Die Preise beim 24. Filmfestival goEast

Mit der feierlichen Preisverleihung ist 24. goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films am Dienstagabend zu Ende gegangen. Die Preisverleihung in der Caligari FilmBühne bildete den Abschluss einer ereignisreichen und emotionalen Festivalwoche bei goEast.

 

Nach sieben Tagen voller Filmkunst, Workshops, zahlreichen Diskussionen, Vorträgen, Filmgesprächen und Ausstellungen, bei der 90 Filme gezeigt wurden und mehr als 200 Gäste aus der internationalen Filmbranche Wiesbaden besuchten, wurden die Siegerfilme des Wettbewerbs, aus dem East-West Talent Lab und dem RheinMain Kurzfilmwettbewerb gekürt, und Preise im Gesamtwert von 28.000 Euro verliehen.

Die Preise

"Silence of Reason" (MKD, BIH 2023) von Regisseurin und Produzentin Kumjana Novakova gewann die mit 10.000 Euro dotierte Goldene Lilie bei der 24. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden. Das forensische Videoessay befasst sich mit dem Thema Vergewaltigung als Kriegswaffe. Die internationale Jury unter dem Vorsitz von Nicoletta Romeo begründete ihre Entscheidung wie folgt: " 'Silence of Reason' wird ausgezeichnet für die originelle und radikale Form, in der dieser experimentelle Essayfilm das Grauen der systematischen Massenvergewaltigungen in Bosnien in den 1990er Jahren zu vermitteln vermag - anhand der schriftlichen Protokolle und mündlichen Aufzeichnungen, die aus den Zeugenaussagen der Überlebenden gewonnen wurden, sowie mittels des unbearbeiteten Filmmaterial, das im Laufe der Zeit drohte zu verfallen. Die Darstellung der wiederholten Massenverbrechen, die unter dem Schweigen und der Gleichgültigkeit aller begangen wurden, machen diesen Film zu einem universellen Dokument jedes Kriegsverbrechens, das überall auf der Welt an Frauen begangen wurde. Der Film schafft es, das Schweigen und die Tabus zu brechen, und wird so zu einem Meilenstein der Erinnerung and die Traumata unzähliger Frauen."

Die Regisseurin Maryna Vroda gewann mit "Stepne" (UKR, DEU, POL, SVK 2023) den Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie, der mit 7.500 Euro dotiert ist. Im Zentrum des pastoralen Sozialdramas steht der in das Dorf seiner Kindheit zurückgekehrte Anatoly, der seine Mutter pflegen muss. "Was als einfache Familiengeschichte über ein paar Tage im Leben eines verletzlichen und einsamen Mannes beginnt, wird zu einer elegischen Erzählung über einen isolierten Ort in der postsowjetischen ukrainischen Landschaft, über vergangene Generationen und ihre Geschichte und zu einem Requiem auf eine verschwindende Welt durch eine chorähnlichen Perspektive. Vrodas kraftvoller Debütfilm schafft es, das Leben eines verschwindenden, melancholischen Universums, seinen Schmerz und seine verlorenen Hoffnungen mit Zärtlichkeit, Authentizität und einem reifen Blick zu porträtieren.", so die Begründung der Jury.

Mit einer lobenden Erwähnung wurde die intime Familiendokumentation "1489" (ARM 2023) der Regisseurin Shoghakat Vardanyan ausgezeichnet. Die Jurybegründung: "Dieser Film, der von einer Künstlerin ohne Filmerfahrung gedreht wurde, der jedoch ein unbestreitbares, natürliches Talent und einen tadellosen Instinkt besitzt, ist ein ungeschönter Schlag in die Magengrube. Ein unglaublich mutiger und intimer Bericht über den Schmerz, den der Krieg in Berg-Karabach einer armenischen Familie zugefügt hat. Auch wenn ihre Wunden nie ganz heilen werden, bietet ihre Darstellung auch Hoffnung und Katharsis für die vielen Menschen, die auf der ganzen Welt unter solchen Tragödien leiden."

