Doris Palm, Mobiles Kino Niedersachsen

Im Alltag fallen mir immer wieder Sätze oder Szenen aus Kinofilmen ein. Jetzt beispielsweise, vor einem weißen Blatt Papier. "Denk, denk, denk ...", sagt Pu in "Ferkels großes Abenteuer". Der kleine knuffige Bär steht da und pocht sich bei seinen Worten mit dem Finger an die Stirn. Jedes Mal, wenn ich auf dem Weg in das Büro an der Bahnschranke lange warten muss, fallen mir Schultze und seine Kumpanen ein, die – in genau der gleichen Situation in "Schultze gets the Blues" – mit ihrem Fahrradgeklingel ihrem Groll gegenüber dem Bahnwärter Luft machen.

 
Quelle: Mobiles Kino Niedersachsen
Pewsum Open Air Kino 2005
 

Als Mitarbeiterin des Mobilen Kinos Niedersachsen gehe ich nicht nur privat gerne in ein Kino, sondern habe auch beruflich damit zu tun. Kino bedeutet für mich einerseits Entspannung und Freizeit. Und ich gewinne einen Einblick in vielfältige Themen und Lebenswelten. Andererseits ist Kino für mich eine anspruchsvolle, abwechslungsreiche und spannende Art des Broterwerbs. Das Mobile Kino Niedersachsen gibt es seit 13 Jahren. Es ist ein Projekt der Landesarbeitsgemeinschaft Jugend und Film Niedersachsen und wird von der Nordmedia gefördert. Das Team des Mobilen Kinos besteht aus zwei Frauen und zwei Männern, die sich zwei Vollzeitstellen teilen. Wir fahren mit unserem Kinobus das ganze Jahr über in kinolose Regionen Niedersachsens, um dort für einen Tag oder einen Abend ein Kino zu installieren. Insofern ist "mein" Kino keine feste Institution. Im Gegenteil: Jeder beliebige Raum, sei es ein Gemeindesaal, die Schulaula, die restaurierte Mühle oder auch die Dorfwiese wird durch uns zum Kino.

Quelle: Mobiles Kino Niedersachsen
Kino in der Scheune des Ritterguts Bredenbeck
 

Durch die Erfahrung, Kino, das heißt: eine große Leinwand und Kinotechnik, jederzeit fast überall installieren zu können, verliert für mich das Kino seinen Status als ein besonderer Ort und wird mehr und mehr zum alltäglichen, zum Inszenierbaren. Gewohntes (der Raum) und Ungewohntes (die Kinoausstattung) kommen auf besondere Weise zusammen und es entsteht etwas Neues, nämlich das Wanderkino! Das Neue ist eigentlich etwas Altes, denn früher gab es in vielen Dörfern Kino, und ältere Menschen erinnern sich angesichts der Filmveranstaltung im Gemeindehaus gerne an diese Zeit. Das erwachsene Publikum des Mobilen Kinos Niedersachsen nutzt den Vorteil der kurzen Wege und das gemeinsame Erleben des Filmes mit einem Kurzfilm vorweg mit FreundInnen und Bekannten. Die Menschen schätzen die Möglichkeit zum Gespräch vor und nach dem Film und während der Pause, die sich aus dem Abspielen der 16mm-Rollen ergab und nun Kultcharakter hat. Vor dem Film gibt es einen Kurzfilm statt Werbung, und ein Begleitprogramm, z.B. Infos zum Film, rundet die Veranstaltung ab. Das Kinderpublikum, sehr viel mehr als Erwachsene auf eine Erreichbarkeit des Kinos angewiesen, trifft sich mit FreundInnen und SchulkameradInnen, braucht die Pause zum Toben und freut sich oft ebenso wie auf den Film auf das anschließende Spiel- oder Bastelprogramm. In der Rolle der Filmvorführerin bin ich mit der Vorführtechnik im selben Raum wie das Publikum und erfahre direkt, ob die Filmauswahl gelungen ist oder nicht. Das Publikum kennt mich und gibt gerne Lob und Tadel weiter. Den Film zu den Menschen zu bringen heißt auch, den richtigen Film für das spezielle Publikum auszuwählen.

Quelle: Mobiles Kino Niedersachsen
Das Kinderpublikum beim anschließenden Spiel- und Bastelprogramm
 

Mein Traum vom Kino ist, dass das Kino sich als öffentlicher Raum überlebensfähig erweist und dem Trend zum privaten Wohnzimmer-Kino trotzt. Mehr noch: Ich wünsche mir eine Wiederbelebung des Kinos – dass sich die Kinolandschaft mit vielen kleineren Kinos wieder verdichtet und ein Mobiles Kino die Lücken in der Versorgung schließt. In dieser Vision ist Kino Bestandteil des Schulunterrichts, in dem die Kinder neben dem "Filme machen" an ausgewählten Filmen Grundbegriffe der Filmgeschichte und Filmanalyse lernen. Die Filmprogramme, so stelle ich mir vor, werden vielfältiger und haben regionale Unterschiede. Das Kino als ein fest installierter, ausschließlicher Ort verliert seine Bedeutung. Denn durch die technische Weiterentwicklung kann Kino überall stattfinden. Und auch dazu fällt mir gleich eine Filmszene ein: In "Solino" projiziert der erwachsene Gigi vor den versammelten italienischen DorfbewohnerInnen seinen alten und den neuen Film auf eine weiß gestrichene Hauswand. Denn das alte Kino im Dorf, das ihn als kleiner Junge inspiriert hat, gibt es schon lange nicht mehr.

Doris Palm ist seit fünf Jahren Mitarbeiterin des  Mobilen Kino Niedersachsen.