Die Patriotin

BR Deutschland 1977-1979 Spielfilm

Inhalt

Eine Geschichtslehrerin begibt sich auf die Suche nach historischem Ausgangsmaterial, das sie ihren standardisierten Geschichtsbüchern entgegensetzen könnte. Die Recherche wird für sie zu einer Reise in die deutsche Vergangenheit und durch die bundesrepublikanische Gegenwart.

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Ein Jahr nach „Deutschland im Herbst“ ist die von Hannelore Hoger verkörperte Geschichtslehrerin Gabi Teichert wieder auf der Leinwand zu sehen. In seiner am 29. September 1979 beim Hamburger Filmfest uraufgeführten zweistündigen Dokufiction wird sie vom Regisseur Alexander Kluge gleich zu Beginn aus dem Off als „Patriotin“ vorgestellt. Unter dem Glockengeläut des Totensonntags korrigiert sie Aufsatzhefte. Später wird sie sich auf den Weg machen, für ihren Unterricht einen praktischen Zugang zur Geschichte zu finden, weil sie das Lehrplan-Material für die Oberstufe als unzureichend empfindet.

Geschichte begreift sie nicht als etwas Vergangenes, sondern trachtet danach, sie mit der unmittelbaren Gegenwart ins Verhältnis zu setzen. Und eine Lehrerkonferenz befasst sich ungeschminkt mit Indoktrinations-Strategien, wie Schüler auf den rechten, also naturgemäß linken Weg gebracht werden können. Weil die Politiker versagt haben und weil die Ereignisse nicht so verlaufen sind, wie sie sich das vorgestellt haben, wollen die Lehrer selbst am Rad der Geschichte drehen – und sei es auf einem Parteitag der SPD.

Der Konsumrausch in der Adventszeit ist Ausgangspunkt einer Kapitalismus-Schelte mit kalten Kaufhaus- und überdimensionalen Banken-Tempeln. Das samstägliche City-Shopping wird begleitet von Achtundsechziger-Demonstranten, die Polizei erscheint mit großem Aufgebot. Doch der Kaufhausdirektor ist mit ihrem Einsatz nicht einverstanden: das Interesse des Staates an der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung kollidiert mit seinem Interesse an ungestörter Kauflust der Kunden.

Eine Kriegsflotte ankert vor Venedig, während eine Stadtarchäologin Zeugnisse der Vergangenheit zutage fördert. Drei Bombenexperten der Wehrmacht beraten im April 1945 im Luftschutzkeller, wie sie britische und amerikanische Abwürfe entschärfen. Eine Liebe unter Stahlgewittern: Fred und Hildegard Tacke heiraten im August 1939. Dann bricht der Krieg aus und Fred wird erst 1953 aus der Gefangenschaft entlassen. Ist ein Neustart ihrer Liebe möglich?

Von der lakonischen Beobachtung, dass eine Pfütze auf der Straße nur eine Geschichte von drei Tagen hat, bis zu den Toten beider Weltkriege spannt Alexander Kluge einen weiten Bogen in den von Beate Mainka-Jellinghaus montierten Kurzgeschichten aus Originaldokumenten, Wochenschau-Material und fiktiven Spielszenen wie Gabi Teicherts Besuch beim SPD-Parteitag 1977 mit Helmut Schmidt, Willy Brandt, Herbert Wehner und Horst Ehmke. Der Alexander Kluges These, dass gerade die Linke einen radikalen Neuanfang in der Nachkriegszeit verschlafen hat, untermauern soll.

In der Rahmenhandlung bruchstückhaft kommentiert von einem selbst nur als Torso vorhandenen Erzähler, dem Knie des Obergefreiten Wieland, der im Nordkessel Stalingrads einen sinnlosen Opfertod fand: der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Natürlich ist auch „Die Patriotin“ wie „Deutschland im Herbst“ vor allem ein Zeitdokument, das mit seinen Themen wie Vergangenheitsbewältigung, Wiederbewaffnung, Atomkraft, Mitbestimmung und Bildungsreform über Jahrzehnte hinaus aktuell geblieben ist.

„Die Patriotin“, mit dem Filmband in Silber des Deutschen Filmpreises 1979 ausgezeichnet, startete am 9. Januar 1981 in den Kinos und lief, zum 70. Geburtstag Alexander Kluges, Mitte Februar 2002 in der „Gala“-Reihe der Berlinale. In deren Rahmen der Regisseur zusammen mit seiner Protagonistin Hannelore Hoger im Arsenal am Potsdamer Platz las. Alexander Kluge im September 1979 zur Hamburger Uraufführung, zitiert auch im Programmheft der Berlinale 2002: „Es geht erneut um Gabi Teichert. Sie gräbt jetzt tiefer. In ihren Forschungen befasst sie sich mit Bombenangriffen, mit dem Parteitag der SPD, sie forscht nach der Geschichte der Körper, erlebt eine Kaufhausräumung, gerät in Konflikt mit Vorgesetzten, trifft auf Märchen, prüft das Verhältnis einer Liebesgeschichte zur Geschichte und so fort; alles das tut sie handgreiflich, praktisch. Sie erprobt Werkzeuge. Wie man Autos oder Holzstücke bearbeitet, das weiß man; wie bearbeitet man die Geschichte unseres schönen Landes? Geschichte, das sind nicht die gedruckten Buchstaben in den Bibliotheken. Die unglückliche Gestalt, die die Geschichte im Schulunterricht – Gabi Teicherts Alltag – aufweist, übergeht der Film höflich. Bleiben die Toten. Sie sind Geschichte, und sie sind nicht nur einfach tot. Hierüber gibt das Knie des in Stalingrad gefallenen Obergefreiten Wieland nähere Auskunft. Einiges in der deutschen Geschichte sieht nämlich aus der Perspektive des toten Knies anders aus.“

Pitt Herrmann

Credits

Drehbuch

Darsteller

Produzent

Alle Credits

Länge:
3357 m, 123 min
Format:
35mm, 1:1,37
Bild/Ton:
Eastmancolor, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 25.07.1979, 50869, ab 6 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 09.01.1981, Frankfurt am Main, Pupille [1.Fassung]

Titel

  • Originaltitel (DE) Die Patriotin

Fassungen

Original

Länge:
3357 m, 123 min
Format:
35mm, 1:1,37
Bild/Ton:
Eastmancolor, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 25.07.1979, 50869, ab 6 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 09.01.1981, Frankfurt am Main, Pupille [1.Fassung]

Prüffassung

Länge:
2286 m, 83 min

Auszeichnungen

Deutscher Filmpreis 1979
  • Filmband in Silber, Programmfüllende Filme ohne Spielhandlung