Darsteller
Bergen auf Rügen

Inneres Leuchten

Der Schauspieler Devid Striesow



Von Alexandra Wach, film dienst, Nr. 6, 2007

Ob kleine oder große Rolle, der 1973 auf der Ostseeinsel Rügen geborene und bei Rostock aufgewachsene Devid Striesow ragt stets heraus. Bereits seit einigen Jahren gehört er zu den besten Schauspielern, die Deutschland zu bieten hat. Kaum ein Film der "Berliner Schule" kommt ohne seine eigentümliche physische Präsenz aus, von "Bungalow" und "Montag kommen die Fenster" über "Mein langsames Leben" und "Marseille" (in dem er kaum ein Wort verliert und fast bewegungslos die Blicke sprechen lässt) bis zu "Falscher Bekenner" und nun "Yella". Vereinnahmen für die Sache der "Berliner" lässt sich Striesow dennoch nicht. Instinktiv zeigt er einen guten Riecher für wenig gefällige Nachwuchsfilmer mit einer klaren Botschaft, gastiert in zeitkritischen Filmen wie "Die Boxerin" oder "Sie haben Knut" und stellt mit seiner Anwesenheit eine Kontinuität her, die tatsächlich so etwas wie einen Generationszusammenhang herstellt.

Längst ist Devid Striesow so etwas wie das Aushängeschild des Jungen Deutschen Films. Dass er in der Öffentlichkeit lange nicht als solches wahrgenommen wurde, liegt wohl an seiner durchschnittlichen Erscheinung. Gerade die aber macht es ihm möglich, glaubwürdig über alle Milieus und Schichten hinweg ein breites Spektrum unterschiedlichster Charaktere zu verkörpern: vom Geschäftsmann über Parkhauswächter bis zum Nazi – wenn es auch immer noch überwiegend Nebenrollen sind, die man dem intelligenten, aber nicht intellektuellen, zwischen vibrierender Nervosität und viriler Bestimmtheit changierenden Charakterschauspieler überlässt. Sogar einen Don Juan würde man ihm abnehmen, so bezwingend ist sein Gestenreichtum, so prägnant und elektrisierend jede Bewegung. Auf der "Berlinale" war Striesow in beiden deutschen Wettbewerbsfilmen mit von der Partie und erntete dafür die längst fällige Aufmerksamkeit der Medien. In Christian Petzolds "Yella" glänzt er an der Seite von Nina Hoss im Business-Anzug als intriganter "High Potential", der nach den effizienten und jegliche Moral scheuenden Regeln der neuen Wirtschaft Unternehmen kauft und verkauft, stets den eigenen Vorteil im Hinterkopf. In Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher" übernahm er die Rolle eines nicht weniger profitorientierten SS-Hauptmanns, der im KZ Sachsenhausen eine geheime Werkstatt zur Fälschung von Devisen aufbaut. Eine ambivalente, zwielichtig eitle Figur ganz nach Striesows Geschmack, rettet sie doch den meisten Häftlingen der Fälscherwerkstatt das Leben und bleibt dabei dennoch Überzeugungstäter, mitfühlender Freund und eiskalter Mörder zugleich.

Das Rollenbild des Nazis ist Striesow inzwischen reichlich bekannt: In "Der Untergang" spielte er Hitlers notorisch betrunkenen Hundeführer und einen linientreuen Boxlehrer in Dennis Gansels "Napola". Die Gefahr, der "Nazi vom Dienst" zu werden, umschifft er geschickt, indem er immer wieder subtile Rollen empfindsamer "Jedermanns" übernimmt, wie in Birgit Möllers wunderbar gnadenlosem Frauenporträt "Valerie". Darin wechselt das in Berlin kurz vor Weihnachten pleite gestrandete polnische Modell Valerie vom Zimmer im exklusiven Hyatt zur bescheidenen Plattenbauwohnung des hilfsbereiten Parkhauswächters André, der sie als blinden Passagier in der Tiefgarage des Nobelhotels gestellt hatte. Striesow verkörpert für die kapriziöse und welkende Schönheit mit entwaffnender Ehrlichkeit und Einsicht in den alltäglichen Überlebenskampf ganz unten auf der sozialen Leiter die Härte des Abstiegs und zugleich die Hoffnung des demütigen Neuanfangs. Dass er solche Rollen einfacher Arbeiter perfekt gestalten kann, liegt nicht zuletzt an seiner eigenen Herkunft aus einem proletarischen Haushalt. Als 17-Jähriger erlebte er die Folgen der Wende am eigenen Leib, als seine Lehrstelle als Goldschmied mitsamt dem Ausbildungsbetrieb abgewickelt wurde. Die Tage der alten Ordnung waren gezählt, die DDR in innerer Auflösung begriffen.

