Gnade

Deutschland Norwegen 2011/2012 Spielfilm

Inhalt

Hammerfest liegt am äußersten nordwestlichen Zipfel von Norwegen am Polarmeer. Zwischen dem 22. November und dem 21. Januar schafft es die Sonne nicht über den Horizont. Zwischen tiefer Nacht und ewiger Dämmerung träumt die Stadt in eisiger Kälte vor sich hin. Hierhin hat es ein deutsches Ehepaar mit seinem Sohn verschlagen. Niels arbeitet als Ingenieur in der größten europäischen Erdgasverflüssigungsanlage auf einer kleinen Insel vor Hammerfest. Maria ist mit ihm gegangen, um ihm seinen Karrieresprung nicht zu versperren. Sie ist Krankenschwester in einem Hospiz für Schwerstkranke. Nebenher züchten die beiden Schafe. Sie haben sich an die fremde, manchmal irreal erscheinende Welt der Nachtschattenspiele offenbar gut angepasst. Eines Tages wird Maria jedoch auf ihrer Heimfahrt in einen Unfall verwickelt. Sie hat etwas oder jemanden überfahren. Außerstande sich der Situation zu stellen, rast sie in Panik nach Hause.

Im Fortgang des Geschehens kommen existenzielle Fragen auf. Kann man ohne Gnade und Vergebung leben? Ein kammerspielartiges Melodram in großen Kinobildern.

Quelle: 62. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Wir brauchen eine zweite Chance“: Maria ist nicht unglücklich darüber, dass sie die Zelte in Kiel abbrechen muss, um diese ganz im hohen Norden, im norwegischen Hammerfest, wieder aufzuschlagen, wo ihr Mann, der Ingenieur Niels, einen gut bezahlten Job angenommen hat. Maria ahnt instinktiv, dass Niels schon geraume Zeit eine Affäre hat.

Was dieser freilich nur einem Freund gegenüber bekundet im Split-Screen-Prolog, der auch optisch zum Ausdruck bringt, das in dieser Familie längst nicht mehr alles stimmt: Maria, Niels und Sohn Markus verabschieden sich jeweils auf eigene Weise von ihren Kieler Freunden, und letzterer drückt eher missmutig die Schulbank im Sprachlabor.

3. Januar, Polarnacht. Jetzt ist es auch tagsüber dunkel. Niels kommt in seiner neuen beruflichen Umgebung, eine gewaltig dimensionierte, mit Tausenden von Lichtern funkelnde Anlage zur Erdgasverflüssigung, ganz gut zurecht, auch wenn er sich noch weitgehend auf Englisch mit den neuen Kollegen verständigen muss. Und gibt es einmal kleinere Reibereien mit dem norddeutsch-pedantischen Sturkopf, löst ein Lächeln der attraktiven norwegischen Kollegin Linda jede Verkrampfung auf beiden Seiten.

Nach neun Monaten haben sich alle drei akklimatisiert. Ans frostige Klima, Vater und Sohn gehen regelmäßig zum Eisangeln, an die Sprache und das soziale Leben. Sie bewohnen ein hübsches rotes Holzhaus mit kleiner Menagerie, Maria, die in einem Krankenhaus bevorzugt in der Palliativstation arbeitet und im Chor singt, hat die Sprache ebenso schnell gelernt wie Sohn Markus, der in der Schule Anschluss gefunden hat, aber auch ganz gern für sich ist und daheim seiner Hobbyfilmerei frönt.

Dabei geht es ihm nicht um die herrliche Landschaft, die uns Kameramann Jakub Bejnarowicz immer wieder aus der Hubschrauberperspektive darbietet, sondern um das Leben der eigenen Familie: Überall hat er Überwachungskameras installiert, sodass Markus nicht entgeht, dass der Haussegen daheim weiter schief hängt.

