Inhalt
Gemeinsam mit seinem Bruder Keule klappert Hoffi, der wegen Körperverletzung im Gefängnis saß, Großbaustellen im ganzen Land ab: Er will Urban finden, einen Vermessungsingenieur, den er während eines Krankenhausaufenthalts kennen gelernt hat, und der für Hoffi zu einer Art Vorbild geworden ist. Als er auf einer Baustelle die hübsche Praktikantin Gila kennen lernt, scheint der notorische Streuner endlich sesshaft werden zu wollen, zumal er sich auch in seiner Arbeiterbrigade sehr wohl fühlt.
Doch Gilas Eltern misstrauen Hoffi und lehnen die Beziehung ihrer Tochter zu dem Ex-Häftling kategorisch ab. Als Gila ein Kind von Hoffi erwartet, kommt es zum endgültigen Bruch mit den Eltern. Zunächst scheint auch Hoffi seine Freundin im Stich zu lassen, als er sich nicht zu einer Heirat durchringen kann. Mit Hilfe seiner Freunde vom Bau erkennt er jedoch sein Fehlverhalten und kehrt zu Gila zurück.
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Das im familiären Bereich aus einer alleinerziehenden Mutter mit einem Stall voller Kinder unterschiedlicher Väter besteht, die zusammen in einer viel zu kleinen Wohnung hausen. Kein Wunder, dass Hoffi das Weite gesucht und sich sein kleiner Bruder Keule an seine Fersen geheftet hat. Erst im Krankenhaus, als Hoffi sich warum auch immer mit dem erfahrenen, in der Welt herumgekommenen Vermessungsingenieur Urban ein Zimmer teilt, lernt er erstmals eine ernst zu nehmende Vaterfigur kennen. Mit einem „Kreuz wie ein Schrank“, wie Hoffi später auf der Suche nach seinem Vorbild immer wieder betont, spannenden Erzählungen aus seinem beruflichen Leben und einer gefestigten ideologischen Weltsicht gelingt es dem überzeugten Parteigenossen Urban, in Hoffi das Interesse an einem zielgerichteten Leben zu wecken. Bewährung auf dem Bau, dann vielleicht sogar ein Ingenieurstudium: Hoffi ist zuversichtlich, zumal ihm sein Zimmergenosse einen Job auf „seiner“ Baustelle verspricht. Nur muss diese erst einmal gefunden werden!
Vom hohen Norden geht es in den tiefen Süden nach Sachsen, was aus Ingrid Reschkes viertem und leider letztem Spielfilm freilich noch kein Roadmovie macht, wie vielerorts in zeitgenössischen Kritiken zu lesen war. Keule fühlt sich wie Rübezahl und hat schon wieder 'was zu meckern: Steiler Aufstieg im Elbsandsteingebirge. Aber diese Aussicht! Von Urban keine Spur, also retour an die See. Wo die beiden die Bekanntschaft des Brigadiers „Latte“ Latowski machen samt der hübschen Zeichnerin Gila Laabs im Beiwagen seines Motorrads. Eine Begegnung mit Folgen: Die Hoffmann-Brüder lassen sich auf der Großbaustelle anheuern. Und machen sich nicht schlecht in der Brigade, in der ein rauer, aber herzlicher Ton herrscht. Und die kein Wort über Hoffis Knast-Vergangenheit verliert, obwohl es alle wissen. Im übrigen auch Gila Laabs, die Studentin im Praktikum, die mit ihrer Kollegin wettet, den sich so zurückhaltend gebenden Hoffi zu erobern. Wo sie doch ansonsten alle Mannsbilder um den kleinen Finger wickelt.
Bei dem allerdings beißt sie – zunächst – auf Granit. Er hat sich für seine Bewährungszeit auf dem Weg zu einem geläuterten sozialistischen Menschen eine Art Ehrenkodex gegeben, in dem ausdrücklich „keine Frauen“ steht. Was aber auch tiefere Gründe hat: Urban hat ihm aufgrund eigener Erfahrungen dringend von einer eigenen Familie abgeraten, die stets unter einen Montagejob des Mannes zu leiden habe. Zudem lebt Gilas Familie in Berlin – und die Hauptstadt ist für ihn laut Gerichtsbeschluss noch für geraume Zeit verbotenes Terrain. Doch der forsche, etwas naive, aber sehr offenherzige kleine Bruder nimmt den „Großen“ mit – und am Baggersee kommen sich Gila und Hoffi endlich näher. Was auch dem Brigadier nicht verborgen bleibt, der für seine Männer den nächsten Baustelleneinsatz in Berlin vereinbart hat: Latte und Kirsche, so etwas wie ein Vorarbeiter in der Brigade, haben über Wanda Noack eine Aufhebung des Hauptstadt-Verbotes erreicht.
