Film im NS-Staat

Quelle: DIF
Hermann Göring, Adolf Hitler (v.l.n.r.) in "Feuertaufe" (1939/40)
 

"Wir gehen nicht mehr!", prophezeite Propagandaminister Goebbels zur Herrschaft des NS-Regimes. Man habe sich darauf einzustellen, dass "die nationalsozialistische Bewegung in die Wirtschaft und die allgemeinen kulturellen Fragen, also auch in den Film, eingreift" – der Film solle nun "völkische Konturen" erhalten, und Kunst sei nur dann möglich, "wenn sie mit ihren Wurzeln in das nationalsozialistische Erdreich eingedrungen ist". Mit diesen Worten, die Joseph Goebbels in einer Rede im Berliner Hotel Kaiserhof am 28. März 1933 an Vertreter der Filmbranche richtete, wurden bereits die Grundzüge der kommenden Filmpolitik der Nazi-Diktatur definiert.

 

Goebbels' Rede steht repräsentativ für eine Zeit radikaler, antidemokratischer Umbrüche – das Ende der Weimarer Republik. Zwei Wochen zuvor, am 13. März, war Goebbels zum Minister für Volksaufklärung und Propaganda berufen worden, und erst acht Wochen lag die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler zurück. Vier Wochen vor der Goebbels-Rede, am 28. Februar, gelang den Nazis mit der "Reichstagsbrandverordnung" ein wichtiger gesetzlicher Rahmen. Mit dem am 23. März verabschiedeten Ermächtigungsgesetz besaß die Regierung schließlich die Befugnis, ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat Gesetze zu erlassen. Ein weiterer entscheidender Schritt hin zum totalitären NS-Regime war gelungen, in dem das Medium Film eine besondere Rolle spielen sollte. 

Die "Arisierung"

Quelle DIF: Nachlass Johannes Meyer
"Fridericus" (1936): Johannes Meyer, Joseph Goebbels, Carola Höhn (vorne v.l.n.r.) im Vorführraum
 

Das Ziel einer völkisch-rassistischen "Säuberung", darauf hat der Filmhistoriker Martin Loiperdinger hingewiesen, war durch die Nazis bereits lange vor dem Machtantritt sehr konkret ausgegeben worden: "Vor allem dem "Berliner Filmjudentum" war immer wieder die Vernichtung der Existenz angedroht worden." Im NS-Staat nahm diese Drohung Gestalt an. Der Druck auf jüdische Filmschaffende erhöhte sich sofort; nur wenige wurden – wie Reinhold Schünzel der von 1933 bis 1937 als so genannter "Halbjude" mit einer Sondergenehmigung arbeitete – eine Zeitlang geduldet, um als Filmkünstler und Devisenbringer den deutschen Film exportfähig zu halten. Bereits im Frühling 1933 hatte die Ufa, der größte deutsche Filmkonzern, "infolge nationaler Umwälzungen in Deutschland" ihre jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Das Ziel war ein deutsches Filmgewerbe, von dem erstens alle ausgeschlossen wurden, die politische Gegner darstellten und/oder den antisemitischen, rassistischen und nationalistischen Vorstellungen der Nazis nicht entsprachen, und das zweitens als verstaatlichte Industrie zum Instrument der NS-Führung werden sollte. Auf dem Weg dahin wurde am 1. Juni 1933 die Filmkreditbank als zentrale Steuerungsinstanz für Filmfinanzierung gegründet. Nachdem bereits am 28. Juni verfügt worden war, dass jeder, der "an der Herstellung eines deutschen Filmstreifens mitwirken will, deutscher Abstammung sein und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen" muss, sorgte die Reichsfilmkammer mit der "Zuverlässigkeitsklausel" noch im selben Jahr dafür, dass die sogenannte "Arisierung" des deutschen Films weiter vorangetrieben wurde. Das Exil blieb als einziger Ausweg: "Mehr als 1.500 Filmschaffende – viele von ihnen Juden oder politisch progressiv – flohen aus Deutschland", so der Filmhistoriker Eric Rentschler, "und wurden durch sich politisch anbiedernde Schreiberlinge und zweitklassige Opportunisten ersetzt." Viele, die nicht entkamen, wurden wie Kurt Gerron, Eugen Burg, Paul Morgan, Otto Wallburg von den Nazis ermordet.

Verstaatlichung, Propaganda und Unterhaltung

Quelle: DIF
"Hitlerjunge Quex" (1933): Jürgen Ohlsen (liegend)
 

