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Im Sommer 1944 verfügt Hitler, dass die französische Hauptstadt dem Feind "nicht oder nur als Trümmerfeld" in die Hände fallen dürfe. Verantwortlich für die Durchführung dieses barbarischen Plans ist der Wehrmachtsbefehlshaber für Groß-Paris, General Dietrich von Choltitz, der bereits den Eiffelturm, den Louvre, Notre-Dame und die Brücken über die Seine verminen lässt. Nichts soll mehr an die alte Pracht erinnern. Doch im Morgengrauen des 25. August schleicht sich der schwedische Generalkonsul Raoul Nordling durch einen unterirdischen Geheimgang ins deutsche Hauptquartier ein und versucht, Choltitz von dem Vorhaben abzubringen …
Nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Cyril Gély inszeniert Volker Schlöndorff ein psychologisch ausgefeiltes Duell der Worte zwischen zwei völlig verschiedenen Charakteren. Während sich Choltitz hinter dem unbedingten Gehorsam des Militärs verschanzt, setzt Nordling alles daran, die sinnlose Zerstörung von Paris mit einem Appell an Vernunft und Humanität zu verhindern. Dabei changiert das filmische Kammerspiel zwischen Realität und Fiktion, denn das geschilderte Treffen der beiden Männer hat in dieser Form nie stattgefunden.
Quelle: 64. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Dafür soll ein Architekt sorgen, Hauptmann Werner Ebernach. Der Herr über die Pläne von einem Dutzend zentraler Gebäude wie der Kathedrale Notre-Dame, dem Louvre, Sacré-Coeur, dem Place de la Concorde und dem Eiffelturm sowie 33 Seine-Brücken hat entsprechende Sprengladungen anbringen lassen: werden sie gezündet, lösen sie eine gewaltige Welle aus, die ganze Stadtteile unter Wasser setzt: „Das Ganze wird nicht länger als zwanzig Minuten dauern.“ Ebernach weiß, dass das strategisch keinen Sinn macht. Aber Befehl ist Befehl...
General Dietrich von Choltitz ist erst seit zwei Wochen in Paris. In seinem luxuriösen Quartier, einer Suite des Hotel Meurice mit herrlichem Blick über die Seine-Metropole, genießt er ganz bewusst den letzten Cognac und die letzten guten Zigarren. Denn wir schreiben die Nacht vom 24. auf den 25. August 1944 und die Alliierten stehen vor den Toren der Stadt, aus der pausenlos Geschützdonner zu hören ist. Kurz vor Tagesanbruch bereitet sich der „Kommandierende General von Groß-Paris“ darauf vor, Hitlers Befehl ausführen und die französische Hauptstadt dem Erdboden gleichmachen zu lassen.
Plötzlich steht ein soignierter Herr in einer weniger erleuchteten Ecke des durch die geschlossenen Vorhänge ohnehin abgedunkelten Raumes und General von Choltitz kann sich nicht erklären, wie dieser, offenbar an allen Wachen vorbei, hereingekommen ist. Raoul Nordling, der schwedische Generalkonsul von Paris, dem er auf diplomatischem Parkett schon ein-, zweimal begegnet ist, überbringt ihm einen Brief des auf der Gegenseite kommandierenden französischen Generals Leclerc und zeigt von Choltitz die Tapetentür, durch die er sich – wie einst Napoleon III. auf dem Weg zu seiner Geliebten - unentdeckt Zugang verschafft hat.
Nordling, obwohl Vertreter eines im Zweiten Weltkrieg neutralen Staates, ist ganz Partei: als Sohn eines Schweden und einer Französin in Paris geboren wolle er „seine Stadt nicht im Stich lassen“ und den deutschen Stadtkommandanten dazu bewegen, Paris unzerstört zu übergeben. Was soll einen linientreuen, patriotischen Militär, der schon seit frühester Jugend die angeblich preußischen Tugenden Mut, Aufopferung, Disziplin und Gehorsam verinnerlicht hat, in den folgenden Stunden dazu bewegen, immer wieder den mit der Durchführung der Sprengungen beauftragten Oberleutnant Hegger (Thomas Arnold) hinzuhalten, obwohl der Führerbefehl eindeutig ist, sich die ersten Strahlen der Morgensonne bereits in der Seine spiegeln und die in allen Dingen haushoch überlegenen Alliierten jeder Zeit Paris im Handstreich nehmen können?
