Berlin um die Ecke

DDR 1965/1990 Spielfilm

Inhalt

Junge Arbeiter in einem Berliner Metallbetrieb Mitte der 1960er Jahre. Vieles im Betrieblichen stört sie, doch niemand nimmt ihre kritischen Äußerungen wahr, auch nicht der alte Meister, der will, dass ordentlich gearbeitet, nichts verschwendet wird. Mit ihm können auch die jungen Kollegen offen reden. Und da gibt es noch die Liebesgeschichte zwischen Olaf und der verheirateten Karin, die sich gerade von ihrem Mann trennt. Der alte Paul Krautmann bricht eines Tages im Betrieb tot zusammen. Jetzt tritt ein etwas fanatischer Altkommunist, Redakteur der Betriebszeitung, auf den Plan, der rigide an den Jungen herumkritisiert. Olaf fühlt sich von ihm so gekränkt, dass er ihm eines Abends im Hausflur auflauert und ihn verprügelt. Das wird merkwürdigerweise der Beginn einer Annäherung.

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"Nur lose sind Szenen und Handlungsstränge miteinander verbunden zu einem Filmessay von eigenwilliger Schönheit. Als im Dezember 1965 die ersten Plenumsfilme verboten wurden, liefen für "Berlin um die Ecke" gerade die letzten Dreharbeiten. Im Frühjahr 1966, nach dem Rohschnitt, geriet auch dieser Film in die Kritik. Vorgeworfen wurde den Autoren unter anderem, sie hätten einen Generationenkonflikt als gesetzmäßig und unüberbrückbar dargestellt, vorhandene Probleme im Produktionsalltag übertrieben und entstellt und die sozialistische Wirklichkeit unfreundlich und trist gezeichnet. Der Film wurde verboten und blieb Fragment. 1987 wurde er – noch in der DDR – in einer Rohschnittfassung erstmals aufgeführt, bevor er 1990 fertiggestellt werden konnte."

Quelle: 66. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Berlin, Mitte der 1960er Jahre. Die Freunde Olaf und Horst sind Mitglieder einer Jugendbrigade eines großen Metallbetriebes in Schöneweide, des VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke. Olaf, mittelgroß, hellblond und stets mit seiner Lederjacke unterwegs, ist das Objekt der Begierde nicht nur junger Frauen. Er gibt sich sehr hilfsbereit, etwa wenn es darum geht, ein Sofa aus einem oberen Stockwerk mit dem Fahrstuhl zu transportieren, um es zu entsorgen. In Wirklichkeit transportieren die beiden das voluminöse Stück aufs Dach eines Hauses: ein Rückzugsort mit tollem Blick über die Karl-Marx-Allee. Oder sie schrauben in der Waschküche an ihren Mopeds herum, was zu manchem Ärger in der Nachbarschaft führt. Doch den gutmütig-verständnisvollen ABV Kratz stört der Lärm nicht, zumal er die technische Hilfe der jungen Leute selbst gern in Anspruch nimmt.

Olaf und Horst hängen gerne dort ab, sind andererseits aber abenteuerlustig genug, sich in das Nachtleben der Hauptstadt zu werfen. Freilich herrscht im Tanzcafe Krawattenzwang, und da benötigt Olaf schon seinen ganzen Charme, um der Garderobiere zwei Leihexemplare abzuluchsen. Hier wird flotte westliche Musik gespielt, dennoch ist das für beide ein „böser Schuppen“: nur Pärchenbetrieb. Andererseits ist Olaf sogleich die Sängerin ins Auge gefallen. Sie heißt, wie er erheblich später erfährt, Karin, arbeitet tagsüber in einer Großküche und gibt abends das Glamourgirl – ganz zum Verdruss ihres Mannes Bender, von dem sie sich zumindest innerlich getrennt hat. Auch Horst gräbt ziemlich erfolgreich eine Blondine auf der Tanzfläche an.

Anderntags im Betrieb kommt es im Streben nach Produktionsverbesserungen einmal mehr zu Auseinandersetzungen. Weil die Maschinen veraltet sind und es selbst an Kleinigkeiten wie passenden 16er Muttern fehlt, rebelliert die Jugendbrigade. Wofür die Alten um den Meister kein Verständnis haben, weshalb sie diese auflösen wollen. Die Begründung: Brigadier Olaf hat bei den Lohnabrechnungen betrogen. Was einerseits stimmt, andererseits auch nicht, wie der Schichtleiter ungern eingesteht: die Jungen erhalten für gleiche Arbeit weniger Lohn. Nur der stille Arbeiter Paul Krautmann, der sich im Kampf um Ersatzteile und die Sorge um die Maschinen aufgerieben hat, bringt den Jungen Vertrauen entgegen.