Für das Ziel der totalen Kontrolle des deutschen Films arbeiteten die Nazis u.a. durch den Eingriff in den ständischen Aufbau der Filmwirtschaft, durch Veränderungen des Lichtspielgesetzes, der Zensur und Prädikatisierung von Filmen und durch die faktische Abschaffung der Filmkritik. Letztere wurde 1936 durch die dem Nationalsozialismus verpflichtete "Filmbetrachtung" ersetzt. Die eigentliche Verstaatlichung der deutschen Filmindustrie gelang jedoch verdeckt durch den "Reichsbeauftragten für die Deutsche Filmwirtschaft" Max Winkler und die Cautio Treuhandgesellschaft. Im Hintergrund wurden nach und nach die deutschen Filmfirmen aufgekauft und unter staatliche Kontrolle gebracht, bis am 10. Januar 1942 schließlich alle mittelbaren und unmittelbaren staatlichen Filmfirmen zu einer Holding, der Ufa-Film GmbH, genannt UFI, vereint wurden. Gleichwohl war der NS-Film – wie jede historische Epoche und jede nationale Kinematographie – zu keiner Zeit ein komplett widerspruchsfreies, hermetisches Phänomen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 sorgte ebensowenig für eine abrupte "Stunde Null" wie die Befreiung von der NS-Diktatur 1945. Auch vor 1933 war Antisemitismus eine gesellschaftliche Realität, und nicht jeder Film in der NS-Zeit diente in gleichem Maße der Propaganda. Unterhaltungsfilme zeigten sich in anderer Form von nationalsozialistischer Ideologie durchsetzt als aggressive Propagandafilme, und auch nach 1933 existierten vereinzelte Ausläufer des freieren Filmschaffens aus der Zeit der Weimarer Republik. Werke wie Reinhold Schünzels "Viktor und Viktoria" (1933), Oskar Fischingers "Komposition in Blau" (1935) und "Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück" (1935), in dem Schünzel die "SS-Leibstandarte Adolf Hitler" als antike Soldaten in Sandalen und Minirock durch die Kulissen schickte, stehen zeitlich direkt neben Propaganda- und Hetzfilmen wie "Hitlerjunge Quex" (1933), "SA-Mann Brand" (1933), Leni Riefenstahls NSDAP-Reichsparteitags-Film "Triumph des Willens" (1935) und dem im Auftrag der "N.S. Kulturgemeinde" hergestellten Kulturfilm "Ewiger Wald" (1936).

Film im Krieg

Quelle: DIF
"Wunschkonzert" (1940): Joachim Brennecke, Carl Raddatz, Ilse Werner (v.l.n.r.)
 

Von Beginn an verstand die NS-Führung den Film als ein Medium zur Massenerziehung, und unterhaltende Stoffe wurden vom selbst ernannten "Schirmherrn des deutschen Films" Joseph Goebbels zusehends den offensiven Propagandafilmen vorgezogen. Diese besondere Rolle des Films gewann mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, zusätzliche Bedeutung. "Seine erzieherische Wirkung" müsse der Film "gerade im Kriege" entfalten, wobei Goebbels auch "die Unterhaltung" als "staatspolitisch wichtig, wenn nicht sogar kriegsentscheidend" verstand. In der Folge entstanden sowohl hetzerische Dokumentarfilme wie "Feldzug in Polen" (1940) und das antisemitische Machwerk "Jud Süß" (1940) als auch propagandistische Unterhaltungsfilme wie "Wunschkonzert" (1940) sowie tendenziöse Spielfilmportraits "großer Deutscher" wie "Friedrich Schiller" (1940) und "Carl Peters" (1941). Auch im Krieg und während des millionenfachen Massenmords in den deutschen Vernichtungslagern lief die deutsche Filmindustrie auf Hochtouren: "Die Anzahl der verkauften Eintrittskarten", erläutert die Filmwissenschaftlerin Sabine Hake, "schnellte von 624 Millionen im Jahre 1939 auf 1,117 Milliarden im Jahre 1943. In den frühen 1940er Jahren hatten nur die Vereinigten Staaten mehr Vorführorte als das Dritte Reich mit seinen beinah 8600 Kinos in Deutschland und den besetzten Ländern und Gebieten."

Nach dem Ende

Quelle: DIF
"Kolberg" (1943-45): Gustav Diessl (vorn)
 

Der Film blieb bis zum Ende das Leitmedium im NS-Staat. Noch 1944/45, als Zivilisten zwischen 16 und 60 Jahren den "Volkssturm" bildeten, wurden ganze Armee-Einheiten als Komparsen für den farbigen, aufwändigen "Durchhaltefilm" "Kolberg" eingesetzt, der als einer der letzten Filme am 30. Januar 1945 seine Premiere erlebte. Umso wichtiger wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Zerschlagung Nazideutschlands 1945 die Frage, wie mit dem NS-Filmerbe umzugehen sei.Ganz abgesehen von Dokumentarfilmen, Wochenschauen, Kultur- und Kurzfilmen hat das "Dritte Reich" allein über 1.000 Spielfilme den Nachkommenden hinterlassen. Die wenigsten von ihnen wurden als genuine Beiträge zur NS-Propaganda angesehen und in diesem Sinne ausführlich diskutiert oder aufgrund ihres volksverhetzenden Inhalts von den Militärregierungen und der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) nicht freigegeben. Durch Fernsehausstrahlungen und Veröffentlichungen auf Video und DVD sind große Teile des NS-Films bis heute Bestandteil der deutschen Alltagskultur. Umso größer wird damit die Herausforderung, sich bewusst mit den Filmen aus dem nationalsozialistischen Deutschland auseinanderzusetzen.