sex gedrängt, ja gezwungen hat. Dennoch und trotz seiner zahlreichen Auszeichnungen auf zahlreichen Festivals ist „Engelchen“ vor allem ein geradezu ärgerliches Sammelsurium von Vorurteilen und Klischees. Und die bei der Defa in Babelsberg zur Dokumentarfilmerin ausgebildete Helke Misselwitz zumindest nach diesem Film noch keine „Hoffnungsträgerin eines neuen Kinos“, wie der „Spiegel“ nach dem Spezialpreis der Jury beim Festival in San Sebastian 1996, dem Preis der Interfilm-Jury beim Max Ophüls-Wettbewerb 1997 in Saarbrücken und dem Sonderpreis für junge Regisseure beim Intern. Festival in Seattle/USA im gleichen Jahr schrieb.
Pitt Herrmann