Inhalt
Im Mittelpunkt des ersten Spielfilms von Ulrich Köhler steht der 19-jährige Paul. Paul ist beim Bund, Rekrut, und auf dem Rückweg von einem Manöver begeht er Fahnenflucht. Er entfernt sich unerlaubt von seiner Truppe und siedelt sich im Bungalow seiner Eltern ein – im Niemandsland der hessischen Provinz.
Die Eltern sind im Urlaub. Seltsam ruhig, fast apathisch vergeht die Zeit, nur gelegentliche Ausbrüche Pauls, in denen er z.B. auf einen alten Schulkameraden losgeht, erzählen von der angestauten Aggression inmitten der Ziellosigkeit. Als sich auch sein älterer Bruder Max und seine Freundin Lene zufällig im elterlichen Heim einfinden, kommt es zu Spannungen zwischen den Brüdern – und so schwer es fallen muss, einen Sinn in Pauls Handlungen zu finden, so schwer bleibt es für Paul, ein Ziel, seinen eigenen Sinn zu finden.
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Paul, der naturgemäß inzwischen von den Feldjägern gesucht wird, hängt ziellos ab. Seine Eltern sind verreist. Er sucht bewusst keinen Kontakt zur Außenwelt, trifft hier in der tiefsten hessischen Provinz aber ganz selbstverständlich auf frühere Schulkameraden und Freunde, denen er reserviert, bisweilen aber auch unvermutet aggressiv gegenübertritt. Die Situation eskaliert, als neue Bewohner in den Bungalow einziehen: Pauls älterer Bruder Max und dessen englischsprechende Freundin Lene, eine nette und sehr unkonventionelle Dänin.
Paul will dann doch zurück zum „Bund“, weil er ahnt, dass es zu Spannungen mit seinem Bruder kommen wird – warum auch immer. Aber er verpasst den Zug, worüber Paul nicht weiter traurig ist. Weil er sich sehr gern mit der Freundin seines Bruders einlässt, die übrigens den Anfang macht, und ausreißt - zumindest bis zum nächsten Landgasthof im Marburgschen...
Ulrich Köhlers Debütstreifen, das Psychodrama „Bungalow“, das er selbst „ein verhindertes Roadmovie“ nennt, ist über gut achtzig Minuten schwere Kost, die, obwohl beim Filmfest Schwerin 2002 mit dem Hauptpreis bedacht und auf der Berlinale 2003 im Panorama-Wettbewerb gezeigt, vor der TV-Erstausstrahlung nur in ausgewählten Programmkinos gelaufen ist. Aus deren Ghetto sich Ulrich Köhler 2006 mit seinem Erfolg „Montag kommen die Fenster“ befreien konnte, auf der Berlinale 2011 folgte dann sogar der Silberne Bär für „Schlafkrankheit“.
Paul, der vom Profi-Skateboarder und Laien-Schauspieler Lennie Burmeister zumeist sehr apathisch verkörpert wird, sieht sich mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Etwa in Person seiner Freundin Kerstin (rätselhaft wie vieles in dem Film: Nicole Gläser), die kurzerhand und ohne jede Begründung mit ihm Schluss macht. Oder in Person seines ehemaligen Lehrers, der ihn fragt, warum er den Wehrdienst nicht verweigert hat, und von Paul die verblüffende Antwort erhält: aus Gewissensgründen. Und durch Architekturzeichnungen mit seinem abwesenden Vater.
Ulrich Köhler, 1969 in Marburg an der Lahn geboren, wo er zusammen mit Kameramann Patrick Orth im Sommer 2001 seinen Langfilm-Erstling drehte, ist ein minutiöser Beobachter des banalen Alltags, der hier bewusst und, um das gleich zu bekennen: in täuschender Absicht, mit der Erwartungshaltung des Publikums arbeitet. Irgendwas wird schon noch passieren in „Bungalow“, wenn nicht in der nächsten, so jedenfalls in der übernächsten Einstellung...
Pitt Herrmann