Als Maria nach einer langen Doppelschicht in ihrem Volvo durch die dunkle, unwirtlich anmutende Eislandschaft nach Hause zurückkehrt, wird sie von einem funkelnden Polarlicht abgelenkt und nach einem heftigen Schlag an den Fahrbahnrand geschleudert. Hat sie einen Hund angefahren? Maria traut sich nicht, den Wagen zu verlassen, sodass sie nach Hause fährt und Niels anschließend, mit einer Taschenlampe ausgerüstet, die vermeintliche Unfallstelle absucht. Aber nichts findet, auch die TV-Nachrichten geben keinen Hinweis.

Erst Tage später erfahren sie, dass ein 16-jähriges Mädchen aus dem Ort angefahren wurde und an ihren Verletzungen gestorben ist. Maria kennt die Eltern des Mädchens, Björn und Sophie, vom gemeinsamen Singen im Kirchenchor und ist völlig aufgelöst. Trotz aller Schuldgefühle hindert Maria ihren Gatten, zur Polizei zu gehen: „Ich werde immer die sein, die das Mädchen liegen und sterben hat lassen und du wirst immer der Mann von der Frau sein, die das Mädchen liegen und sterben hat lassen.“

Niels muss es los werden – und weiht Linda ein. Die über seine Offenheit hocherfreut ist und nun hofft, dass sich ihre Beziehung über die bisherige Sexakrobatik hinaus entwickelt. Doch auch im Binnenverhältnis der Eheleute hat die Katastrophe alles verändert, auf wundersame Weise wachsen wieder Vertrauen – und Zärtlichkeit – zwischen Maria und Niels.

9. März. Als sich Linda keine Chancen mehr für sich ausrechnet, geht sie nach Oslo zurück: „Es gibt Grenzen, Schweinehund“. Der beichtet Maria seine Affäre und beide geben erstmals ein großes Fest für die Nachbarschaft, zu dem auch Marias hochschwangere Chefin Wenche erscheint. Doch das scheinbar fröhliche Grillen im Schnee endet mit einer Schrecksekunde: Markus scheint mit dem Boot auf den Fjord hinausgetrieben zu werden. Doch der Junge, der offenbar mehr weiß, als sich seine Eltern auch nur vorstellen können, filmt die ganze Aufregung vom nächsten Hügel aus. Niels ist entschlossen, sein Schweigen zu brechen...

„Gnade“, das groß angelegte, mit samischen Choralgesängen angereicherte überlange Epos von Schuld, Sühne und Vergebung berührt nur einen kurzen Moment wirklich wie ein antikes Drama: als Maria und Niels bei Björn und Sophie im Wohnzimmer beim Kaffee sitzen, um reinen Tisch zu machen. In dieser für alle Beteiligten schier ausweglosen Situation soll es schon bei der Uraufführung auf der 62. Berlinale mucksmäuschenstill gewesen sein, wie Regisseur Matthias Glasner berichtete.

Doch wenige Minuten später, wir schreiben den 23. Juni und Mitsommernacht, ist wieder business as usual angesagt. Der neue große Grill kann ein zweites Mal angeworfen und Wenches Nachwuchs bewundert werden. Markus, der sich zwischenzeitlich bei einem vielfach gehänselten Klassenkameraden für eine Mobbing-Dummheit entschuldigt hat, filmt munter in die Runde fröhlicher Gesichter, die sich des kurzen Sommers freuen, Björn und Sophie mittendrin... TV-Premiere war am 9. Dezember 2015 auf Arte.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Dreharbeiten

    • 18.01.2011 - 11.03.2011: Hammerfest (Norwegen) und Umgebung, Hamburg, Schleswig-Holstein
    • 23.06.2011: Mittsommernacht
Länge:
132 min
Format:
35mm, 1:2,35
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 28.08.2012, 134468, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 16.02.2012, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 18.10.2012

Titel

  • Originaltitel (DE) Gnade

Fassungen

Original

Länge:
132 min
Format:
35mm, 1:2,35
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 28.08.2012, 134468, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 16.02.2012, Berlin, IFF - Wettbewerb;
Kinostart (DE): 18.10.2012

Auszeichnungen

Bayerischer Filmpreis 2013
  • Beste Bildgestaltung
Filmfest Hamburg 2012
  • Montblanc Drehbuch Preis
FBW 2012
  • Prädikat: besonders wertvoll