3sat Spielfilmredaktion: "Bauryna Salu"

Die Wahl des goEast Medienpartners 3sat, der seit Beginn des Festivals in jedem Jahr den Ankauf eines Spielfilms des Wettbewerbs anbietet, fiel 2024 auf "Bauryna Salu" (KAZ, 2023) mit der Begründung: "Das stille und kraftvolle Langfilmdebüt 'Bauryna Salu' von Ashkat Kuchinchirekov bietet in seiner schmerzhaft-berührenden Auseinandersetzung mit der gleichnamigen Stammestradition in Kasachstan authentische Einblicke in eine fremde Welt und ihre Lebens- und Arbeitspraktiken. Mit sanften, unbeschwerten Coming-of-Age-Momenten gesprenkelt, dringt das in San Sebastian uraufgeführte Drama, getragen von dem einnehmenden Jungdarsteller Yersultan Yerman, zum rohen emotionalen Kern seiner bewusst reduzierten Konflikte vor. Während eine für den flüchtigen Alltagsmoment sensibilisierte Handkamera den naturalistischen Ansatz der Inszenierung versinnbildlicht und vergegenwärtigt, transzendieren die von erdiger Geborgenheit und eisblauer Einsamkeit geprägten Farbstimmungen das Fiktionale und lassen in intimer Weise die persönliche Kindheitserinnerung einer gebrochenen Seele durchschimmern, die stumm nach Antworten ausharrt.”

Der Film soll zum goEast Festival 2025 bei 3sat seine TV-Premiere feiern. Im Jahr 2023 wurde der lettische Film "January" von Regisseur Viesturs Kairišs (LVA, LTU, POL 2022) angekauft. Die Ausstrahlung von "January" fand am 27. April statt.

"A Picture to Remember" (UKR, FRA, DEU 2023) der Regisseurin Olga Chernykh wurde mit dem zum dritten Mal von der Central and Eastern European Online Library ausgelobten, mit 4.000 Euro dotierten CEEOL Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Das essayistische Generationenporträt nimmt die Kinobesucher*innen mit in das Donezk der Vergangenheit. "Ein essayistischer, traumartiger Bericht über die lange Reise einer Familie durch den Krieg, der mit poetischer Introspektive die Komplexität eines Landes im Krieg vermittelt, indem er zwischen Vergangenheit und Gegenwart balanciert und private Archive mit dem öffentlichen, kollektiven Gedächtnis konfrontiert. Durch die Erfahrungen von drei Generationen von Frauen zeigt der Film filmisch brillant ausgeführt, die menschliche Erfahrung des Krieges mit Zärtlichkeit mittels einer reifen und poetischen Verwendung von Found Footage.“, so die Begründung der Jury.

Mit einer lobenden Erwähnung wurde "Kix" (HUN 2023) von Dávid Mikulán und Bálint Révész preisgekrönt. Die Coming-of-Age-Geschichte geht den Spuren des Jungprotagonisten Sanyi Marku nach. "Der Dokumentarfilm mit Langzeitbeobachtung lässt uns die filmische Odyssee von Sanyi und seiner Familie mitverfolgen, von der sorglosen Freiheit der Kindheit - in wilden und anarchischen Sequenzen, voller Liebe und Zärtlichkeit gegenüber den jungen Protagonisten - bis zur Konformität und Grimmigkeit des Erwachsenseins. Durch eine persönliche und politische Linse sehen wir ein selten gesehenes Porträt einer verarmten Arbeiterfamilie im heutigen Budapest, wo soziale Einrichtungen fehlen oder nicht funktionieren und junge Erwachsene ohne Hoffnung zu sein scheinen. Ihr Leben folgt einer vorhersehbaren Abwärtsspirale von Ereignissen, ausgelöst durch das Fehlen eines Sozialsystems, das keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft bietet.", begründete die Jury.

