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Dokumentarfilm über die Geschichte der berühmt-berüchtigten Familie Brasch. Die Eltern Horst und Gerda lernten sich während des Zweiten Weltkriegs als Juden im Londoner Exil kennen. 1946 zogen sie nach Ostberlin, wo sie eine Familie gründeten und ihren Traum von einer fairen, antifaschistischen Gesellschaft verwirklichen wollten. Während Horst sich als SED-Funktionär ganz dem Kommunismus verschrieb, wurde die kunstbeflissene Gerda in der DDR nie wirklich heimisch. Die Söhne Thomas und Peter wurden Schriftsteller, Sohn Klaus Schauspieler. Alle drei standen der DDR und damit auch den Haltungen ihres Vaters sehr kritisch gegenüber. Immer wieder kam es zu heftigen Streitigkeiten. 1968 ging Horst Brasch sogar so weit, seinen Sohn Thomas bei den Behörden zu denunzieren. Klaus Brasch starb 1980 im Alter von 30 Jahren; Thomas (*1945) und Peter (*1955) starben beide im Jahr 2001. Überlebt wurden sie von ihrer Schwester Marion Brasch (*1961), die als Hörfunkjournalistin und Schriftstellerin arbeitet. 2012 veröffentlichte sie ein Buch über die Geschichte ihrer Familie, die zuweilen auch als "die Manns der DDR" bezeichnet wird.
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In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bilden die Braschs eine Vorzeige-Funktionärsfamilie, die zunächst in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) und dann in der neugegründeten DDR den Traum von einem sozialistischen deutschen Staat vorlebt: Horst Brasch, in Oberbayern aufgewachsen und 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien gekommen, ist ein leidenschaftlicher Antifaschist und ehemals jüdischer Katholik. Zusammen mit seiner in Wien aufgewachsenen und 1938 nach England emigrierten Frau Gerda, die er im Londoner Exil kennenlernte, baut er die DDR mit auf, obwohl diese darin nie heimisch wird und bereits 1975 stirbt. Horst Brasch ist von 1966 bis 1969 stellvertretender Kulturminister der DDR, von 1971 bis 1975 Zweiter Sekretär der SED-Bezirksleitung in Karl-Marx-Stadt. Er stirbt im August 1989, kurz vor dem Rücktritt Erich Honeckers und dem Fall der Mauer.
Sein Sohn Thomas, der wie sein Vater von einer gerechteren Welt träumt, aber wie seine jüngeren Brüder Peter (Hörspielautor, Dramaturg) und Klaus (Schauspieler, u.a. „Solo Sunny“) dem real existierenden Sozialismus kritisch gegenübersteht, wird in beiden deutschen Staaten zum Literaturstar. Was dem vom Vater zur verhassten Kadettenanstalt gezwungenen Freigeist nicht wirklich in die Wiege gelegt wurde. Nach jeweils mit vorzeitiger Exmatrikulation abgebrochenen Studien der Journalistik in Leipzig und der Dramaturgie an der Filmhochschule Babelsberg kam 1966 seine erste Inszenierung an der Volksbühne heraus, die im gleichen Jahr verboten wurde. 1968, im Jahr der Geburt seines Sohnes Benjamin mit der Liedermacherin Bettina Wegner, wird Thomas Brasch wegen einer Flugblatt-Aktion gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Dubcek-CSSR inhaftiert – den Behörden ausgeliefert vom eigenen Vater.
Als Erstunterzeichner der Resolution gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann siedelt der Fräser im Kabelwerk Oberspree 1976 mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Katharina Thalbach und ihrer Tochter Anna nach West-Berlin über. Seine Filme „Engel aus Eisen“ (1981) und „Der Passagier“ mit Weltstar Tony Curtis (1988) werden in Cannes uraufgeführt. Der Mauerfall 1989 beendet auch Thomas Braschs nach wie vor vorhandenen sozialistischen Träume: Noch bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises durch den Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß hatte Thomas Brasch für einen Skandal gesorgt mit seinem provokanten Dank für seine Ausbildung an die Filmhochschule Babelsberg, die er freilich nach nur einem Jahr abgebrochen hat. Sein Projekt „Mädchenmörder Brunke“ bleibt Fragment, bis zu seinem Tod 2001 schreibt er Gedichte und übersetzt die Stücke William Shakespeares. Mit seiner Beerdigung auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof schließt der Film.
Regisseurin Annekatrin Hendel porträtiert drei Generationen Brasch, die die Spannungen der Geschichte innerhalb der eigenen Familie austragen – zwischen Ost und West, Kunst und Politik, Kommunismus und Religion, Liebe und Verrat, Utopie und Selbstzerstörung: „'Familie Brasch' ist ein Dokumentarfilm, der sich mit heutigen Fragen an etwas Vergangenes annähert. Der Film erzählt, wie sich die Jungen von der Vätergeneration zu emanzipieren versuchen. Mir ist wichtig, dass man diesen gewöhnlichen, archetypischen Vorgang der Auseinandersetzung als einen politischen wahrnimmt, auch wenn – oder gerade weil – er sich innerhalb einer Familie abspielt. Es ging um etwas, um nicht weniger als die letzte große Utopie, während gleichzeitig der tief humanistische Gesellschaftsentwurf des Vaters, der dem Antifaschismus entsprang, zur Diktatur mutierte. Beide Seiten, beide Generationen, glaubten an die Möglichkeit einer besseren Welt. Beide Seiten führten eine verzweifelte Auseinandersetzung darüber, welcher Weg der richtige ist. Die Jungen mit Hoffnung, Offenheit und Neugier, bis sie am Herrschaftsanspruch der Alten abprallten. Wie groß muss die Enttäuschung der Kinder gewesen sein, die den Traum vom Sozialismus teilten, sich aber mit den real existierenden Zuständen nicht abfinden konnten“.
„Familie Brasch“ ist bewusst ein Zeitpanorama, das Geschichte, hier die des „Roten Adels“, als Familiengeschichte erlebbar machen will: Horst Brasch erhielt nach seinem Tod am 18. August 1989 eines der letzten großen Staatsbegräbnisse in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Zusammen mit den Illustrationen von Leif Hanzo, besonders dessen große Familienaufstellung, die es auch aufs Filmplakat geschafft hat, erinnert Annekatrin Hendels Dokumentation an Heinrich Breloers TV-Dreiteiler „Die Manns“ von 2001, der das problematische Verhältnis der Brüder Heinrich und Thomas Mann in den Mittelpunkt stellt mit der so hochbetagten wie engagierten Zeitzeugin Elisabeth Mann-Borgese im Zentrum (und Katharina Thalbach als Therese Giehse).
Pitt Herrmann