Die verdeckte Verstaatlichung

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Ludwig Klitzsch, Adolf Hitler und Joseph Goebbels (1.-3.v.l.) beim Besuch der Dreharbeiten zu "Amphitryon" (1935)
 

Nur sechs Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler war bereits das "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" gegründet. Zum Minister wurde am 13. März Joseph Goebbels ernannt, dem nach einer Verordnung Hitlers, "alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation" unterlagen. Unmissverständlich gab dabei auch Goebbels die neue totalitäre Marschrichtung vor: "Ich sehe in der Errichtung des neuen Ministeriums (...) insofern eine revolutionäre Regierungstat, als die neue Regierung nicht mehr die Absicht hat, das Volk sich selbst zu überlassen."In der Abteilung V (Film) wurden die Filminteressen im Reich in fünf Ressorts zusammengefasst: Filmwesen und Lichtspielgesetz, Filmwirtschaft, Filmwesen im Ausland, Filmwochenschauen, Filmdramaturgie, später ergänzt durch die Filmakademie. Um die weitreichenden Filmpläne der Nazi-Führung durchzusetzen, bedurfte es jedoch weiterer Mittel, weiterer Einflußnahmen im Sinne der NS-Ideologie: Es wurde in den ständischen Aufbau der Filmwirtschaft eingegriffen, das Lichtspielgesetz reformiert, neue Zensurkategorien und Prädikate eingeführt und die Filmkreditbank gegründet. Zudem trieb man die sogenannte "Ausschaltung artfremder Elemente" voran – eine unmittelbare Folge dieser rassistischen, völkisch-nationalistischen Politik war, dass die Ufa noch im März 1933 ihre jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entließ.Nach Gründung der Reichskulturkammer im September 1933 wurde die Vorläufige Filmkammer in Reichsfilmkammer umbenannt und in die Reichskulturkammer eingegliedert. Auch die Filmpresse stellten die Nazis unter staatliche Kontrolle, und am 26. November 1936 wurde schließlich jede individuelle Wertung verboten. Der Begriff Filmkritiker wurde durch Filmbeobachter ersetzt und seine Funktionalität auf dem Regime gemäße Inhaltsbeschreibungen reduziert.

 

"Zwang zum Glück": Die "Verreichlichung"

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Joseph Goebbels, Hans Steinhoff, Claus Clausen, Emil Jannings (v.l.n.r.)
 

Der Plan der Nazis, die gesamte Filmbranche in Deutschland zu kontrollieren, war damit keineswegs beendet. 1937 wurde in dieser Hinsicht zu einem entscheidenden Jahr, wie der Wirtschaftswissenschaftler und Filmökonom Daniel Otto erläutert: "Angesichts der tragenden Rolle des Reiches innerhalb der Filmwirtschaft war nüchtern betrachtet bereits zu diesem Zeitpunkt ohne den Staat fast nichts mehr möglich: Die Filmkreditbank finanzierte den relevanten Teil der Filmproduktionen, die Reichsfilmkammer kontrollierte die Eintrittspreise, Verleihmieten, den Kinosektor, und die erlaubte Einfuhrmenge ausländischer Erzeugnisse wurde zentral festgelegt. Trotzdem, und damit symptomatisch für die limitierte Reichweite staatlicher Einflussnahme, lag die Filmindustrie noch immer in privater Hand und wurde durch individuelle Ziele und den Profitegoismus der Einzelnen geleitet. Ein übergeordneter langfristiger Plan zum Wohle der großdeutschen Filmindustrie, wie er den Nationalsozialisten vorschwebte, lag den einzelnen Akteuren der deutschen Filmindustrie fern. Gegenüber der bislang praktizierten und vorherrschenden punktuellen Intervention im Bedarfsfall änderte die Regierung jetzt ihren Kurs zugunsten der Idee eines übergeordneten, langfristigen und konsequenten Plans (...). Der 'Zwang zum Glück' im Sinne Goebbels' sollte durch 'Entprivatisierung' per 'Verreichlichung' erfolgen. Ziel war es, Mehrheitsgesellschafter der Firmen zu werden, ohne einen Sitz im Aufsichtsrat oder Vorstand zu beanspruchen. Statt auf Repräsentanz lag das Augenmerk auf Mitbestimmung bei Personal- und Sachfragen, Einblick in Bilanzen und Finanzen, Rechts- und Steuerberatung und Bestellung der Aufsichtsratsgremien. Durch diesen Einfluss sah man sich dem Ziel der totalen Wettbewerbskontrolle(...) nahe."