Ob deutsche Gegenwart oder die Untiefen der deutschen Geschichte, ob als Karrierist, Opportunist, Verlierer oder als Papst Karol Wojtyla in Gero von Boehms gleichnamigem Biopic: Striesow scheut keinen noch so abwegigen Kontrast. Sein Kinodebüt gab er 2000 in Rainer Kaufmanns "Kalt ist der Abendhauch"; bleibenden Eindruck hinterließ er als Matratzenverkäufer Ingo in Hans-Christian Schmids "Lichter". Wie der optisch völlig verwandelte Norddeutsche den erbärmlich am Abgrund balancierenden Einzelkämpfer in Frankfurt/Oder mit billiger Lederjacke und dicken Brillengläsern gab, windig und verzweifelt die Scheinexistenz einer Ich-AG verkörperte, das war ein ungeschöntes Stück Deutschland der Nachwendezeit, nah an der Karikatur und doch so wahrhaftig, dass es einem den Atem verschlug. Die markante Loser-Figur verhalf Striesow zum Durchbruch und bescherte ihm den Preis der Deutschen Filmkritiker als bester Nachwuchsschauspieler. Auf den Theaterbrettern war der Absolvent der Berliner Ernst-Busch-Schule (übrigens in einem Jahrgang mit Fritzi Haberlandt und Nina Hoss) zu diesem Zeitpunkt längst bekannt und gefeiert; "Theater heute" verglich seinen Matratzenverkäufer gar mit Georg Büchners "Woyzeck"-Figur, dem Antihelden par excellence, dem gehetzten und erniedrigten Underdog. Kein Jahr später stand Striesow als Woyzeck tatsächlich auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses.

Für Rollen wie "Don Carlos", "Der Prinz von Homburg" oder zuletzt seine Interpretation einer hysterischen, vom Selbsthass und Blutrausch überwältigten "Lady Macbeth" lehnte er diverse Filmangebote ab, dabei gehört er zu den Schauspielern, die in einem Jahr bis zu zwölf Kino- und Fernsehrollen übernehmen und zuweilen vier Filme gleichzeitig drehen. Diese manische Haltung gegenüber seinem Beruf hat etwas von einem Workaholic, und so verwundert es nicht, den hyperaktiven Ausnahmeschauspieler auch privat stets in Bewegung, in einem rasenden Tempo sprechend zu erleben, so als müsse er, einer Beschwörung gleich, immer noch einen draufsetzen, um den fragilen Zustand des Erfolgs möglichst lange am Leben zu halten. Eigentlich würde er wie ein Junge wirken, der den ewigen Clown gibt, wäre da nicht immer der plötzliche Stimmungsumschwung, der ihn um Jahre gealtert, ernst und von Zweifeln verunsichert erscheinen lässt, um nur wenig später verschmitzt und diabolisch die Aura der grenzenlosen Selbstsicherheit zu verströmen. Dazu passt, dass Striesow als angehender Schauspieler Gustav Gründgens als Gegenstand seiner Zwischendiplomarbeit wählte, weil "er zwischen den Welten stand und weil er schwankte, zwischen Verantwortung übernehmen und Verantwortung nicht übernehmen können". Als er 2004 den Alfred-Kerr-Darstellerpreis erhielt, sprach Ulrich Mühe in seiner Laudatio vom "inneren Leuchten" eines Schauspielers, der "zart wie die frühe Liebe sein kann und grob wie die Axt im Walde, bitter und böse, verletzt und enttäuscht, verzweifelt und sogar von sich selbst verlassen".

Devid Striesow hält die Welt nie auf Abstand. Er nutzt ihre Möglichkeiten und lässt sich keine Grenzen diktieren. Wenn seine Figuren extrovertiert sind, dann ist es immer der Hunger nach Leben, der sie antreibt. Geben sie sich still und verschlossen, sind sie am Dasein nicht zerbrochen, sondern nehmen nur eine Auszeit. Auszeit vom deutschen Film wird sich Striesow nicht so bald gönnen. Sein Spieldrang bleibt verlässlich konstant – und die Wege zum Ruhm stehen ihm offener denn je.

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