Warum sollte er die Stadt und das Leben unzähliger Unschuldiger retten, wenn Zehntausende von nicht weniger unschuldigen deutschen Zivilisten durch anglo-amerikanische Phosphorbomben elendig verreckt sind, das Kriegsverbrechen der Bombardierung Dresdens noch gar nicht eingerechnet? Warum sollte von Choltitz an die Zukunft denken, an die Zeit nach dem Krieg, wenn er durch seine offenkundige Befehlsverweigerung, an der „Heimatfront“ als Verrat gedeutet, nicht nur sich selbst und seine engsten Mitarbeiter, sondern auch die eigene Familie in Lebensgefahr bringt?
Die Antwort liefert der unter die Haut gehende Film „Diplomatie“. Auf der einen Seite ein wortlastiges Kammerspiel mit zwei Granden des europäischen Films: André Dussollier und Niels Arestrup. Und auf der anderen Seite, hier kommen Michel Amathieu und Jacques Rouxel ins Spiel, eine Hommage an das unzerstörte Paris, die Welt-Stadt der Liebenden.
„Seit meinem siebzehnten Lebensjahr habe ich jeden Winkel der Stadt erkundet, kenne jede Brücke, jedes Bauwerk“: Bereits in der Vergangenheit hat sich Volker Schlöndorff wiederholt mit dem Zweiten Weltkrieg und speziell der deutschen Besetzung Frankreichs auseinandergesetzt. Nun macht uns der deutsche Regisseur, der in Paris zur Schule gegangen ist, studiert sowie bei Louis Malle und Jean-Pierre Melville assistiert hat, mit einem zumindest in Deutschland kaum wahrgenommenen historischen Ereignis von großer Tragweite gerade für die deutsch-französische Freundschaft und die (west-) europäische Einigung nach 1945 bekannt: Dietrich von Choltitz, einer der wenigen Generäle, denen Hitler nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli 1944 noch vertraut, kapituliert am 25. August 1944 im unzerstörten Paris. 1947 wurde er aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen und kehrte zu seiner Familie, die den Repressalien der Nazis entkommen konnte, nach Baden-Baden zurück, wo er 1966 starb.
„Diplomatie“ ist dennoch weit davon entfernt, ein Doku-Drama zu sein, obwohl dokumentarische Schwarzweiß-Aufnahmen vom zerstörten Warschau und von zerstörten deutschen Städten in den Film montiert worden sind. Zum einen kannten sich zwar die historischen Personen Nordling und von Choltitz tatsächlich, aber in weit unspektakulärerem Zusammenhang. Und auch viele Details wie die Hotel-Suite mit der Tapetentür und der Geheimtreppe sind reine Erfindung. Viele Nebenhandlungen weisen „Diplomatie“ als aus der Nachkriegs-Perspektive gedreht aus: Robert Stadlober spielt einen „guten“ Wehrmachts-Offizier und Jean-Marc Roulot einen französischen Kollaborateur, der auf dem Höhepunkt der Ereignisse den fanatischen Nazi Hegger erschießt, als der sich über den Befehl von Choltitz' hinwegsetzen und die Sprengladungen zünden will. Ganz im Zentrum aber das jederzeit bannende Duell zwischen Andre Dussollier und Niels Arestrup: Man weiß als Zuschauer ja von Minute eins an, wie die Sache ausgeht, und dennoch ist man ganz bei der Sache bis zur Schlusseinstellung, dem heutigen Paris aus der Vogelperspektive. Die TV-Erstausstrahlung war am 27. November 2016 auf Arte.
Pitt Herrmann