Das schweigende Klassenzimmer

Deutschland 2017/2018 Spielfilm

Inhalt

1956. Die beiden Abiturienten Theo und Kurt, die in Stalinstadt leben, fahren für einen Kinobesuch in den Westteil von Berlin. Als sie in der Wochenschau einen Bericht über die blutige Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands sehen, sind sie so schockiert, dass sie mit ihren Mitschülern Lena, Paul und Erik während des Unterrichts eine solidarische Schweigeminute für die Opfer einlegen. Mit dieser Aktion geraten sie jedoch ins Visier der DDR-Behörden. Vergeblich versucht der Schuldirektor, die Sache als harmlose Flause abzutun. Doch damit gibt sich die Stasi nicht zufrieden. Die Schüler werden verhört, bedroht und unter Druck gesetzt. Man will die Namen der Rädelsführer, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Allerdings ist die Solidarität der Schüler wesentlich stärker, als erwartet.
 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Als Ende Oktober 1956 in dem kleinen Ort Storkow in Brandenburg, im Film Stalinstadt genannt, das Gerücht umging, der berühmte Fußballer Ferenc Puskas sei unter den Opfern der gewaltsamen Niederschlagung der ungarischen Freiheitsbewegung gegen die sowjetischen Besatzer, der am 1. November die Erklärung des Ministerpräsidenten Imre Nagy der Neutralität seines Landes und dem Austritt Ungarns aus dem „Warschauer Pakt“ folgte, sollte es eine kleine spontane Aktion der Solidarität sein: Zwei Minuten lang Schweigen zu Unterrichtsbeginn. Daraus wurde ein politischer Skandal, der Kreise bis in die Ost-Berliner Spitze von Partei und Staat zog. Die neunzehn Schüler der Kurt-Steffelbauer-Oberschule, die keine(n) „Rädelsführer“ benennen wollten, wurden hart bestraft: ihre Abiturklasse wurde am 21. Dezember aufgelöst.

Dieter Garstka, Jahrgang 1939, der später Germanistik, Soziologie und Geographie in Köln und Bochum studierte, danach Gymnasiallehrer in Essen und Krefeld war und heute in Essen lebt, hat 2006 ein bei Ullstein erschienenes reich bebildertes „Klassenbuch“ vorgelegt, in dem er den so ungeheuerlichen wie authentischen Fall minutiös schildert – bis zum Happy End des gemeinsamen Abiturs im westdeutschen Bensheim. Er war am 19. Dezember 1956 als erster in die Freiheit geflohen – mit dem Frühzug von Storkow bis Königs Wusterhausen und dann mit der S-Bahn durchs noch ungeteilte Berlin.

Verabredungsgemäß folgten – bis auf vier Mädchen, die aus persönlichen bzw. familiären Gründen in der DDR blieben – die anderen Schüler zwischen Weihnachten und Neujahr, weil zu dieser Hoch-Zeit der familiären Begegnungen zwischen beiden deutschen Staaten die Kontrollen in den Zügen nach Berlin laxer waren. Sie fuhren immer mindestens zu zweit bzw. in kleinen Gruppen, um den Angehörigen Mitteilung machen zu können, wenn etwas schiefgelaufen wäre. Aus dem Aufnahmelager für „Zonenflüchtlinge“ in West-Berlin ging es dann Anfang 1957 geschlossen weiter an die hessische Bergstraße, wo sie in einer Sonderklasse ihr Abitur machen konnten. Lars Kraume hat die auch heutigen Kinobesuchern unter die Haut gehende Geschichte, die jeden Politiker Lügen straft, der immer noch von einem Rechtsstaat DDR spricht, möglichst nah am historischen Geschehen verfilmt.

Fünf Jahre vor dem Mauerbau sitzen die beiden Abiturienten Theo Lemke und Kurt Wächter im Schienenbus von Stalinstadt in die Hauptstadt der DDR. Sie schleichen sich heimlich durchs Klofenster in ein West-Berliner Kino, um einmal freizügige Filmszenen sehen zu können. Aber es sind andere nackte Tatsachen, die sie elektrisieren und die nicht im „Neuen Deutschland“ stehen: die „Neue Deutsche Wochenschau“ zeigt Bilder von der blutigen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes durch sowjetische Panzer. Bilder, die auch am 17. Juni drei Jahre zuvor in Ost-Berlin entstanden sein könnten. Theos und Kurts Eindrücke machen rasch die Runde in der Klasse nach dem morgendlichen Fahnenappell. Paul lädt seine Mitschüler in die abseitig gelegene Behausung seines Großonkels Edgar ein, wo sie ungestört Rias hören können, den „Rundfunk im amerikanischen Sektor“. Dort wird die Nachricht vom Tod der Fußball-Legende verbreitet – eine Ente, wie sich später herausstellt.