Olaf hat sich ernstlich in Karin, die an der Schönhauser im Prenzlauer Berg wohnt, verliebt. Seinen halsbrecherischen Fensterl-Versuch kann sie noch mit der Notlüge, sich um ihre Familie, bestehend aus Ehemann und zwei Kindern, kümmern zu müssen, stoppen. Doch als er auch in der Folge nicht aufgibt, um sie zu werben, merkt Karin, dass er es wirklich ernst meint. Sie will sich schon seit geraumer Zeit vom knöchernen Bender scheiden lassen, der auch bei kleineren darstellerischen Einsätzen für das DDR-Fernsehen eifersüchtig auf seine attraktive Frau ist. Im Wein-ABC am Schiffbauerdamm kommen sich Olaf und Karin näher.

Im Betrieb herrscht Krieg. Der Parteisekretär und der BGL-Vorsitzende sollen den murrenden Arbeitern eine Normerhöhung schmackhaft machen – unter diesen unzureichenden Arbeitsbedingungen. Die als Stangen- und Rohrzieher arbeitenden Olaf und Horst drehen den Spieß um und legen Sonderschichten ein, tatkräftig unterstützt von Paul Krautmann: Mit dieser offenen Provokation der Kollegen treten sie den Beweis an, dass die neuen Normen im Alltagsbetrieb erfüllt werden können – wenn die Mangelwirtschaft überwunden werden kann. Paul nimmt das alles zu sehr mit, er bricht im Betrieb zusammen und wird zur Kur an die Ostsee geschickt.

Horst hat derweil eine Dummheit gemacht, zu der er sich nicht bekennt: Er hat eine frisch geweißte Wand im Betrieb mit einer als staatsfeindlich empfundenen Parole beschmiert. Die Polizei wird alarmiert, der Generationenkonflikt tritt offen zutage. Der alte Antifaschist Hütte versteht die Jungen nicht mehr: für sie gelten offenbar die sozialistischen Ideale, für die er einst unter den Nazis im Konzentrationslager eingesessen hat, nicht mehr. Als Redakteur der Betriebszeitung kritisiert er Olaf und Horst öffentlich, die Jugendbrigade wird aufgelöst. Es kommt sogar zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Doch mit einem Schlag endet der Streit: Paul Krautmann ist an seinem zu schwachen Herzen kurz nach dem Ende der Kur gestorben. Sein plötzlicher Tod geht allen an die Nieren. Olaf, der als erster Pauls Gattin kondoliert, soll den Nachruf in der Betriebszeitung schreiben.

Während Olaf sich inzwischen gute Chancen bei Karin ausrechnet, zieht sein Freund Horst die Konsequenzen. Er kam mit seinem Vater, Berufsschullehrer und SED-Genosse, nicht zurecht und ging mit 18 in den Westen. Zwar kehrte er ein Jahr später wieder in die DDR zurück, doch ein Makel blieb. Nun will Horst von Berlin weg in die Provinz auf eine Großbaustelle, nach Schwedt oder zum Kraftwerk Schwarze Pumpe in die Lausitz…

„Berlin um die Ecke“ ist 1965 produziert und nach dem 11. Plenum der SED sogleich verboten worden. Gerhard Klein und Wolfgang Kohlhaase wollten mit, so der Arbeitstitel, „Berlin Kapitel IV“ an ihre drei Berlin-Filme der 1950er Jahre anknüpfen. Nach einer internen Vorführung der Rohschnittfassung im Dezember 1987 durch das Staatliche Filmarchiv in seinem Kino „Studio Camera“ wurde er in der Akademie der Künste der DDR im Februar 1990 zusammen mit sieben weiteren Verbotsfilmen in einer Reihe erstmals öffentlich gezeigt. Die offizielle Uraufführung erfolgte dann nach der Wende am 10. Mai 1990 im Berliner International. Zwar gab es bei den 40. Internationalen Filmfestspielen Berlin (1990) lobende Erwähnungen der Journalisten-Vereinigung Fipresci und der evangelischen Jury Interfilm für die auf der Berlinale im 20. Internationalen Forum des Jungen Films gezeigte Gruppe von acht Verbotsfilmen aus der DDR, das Publikum aber wollte nun – endlich - andere Filme als die aus Babelsberger Produktion sehen. Einzig „Spur der Steine“ mit dem populären Manfred Krug hielt sich über längere Zeit in den Programmen der Lichtspielhäuser.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
2360 m, 86 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 10.11.1987, Berlin, International

Titel

  • Originaltitel (DD) Berlin um die Ecke

Fassungen

Original

Länge:
2360 m, 86 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 10.11.1987, Berlin, International