Unsichtbare Feinde: Die Übernahme durch die Cautio

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Das Tobis-Logo
 

Nachdem das Modell der getarnten Übernahme von Firmen durch einen Mittelsmann des "Dritten Reiches" schon zuvor erfolgreich gewesen war, sollte es nun auch für die Filmwirtschaft Schule machen. Diesem Plan zufolge hatte der Einstieg in die Filmindustrie natürlich unbemerkt zu erfolgen. Und eben dafür sicherte man sich die Dienste eines Mittelsmanns, der sich schon vor 1933 bestens bewährt hatte: Für die Durchführung gewann die Naziregierung den erfahrenen Finanzexperten und langjährigen Treuhänder des Reiches, Bürgermeister a.D. Dr. h.c. Max Winkler. Damit war diese Regierung bereits die Zwanzigste in Folge, für die Winkler in seiner bewegten Karriere tätig wurde. Winkler bildete mit seinen zehn Mitarbeitern die Filmabteilung der 1929 mit 20.000 RM gegründeten Cautio Treuhandgesellschaft mbH, um die angestrebte "Verreichlichung" im Einvernehmen mit Goebbels und dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda durchzuführen. 1937 wurde er zum "Reichsbeauftragten für die Deutsche Filmwirtschaft" ernannt.Mit der Tobis, dem zweitgrößten Filmkonzern nach der Ufa, gelang der erste Coup des verdeckten Aufkaufs. Aufgrund der komplizierten Besitzstruktur bei der Tobis und der um jeden Preis zu verheimlichenden Schlüsselrolle der Regierung war dies die Nagelprobe: eine, so Daniel Otto, "feindliche Übernahme ohne bekannten Feind". Der Plan bestand darin, jene Anteile an der Muttergesellschaft Intertobis, die sich in Besitz dreier holländischer Banken befanden, durch schrittweisen Aufkauf in "deutsche Hand" zu bringen. Zur Tarnung bediente sich Winkler des holländischen Finanzinstituts Hollandsche Buitenbank, und sukzessive wurde von 1934 bis 1939 die Intertobis über die Hollandsche Buitenbank in den Reichsbesitz überführt. So wurde diese verschleierte Verstaatlichung Mitte der 1930er Jahre zur gelungenen Generalprobe – zur Ouvertüre für die Gleichschaltung der gesamten deutschen Filmindustrie.

Ende mit Fortsetzung: Winkler mit und nach den Nazis

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Max Winkler (rechts), Generaldirektor Dr. Klitzsch (2.v.r.), Horst von Hartlieb (2.v.l.) im Jahr 1942
 

In den Jahren 1936-39 steuerte Goebbels' Ministerium erst 65 Mio. Reichsmark zum Aufkauf der Firmenanteile bei, dann von 1940-44 noch einmal 120 Mio. Reichsmark. Die Investitionen sollten sich lohnen. Dank dieser enormen Summen und der geschickten Vorgehensweise Winklers hatte die Cautio zum Ende des Geschäftsjahres 1940/41 vierzehn Filmgesellschaften unter Kontrolle: Tobis Tonbild Syndikat, Ufa, Film-Finanz GmbH, Terra Filmkunst, Tobis Filmkunst, Wien-Film, Bavaria, Ostmärkische Filmtheater Betriebe, Deutsche Lichtspielbau, Tobis Sascha Filmverleih, AB-Film AG Prag, Elektafilm Prag, Continental Paris, N.V. Internationale Tobiscinema Amsterdam. Die Nazis hatten ihr Ziel erreicht, und am 10. Januar 1942 folgte schließlich die Vereinigung aller mittelbaren und unmittelbaren staatlichen Filmfirmen zu einer Holding: der Ufa-Film GmbH, genannt UFI. Die UFI, so Daniel Otto, bildete die Krönung und gleichzeitig den Abschluss von Winklers Neuorganisation der Filmwirtschaft für den NS-Staat: "Bewähren konnte sich Winklers UFI allerdings nicht mehr: Nach Fertigstellung verblieben bis zum Untergang des 'Dritten Reiches' kaum mehr als drei Jahre. Nach 1945 begann die Zerschlagung der UFI durch Abbau und Ausverkauf. Und wer bot sich zur Entflechtung des komplizierten Machwerks Besseres an als ihr Konstrukteur, der Bürgermeister a.D. Dr. h.c. Max Winkler? So wurde die junge Bundesrepublik die einundzwanzigste Regierung, der er getreu seinem Beamtenkodex seine Dienste offerierte."