Bungalow

Deutschland 2001/2002 Spielfilm

Bungalow

Ein Junge ohne Eigenschaften in Ulrich Köhlers Debütfilm

 

Kai Mihm, epd Film, Nr. 2, 03.02.2003

Die meisten dürften solche Typen aus der eigenen Schulzeit kennen: aus "gutem Haus", aber keine besonders guten Noten, kein trotteliger Nerd, aber auch kein richtiger "Mädchentyp", nie einen lässigen Spruch auf Lager, immer ein wenig muffelig drauf und immer ein wenig im Abseits stehend. Durchschnitt eben. Genau so ein Typ ist Paul, die Hauptfigur aus "Bungalow". Die Schule hat er zwar schon hinter sich, aber viel dürfte sich seither nicht geändert haben.

Jetzt ist Paul beim Bund, und wenn es auf dem Weg zur Kaserne zum Mittagessen geht, sitzt er bei McDonald's alleine am Tisch. Als die Truppe sich auf den Weg macht und davonfährt, bleibt Paul einfach sitzen – ein Verhalten, das symptomatisch ist für ihn: Er desertiert nicht, indem er die "Flucht" ergreift, sondern indem er einfach gar nichts tut. Mit dieser Haltung scheint er durchs ganze Leben zu gehen: passiv-aggressiv, scheint an nichts und niemandem ein Interesse zu haben. Ein Prototyp der vermeintlich überholten "Null-Bock"-Haltung.

Da er weiß, dass seine Eltern im Urlaub sind, fährt Paul einfach nach Hause aufs Land – möglicherweise ist er in seinem Phlegma aber auch nicht clever genug, sich irgendein anderes Versteck zu überlegen. Eine gute Zeit hat er im elterlichen Bungalow nicht: Seine Freundin Katrin kommt nur vorbei, um mit ihm Schluss zu machen. Und als überraschend Pauls älterer Bruder Max mit seiner Freundin Lene auftaucht, kommt es bald zu Spannungen zwischen den Brüdern. Jeder zaghafte Versuch von Max, seinem kleinen Bruder auf die Füße zu helfen, scheint diesen paradoxerweise nur zu bestärken in seiner ablehnenden Haltung.

Mit seiner orientierungslosen und gelangweilten Hauptfigur ist Ulrich Köhlers Debüt "Bungalow" auf den ersten Blick eng verwandt mit Henner Wincklers Film "Klassenfahrt", der erst kürzlich in den Kinos lief. Während es bei Winckler jedoch um die Symptome einer speziellen Generation zu gehen schien, dreht "Bungalow" sich eher um eine Phase auf dem Weg ins Erwachsenwerden, die zeitlos sein dürfte – um dieses selbstgerechte spätpubertäre Gefühl, die ganze Welt verstünde einen nicht, ohne dass man sich eingestehen kann, dass man sich ja nicht mal selbst versteht.

Paul ist in dieser Hinsicht allerdings so extrem gezeichnet, dass es beim Zuschauen immer schwerer fällt, Verständnis für ihn aufzubringen. "Nach drei Tagen willst du ihn umbringen", sagt Max zu seiner Freundin, und man kann ihn durchaus verstehen. Tatsächlich tut Paul alles – wenn er etwas tut -, um dem Image des Kotzbrockens gerecht zu werden: Er versucht, die Freundin seines Bruders zu verführen; er klaut ein Auto; er verprellt seine Ex-Freundin, die sich mit ihm versöhnen will.

Solche irritierenden Augenblicke, die sich scheinbar aus dem Nichts aufbauen, inszeniert Köhler mit einer seltenen Präzision, die nie akademisch wirkt. Er beweist ein außerordentliches Gespür für Schauspielerführung und findet eine einfache, aber treffende Bildsprache für die Seelenlage seines Protagonisten: Selbst die Landschaftstotalen strahlen ein Gefühl der Klaustrophobie aus, als betrachte man die Welt durch Pauls Augen, der sich gefangen fühlt – auch wenn er nicht weiß, wovon. Es tut auch gut, dass Köhler gar nicht erst versucht, Pauls störrische Art zu erklären, weil es – außer dem Alter vielleicht – gar keine Erklärung gibt. Problematisch ist hingegen, dass Köhler kaum Brüche in Pauls immer extremere Verhaltensmuster einbaut, Szenen etwa, in denen sich seine emotionale Sperre wenigstens für ein paar Sekunden löst – wenn Paul heimlich Lenes Badeanzug anzieht, ist das ein eher unbeholfener Versuch, die sexuelle Selbstfindung des Jungen in ein Sinnbild zu packen.

Man findet einfach keinen emotionalen Zugang zu Paul, der zu lahm ist, um ein Rebell zu sein, zu hohl für einen Existenzialisten und zu überzeichnet für eine realistische Figur. Seine Gleichgültigkeit überträgt sich irgendwann auf uns Zuschauer. Und wenn er am Ende auf der Landstraße verschwindet, ist man irgendwie froh, ihn los zu sein.

 

 

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