In der Kategorie Dokumentarfilm zeichnete die FIPRESCI-Jury, deren Mitglieder Bojidar Manov, Katrin Hillgruber und Catalin Olaru waren, ebenfalls "Kix" (HUN 2023) des Regieduos Dávid Mikulán und Bálint Révész aus. Die Begründung der Jury lautete: "Es begann vor zehn Jahren mit einer Kreidelinie. Die Dokumentation über zwei unbeaufsichtigte Jungen in Budapest und deren Aktionen zwischen Schabernack und Streetart ist ein Zeugnis sozialer Sensibilität und anarchischer Lebensfreude und damit ein filmischer Glücksfall geworden."

Der Preis der Internationalen Filmkritik FIPRESCI in der Kategorie Spielfilm ging an "Plague" (RU-SA 2024) des Regisseurs Dmitrii Davydov mit folgender Jurybegründung: "Der FIPRESCI-Preis für den besten Spielfilm geht an 'Plague' für die tadellose Inszenierung, den kompromisslosen Blick auf Gewalt als persönlichen Ansporn in einer männerdominierten Gesellschaft und die erfinderische Art und Weise, in der er die Dynamik des Westernfilms auf eine ländliche Landschaft anwendet, die nie zuvor mit diesem speziellen Genre in Verbindung gebracht wurde."

Der vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain gestiftete und mit 2.500 Euro dotierte RheinMain Kurzfilmpreis geht an "Qirim" (CZE 2023) von Kateryna Khramtsova. "Wir verleihen den RheinMain Kurzfilmpreis an einen Film, der mit einer Vielzahl gestalterischer Elemente experimentiert, um der sehr persönlichen Situation seiner Hauptfigur Ausdruck zu verleihen. Der Film macht es uns nicht einfach – er stellt relevante Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt; das Verhalten in Extremsituationen, Identitätsfragen, das Ausmaß von Courage, Engagement und Solidarität. Eine weitere Qualität dieses Films ist seine direkte, unmittelbare und soghafte Ästhetik. Wir würdigen, dass die Filmemacherin vermittelt, dass. eine solche Geschichte erzählt werden muss, jetzt und zu jeder Zeit.", lautete die Jurybegründung.

Im East-West Talent Lab, das erneut mit Unterstützung von Renovabis und dem Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds durchgeführt wurde, fand das Project Market Pitch vor einer dreiköpfigen Jury statt. Die Jury vergibt eine lobende Erwähnung an das Filmprojekt "Sacred Songs" von Produzentin Mariam Bitsadze aus Georgien.  "Wir möchten ein Projekt besonders hervorheben, das einen einzigartigen Einblick in das Leben mehrerer Frauen aus einer Familie in einer von Männern dominierten Welt gibt. Der Zugang zur Außenwelt wird ihnen durch die Aufführung der heiligen Lieder ihrer Religion ermöglicht, die normalerweise von Männern gesungen werden. Wir unterstützen gerne die Bemühungen der Regisseurin, uns ihre Welt zu erschließen“, so die Jury.

Der Pitch the Doc-Award, ein Sachpreis, der aus Beratungsdienstleistungen im Wert von 500 Euro besteht, geht an das Projekt: "Echoes of Avey" von Atanur Nabiyeva aus Aserbaidschan. Die Jurybegründung: "Während ein uralter Berg verschwindet, versucht die Regisseurin dieses Projekts, ihre Kindheitserinnerungen und das kollektive Gedächtnis ihrer Gemeinschaft auf poetische Weise festzuhalten, bevor er endgültig verschwindet. Wir sind der Meinung, dass dieses Projekt es verdient, weiterentwickelt und bei seiner echten Suche nach einer subtilen Filmsprache unterstützt zu werden."