Gilas linientreue Eltern sind entsetzt über den neuen Freund ihrer Tochter: Ein Knastbruder als potentieller Schwiegersohn, wie Hoffi bereits von trinkfesten sowjetischen Freunden der Laabs gefeiert wird, passt nicht ins kleinbürgerliche Weltbild der Genossen. Und ein Zimmer in Mutter Hoffmanns Kinderhort? Da ist einmal mehr Wanda Noack gefragt, so etwas wie die Mutter für alle(s) im Kiez. Ein leerstehendes Geschäft mit angrenzender Wohnung wird gefunden und mit kollektiver Unterstützung renoviert. Obwohl Gila schwanger ist, zieht Hoffi das Wohnheim der Bauleute vor: Er will sich nicht vor der Verantwortung als Vater drücken, denkt durchaus auch an eine Heirat, aber die Warnung Urbans, den er weiterhin ohne Erfolg sucht, wirkt nach. Zumal Hoffi weiterhin meint, Verantwortung für Keule übernehmen zu müssen. Doch der nabelt sich – endlich – ab, träumt davon, zum Zirkus zu gehen und herumzureisen. Und dann gibt’s Post von der Nationalen Volksarmee: 18 Monate Wehrdienst. Hoffi fügt sich in sein Schicksal, zumal er Lattes Rat beherzigt und Gilas Eltern zur Wohnungseinweihung mitgebracht hat: Sein Kind wird nicht allein aufwachsen müssen. Beim Abschied von der neuen Großfamilie kommt es am Ostbahnhof tatsächlich zu einer kurzen Begegnung mit Urban, der schon wieder auf dem Sprung in ferne Länder ist...
„Kennen Sie Urban?“ ist eine sozialistische Coming-of-Age-Geschichte in Schwarzweiß auf Totalvision-Format. Noch unter dem Arbeitstitel „Auch aus Sorgenkindern werden Leute“ hat Ulrich Plenzdorf eine Materialsammlung gesichtet, welche die Berliner Journalistin und spätere Schriftstellerin Gisela Karau im Frühjahr 1966 bei der Defa eingereicht hatte mit Artikeln aus der Ost-Berliner Boulevardzeitung „BZ am Abend“ und eigenem Recherchematerial aus Berliner Jugendklubs. Plenzdorfs ursprüngliches Szenarium sah noch zwei Hauptfiguren vor: Eine unermüdlich engagierte, aber durchaus sehr unkonventionelle Genossin, die spätere Wanda Noack, und ein junger Mann, der spätere Hoffi, der kurz nach dem Mauerbau versucht hat, nach West-Berlin zu fliehen und im Gefängnis landete. Wo er auf einen überzeugten Kommunisten trifft, der wegen eines Wirtschaftsvergehens verurteilt wurde.
Neben den von der Zensur beeinflussten Änderungen, so spielen der Mauerbau 1961 und seine Folgen bald keine Rolle mehr und ein straffällig gewordener Kommunist im Gefängnis geht natürlich gar nicht, hat auch die gesellschaftliche Entwicklung im Arbeiter- und Bauernstaat die Arbeit Plenzdorfs beeinflusst. War Mitte der 1960er Jahre die Ächtung eines unehelichen Kindes noch ein unbedingter Heiratsgrund, so wirkt sich die aus eklatant notorischem Arbeitskräftemangel geradezu erzwungene Emanzipation der Frau fünf Jahre später exakt gegenteilig aus: Nur weil Gila (noch) eine ledige Mutter ist, kann Wanda Noack ihr so schnell und unbürokratisch einen Krippenplatz besorgen. Solchermaßen auf Linie gebracht ist „Kennen Sie Urban?“ mit Preisen überhäuft worden: Ulrich Plenzdorf und Ingrid Reschke erhielten den Heinrich-Greif-Preis (I. Klasse) und den Kunstpreis des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), welcher auch dem Schauspieler Thomas Neumann und dem Musiker Rudi Werion verliehen wurde.
Pitt Herrmann