Inhalt
Werner Herzogs Neuverfilmung von F.W. Murnaus "Nosferatu" aus dem Jahr 1921: Jonathan Harker reist aus Wismar nach Transsylvanien, um mit Graf Dracula über den Kauf eines Hauses zu verhandeln. Er übernachtet in Draculas Schloss und entdeckt am nächsten Morgen kleine rote Male an seinem Hals: Dracula ist ein Vampir.
Harker flieht aus dem Schloss, aber Dracula ist bereits auf dem Weg nach Wismar. Dort läuft ein Totenschiff ein: Dracula hat die Besatzung getötet und verbreitet nun die Pest in dem kleinen Städtchen. Harkers Frau Lucy opfert sich und gibt sich Dracula hin. In den ersten Sonnenstrahlen des neuen Morgens löst sich der Vampir auf. Aber Jonathan Harker ist zu einer neuen Art Vampir geworden und reitet im Tageslicht in die Ferne, um die Pest über die Welt zu verbreiten.
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„Das Blut ist das Leben“ sagt der Titelheld in Bram Stokers Horror-Klassiker „Dracula“ von 1897, der den rumänischen Fürst Vlad Dracul zum Urbild aller Vampir-Legenden erhob. Dieser soll im 15. Jahrhundert seine Untertanen sozusagen als Unterhaltungsprogramm für ausgiebige Tafelrunden gepfählt haben. Werner Herzog über seinen eher skurril-anachronistischen Blutsauger Nosferatu: „Kinski ist das einzige Genie, das ich kenne.“ Er verkörpert anders als Max Schreck in der legendären Wilhelm Murnau-Verfilmung („Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“), die das damals noch junge Genre des Horrorfilms mit noch unverbrauchten Schock-Effekten bereicherte, einen Karpaten-Graf, der sehr traurig und geradezu menschlich-anrührend wirkt, verloren in seinem zwanghaften Tun und verzweifelt auf der Suche nach Ruhe vor sich selbst. Kinski ist 1979 mit dem Filmband in Gold des Deutschen Filmpreises belohnt worden.
Ein anderer Nosferatu als gewohnt und offenbar auch erwartet, der dann bei der deutschen Kinopremiere, welche auf die Pariser Uraufführung und die Deutschland-Premiere bei der Berlinale folgte, prompt beim Publikum wie beim Großteil der Kritik, die Herzog ständig an Murnaus expressionistischem Grusel-Klassiker maß, durchfiel. Dabei hat Werner Herzog 57 Jahre nach Murnaus bahnbrechender Fortentwicklung der Trickfilm-Technik bewusst alles andere als ein Remake machen wollen.
Sein „urdeutscher“ Nosferatu, der bisweilen wie eine wehmütige Reminiszenz an ein längst vergangenes Land wirkt, ist nichts für Grusel-Fans, die sich nach kalten Schauern sehnen, dafür umso mehr für Anhänger des kunstvollen Autorenkinos. Herzogs Film lässt den Zuschauer beobachtend teilnehmen, wählt dafür bisweilen auch die Vogelperspektive. Seine Bilder, häufig gekennzeichnet durch lange, statische Kameraeinstellungen, sind künstlich, verfremdet, geradezu manieristisch. Allerdings verändert Herzog das von der Romanvorlage wie der Murnau-Leinwandadaption bekannte Ende. Zwar kann Lucy Harker den Vampir besiegen, aber nicht den Vampirismus: Der lebt in Jonathan Harker weiter, dem potentiellen neuen Nosferatu.
Dass sich einige Kritiker dazu verstiegen haben, Herzogs „Nosferatu“ als sozial- und gesellschaftskritischen Film über ein verfolgtes Individuum, das sich ausschließt und schließlich von der Gesellschaft, vom gemeinen Pöbel wie von den Intellektuellen, ausgeschlossen wird, darzustellen, halte ich für eine Überinterpretation. Zwei Tage vor dem französischen Kinostart ist „Nosferatu, fantome de la nuit“, so der Originaltitel, am 8. Januar 1979 in der Pariser Cinémathèque française uraufgeführt worden. Nach der Deutschen Erstaufführung am 23. Februar 1979 auf der 29. Berlinale gabs den „Silbernen Bären“ für Henning von Gierke (beste Ausstattung). Dem deutschen Kinostart am 12. April 1979 folgte die Erstausstrahlung am 23. März 1983 im ZDF.
Pitt Herrmann