Zu spät, denn da hat sich die Klasse mit der Mehrheit von zwölf Stimmen bereits für die beiden Schweigeminuten für die Opfer des Aufstands entschieden. Der Mathematiklehrer Mosel weiß sich nicht anders zu helfen, als die merkwürdige Angelegenheit dem Schuldirektor Schwarz zu melden. Der „Neulehrer“ aus der Arbeiterklasse will keinen Ärger, weder mit den Schülern, die so kurz vor dem Abitur stehen, noch gar mit vorgesetzten Behörden. Er sieht sich ohnehin unter verschärfter Beobachtung der ehrgeizigen Kreisschulrätin Kessler.

Doch als die Angelegenheit im Lehrerkollegium ruchbar wird, ist das Kind in den Brunnen gefallen: bis hin zum Volksbildungsminister Lange nach Berlin dringt die Kunde. Der hohe SED-Funktionär reist höchstselbst nach Stalinstadt und verkündet ein Ultimatum: sollte binnen einer Woche kein(e) Rädelsführer der „versuchten Konterrevolution“ benannt sein, erfolgt die kollektive Relegation der Abiturklasse. Aber selbst das Einspannen der Eltern, vom treuen SED-Genossen und Stadtratsvorsitzenden Hans Wächter bis zu Hermann Lemke, der beim Arbeiteraufstand 1953 dabei war und nun hier in der Provinz auf Bewährung malocht, kann den Zusammenhalt der Schüler nicht sprengen.

Im Gegenteil: Als Erik Babinski, Ziehsohn des evangelischen Pfarrers Melzer, in einem unbedachten Moment ausplaudert, bei wem die Klasse Rias gehört hat und es Edgar im wahren Wortsinn an den Kragen geht, weiß auch das letzte überzeugte FDJ-Blauhemd, welcher Methoden sich das Regime bedient. Und selbst ein Hans Wächter lässt seinen Sohn – bis zur Wiedervereinigung auf Nimmerwiedersehen – in den Westen ziehen, nachdem ein perfider Erpressungsversuch seiner Genossen bei Erik mit einem Foto seines als „Verräter“ aufgeknüpften leiblichen Vaters zu einem Ausbruch sinnloser Gewalt geführt hat...

Gedreht in Berlin und in der sozialistischen Musterstadt Eisenhüttenstadt schlägt „Das schweigende Klassenzimmer“ ein weitgehend unbekanntes Kapitel deutsch-deutscher Nachkriegsgeschichte auf. Großartig besetzt erzählt der Film vom außergewöhnlichen Mut Einzelner, sich einem Unterdrückungsregime zu widersetzen – in solidarischer Gemeinschaft. Theo, Kurt und die anderen sind in diesen Widerstand förmlich hineingerutscht, er war zumal so kurz vor dem Abitur nun wirklich nicht angesagt. Dietrich Garstka über die Leinwand-Adaption „seiner“ Geschichte im Studiocanal-Presseheft: „Diese Bedrohlichkeit hatte ich auf einmal wieder stark im Gefühl, denn der Film erzählt die Geschehnisse mit einer starken Sprache, mit starken Bildern. (…) Ja, so sind sie, dachte ich, ja, so waren sie, die Diktatoren, die sich auch gegen Jugendliche richten und sie ernst nehmen als Gefährder ihrer Macht, deren Protest sie durch nichts entschuldigen, weil sie fixiert waren, weil sie keine Veränderung duldeten. Die ganze Atmosphäre stimmt. Die Lebensfreude einerseits. Die Stimmung des Misstrauens andererseits. Intensiv.“

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Regie

Regie-Assistenz

Continuity

Drehbuch

Kamera-Assistenz

Steadicam

Standfotos

Kamera-Bühne

Szenenbild

Set Dresser

Ausstattung

Garderobe

Schnitt

Schnitt-Assistenz

Stunt-Koordination

Darsteller

Herstellungsleitung

Produktionsleitung

Produktions-Assistenz

Produktions-Koordination

Dreharbeiten

    • 21.02.2017 - 06.04.2017: Berlin und Eisenhüttenstadt
Länge:
111 min
Format:
DCP, 1:2,39 (CinemaScope)
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 16.04.2018, 175335, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 20.02.2018, Berlin, IFF - Berlinale Special;
Kinostart (DE): 01.03.2018

Titel

  • Originaltitel (DE) Das schweigende Klassenzimmer

Fassungen

Original

Länge:
111 min
Format:
DCP, 1:2,39 (CinemaScope)
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 16.04.2018, 175335, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 20.02.2018, Berlin, IFF - Berlinale Special;
Kinostart (DE): 01.03.2018

Auszeichnungen

Filmfest München 2018
  • Die Brücke - Friedenspreis des Deutschen Films, Regiepreis national
Bunte 2018
  • New Faces Award, Bester Film
Bayerischer Filmpreis 2018
  • Bester Nachwuchsdarsteller (ex aequo >LOMO - The Language of Many Others<)
FBW 2018
  • Prädikat: besonders wertvoll