"The Amateur Photographer’s Family Portrait" von Produzentin Irina Gelashvilli wird mit dem mit 3.500 Euro dotierten Renovabis Recherchestipendium ausgezeichnet. "Die Jury hat beschlossen, den Hauptpreis an ein bereits ausgezeichnetes Projekt zu vergeben, das von einer Regierung gegründet und dem Regisseur weggenommen wurde. Wir möchten seine künstlerische Rache unterstützen, die viel mehr zu versprechen scheint als das, womit er angefangen hat. Wir schätzen es, dass er nicht aufgegeben hat und den Sinn für Humor bewahrt hat.“, so die Jury.

Das EEFFN - Eastern European Film Festival Network, welches die Sichtbarkeit und Wirkung des osteuropäischen Films in ganz Europa erhöhen möchte und dessen Mitglied goEast ist, vergibt zum ersten Mal 2024 den "EEFFN Award". Dieser hat den Zweck jährlich einen Film aus Mittel- oder Osteuropa, der sich durch außergewöhnliche künstlerische Leistungen, Innovation und Einfluss auf die osteuropäische Filmindustrie auszeichnet, zu prämieren. In diesem Jahr zeigten wir den vom EFFN ausgezeichneten lettischen Film "January" von Regisseur Viesturs Kairišs  (LVA, LTU, POL 2022)

Die 24. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films fand vom 24. bis 30. April in Wiesbaden statt. Zu den Höhepunkten gehörten neben einem abwechslungsreichen Wettbewerb und intensiven Begegnungen im Kino die Besuche international gefeierter Filmemacher*innen und Vertreter*innen von Filminstitutionen. Das Symposium, das unter dem Titel "Die anderen Queers – Filmbilder von Europas Peripherie" lief, erfreute sich einer sehr regen Teilnahme und ausverkauften Kinos. Mit dem Rahmenprogramm Cinema Archipelago, betrat das Festival, gefördert vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain, zum dritten Mal einen außerfilmischen Boden und ermöglichte u. a. eine erfolgreiche Ausstellung namens "Political Textile" und Diskussionsrunden, die u.a. queeren Antikriegsaktivismus in der Ukraine thematisierten. Die Filmländer Kosovo und Albanien standen im Mittelpunkt einer eigenen Filmreihe.

Alle Preisträger*innen noch einmal im Überblick:

1. Goldene Lilie für den Besten Film
"Das Schweigen der Vernunft" (ŠUTNJA RAZUMA, MKD, BIHP 2023), Regie/Produktion: Kumjana Novakova

2. Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie
"Stepne" (UKR, Litauen, 2022), Regie: Maryna Vroda

3. Lobende Erwähnung
"1489" (ARM 2023), Regie: Shoghakat Vardanyan

4. CEEOL Preis für den besten Dokumentarfilm
"Ein Foto zum Andenken" (Foto Na Pamyat, UKR, FRA, DEU 2023), Regie: Olga Chernykh

5. Lobende Erwähnung der internationalen Jury
"Kix" (HUN 2023), Regie: Dávid Mikulán und Bálint Révész

6. 3sat-Ankauf
"Bauryna Salu" (KAZ 2023), Regie: Ashkat Kuchinchirekov 

7. Preis der Internationalen Filmkritik FIPRESCI (Spielfilm)
"Die Pest" (CHUMA, RU SA 2024) Regie: Dmitrii Davydov

8. Preis der Internationalen Filmkritik FIPRESCI (Dokumentarfilm)
"Kix" (HUN 2023), Regie: Dávid Mikulán und Bálint Révész  

9. RheinMain Short Film Award
"Qirim" (CZE 2023), Regie: Kateryna Khramtsova

10. Pitch the Doc-Award
"Echoes of Avey" (AZE) Regie: Atanur Nabiyeva

11. Renovabis-Recherchestipendium
"The Amateur Photographer’s Family Portrait" (AZE, GEO) Produzentin: Irina Gelashvilli

Quelle: www.filmfestival-goeast.de