Sommergäste

BR Deutschland 1975 Spielfilm

Inhalt

Nach einem Roman von Maxim Gorki erzählt der Film von einer Urlaubsgesellschaft im zaristischen Russland des Jahres 1904, die sich durch endlose Konflikte und Auseinandersetzungen zermürbt. Und obwohl sie sich fortwährend den Realitäten verschließen, schwant den bourgeoisen Figuren allmählich, dass ein gesellschaftlicher Umbruch bevorsteht – und dass sie selbst für die "neue Zeit" danach keinerlei Wert besitzen.

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Sommer auf dem Land vor den Toren Moskaus. Im Ferienhaus des Rechtsanwalts Sergej Bassow und seiner Gattin Warwara wohnen in der heißen Jahreszeit auch seine Schwester Kaleria und ihr Bruder Wlas Tschernow. Hinter der Fassade, die Michael Ballhaus zu Beginn des knapp zweistündigen Films in einer außergewöhnlich langen Kameraeinstellung zeigt, werden aus dem Inneren erregte Stimmen hörbar: andere russische Intellektuelle wie die Ärztin Marja Lwowna, der Dichter Jakow Schalimow sowie der Ingenieur Pjotr Suslow und seine Frau Julia sind zu Gast. Sie sprechen – und streiten – über Literatur und Kunst, vor allem aber über die Kunst des Lebens: jeder von ihnen leidet unter der Enge, unter der Langeweile, wie der Schriftsteller unter Misserfolg oder ganz allgemein unter Selbstmitleid. Mit einer Ausnahme: Marja Lwowna. Sie leidet zwar auch, an ihrer Liebe zum wesentlich jüngeren, zynischen Wlas, hat aber erkannt, dass weder Kartenspiel noch Alkohol aus der Lebenskrise helfen, sondern nur tätige Arbeit und aktives Engagement für die Mitmenschen. Ein Abendessen, das in eine handfeste Prügelei ausartet, trennt die Spreu vom Weizen, die Müden, Satten und Selbstzufriedenen von den Mutigen, den Veränderungswilligen. Zu denen neben der Ärztin auch die nur „Warja“ genannte Gattin des Hausherrn gehört, die einst Schalimow verehrte und nun, in Spaziergängen durch den verwilderten Garten oder ein nahes Birkenwäldchen, auf einen Ausgebrannten trifft, der jeglichen Kontakt zu seiner Leserschaft verloren hat. Am Ende ist wieder das Bassowsche Sommerhaus zu sehen in einer gefühlt noch längeren Einstellung. Aber die Kamera bleibt statisch – und aus dem Inneren dringt kein Laut…

Peter Steins legendäre Inszenierung des 1904 in St. Petersburg uraufgeführten Schwanengesangs großbürgerlicher Dekadenz, die am 22. Dezember 1974 an der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer Premiere feierte, auf die große Leinwand zu bringen, war ein enormes Wagnis der jungen Produzentin Regina Ziegler: „Alle haben mich damals für verrückt erklärt.“ Ist Peter Steins Film doch keine statische Dokumentation eines bis heute kultig-verehrten Theaterereignisses, sondern ein Spielfilm, gedreht Mitte 1975 vor allem auf der Berliner Pfaueninsel. Und damit im unmittelbaren Grenzgebiet zur DDR, in der der am 29. Januar 1976 im Berliner Kudamm-Kino Cinema Paris uraufgeführte und am 6. Februar 1976 bundesweit gestartete Film ab März 1977 in ausgewählten Studio-Kinos der Bezirksfilmdirektionen gezeigt wurde.

„Das ist ein Film über Schauspieler, denn nur sie können unsere Geschichte erzählen“: Zusammen mit seinem Chefdramaturgen Botho Strauß ist Peter Stein in der originalen Bühnenbesetzung ein ungemein dichter Film gelungen, der beim Kinobesucher geradezu Betroffenheit auslöst. Und dass Mitte der hektischen 1970er Jahre, als beim Publikum ganz andere Probleme auf der Agenda standen als die Sorgen russischer Intellektueller und Finanzmagnaten in der ländlichen Sommerfrische kurz nach der Jahrhundertwende. Dass uns Gorkis Figuren, ihre sich sinnlos im Kreis drehenden Gespräche, ihr schon provozierend trister Müßiggang, hier nicht wie obsolete Märchengestalten einer fernen, fremden Welt erscheinen, ist sicherlich das Verdienst eines großartigen Ensembles um die herausragende Edith Clever.

Die bundesdeutsche Kritik hat „Sommergäste“ vor allem als ästhetisches Kunst-Ereignis gefeiert wie zwei Jahre zuvor das Birkenwäldchen auf der Bühne Karl-Ernst Herrmanns. Von „filmisch-kraftvoll eingefangenen Landschaften“ war die Rede bei Eckhart Schmidt („Deutsche Zeitung“ vom 23. Januar 1976), von „animalischer Faszination, die keine Sprache braucht, um sprechend zu sein“ bei Wilfried Wiegand in der „FAZ“ vom 31. Januar 1976. Überschwänglich Berlins „Stimme der Kritik“, Friedrich Luft, in der „Welt“ vom 2. Februar 1976: „Wer Augen hat zu sehen wird eine aufregendere Menschenlandschaft auf einer Leinwand nicht finden können.“ Die DDR-Rezensenten setzten dagegen vor allem inhaltliche Schwerpunkte: „Die brutale Inanspruchnahme des Rechtes der Starken und Finanzkräftigen, die tiefe Unzufriedenheit mit einer parasitären Umwelt, die wachsende Überzeugung von der Notwendigkeit aktiven Einsatzes, die Gorki seinen Figuren mitgab, wurde in Beziehung gebracht zu gesellschaftlichen Gegebenheiten der bürgerlichen Gegenwart“ schrieb Wolfgang Schuch im Programmblatt 5/77 des DDR-Filmverleihs Progress. Und bei Fred Gehler heißt es in seiner Kritik in der DDR-Wochenzeitung „Sonntag“ (vom 24. April 1977): „Aber nicht allein die erzählerischen und darstellerischen Mittel erscheinen mir zeitgemäß. Die Betroffenheit, die von den ‚Sommergästen‘ ausgeht, ist die des Sujets. Die Konfrontation von Saturiertheit und Unruhe, Lebensferne und -aktivität, Provinzialismus und ‚Welt‘ ist nicht allein eine Problematik der Gorkischen Datschniki.“

Pitt Herrmann

Credits

Regie

Schnitt

Darsteller

Produzent

Alle Credits

Regie

Ausstattung

Kostüme

Schnitt

Darsteller

Produzent

Redaktion

Länge:
3146 m, 115 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 05.11.1975, 47791, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 29.01.1976, Berlin, Cinema Paris;
Kinostart (DE): 06.02.1976

Titel

  • Originaltitel (DE) Sommergäste

Fassungen

Original

Länge:
3146 m, 115 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 05.11.1975, 47791, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 29.01.1976, Berlin, Cinema Paris;
Kinostart (DE): 06.02.1976

Auszeichnungen

FBW 1975
  • Prädikat: besonders wertvoll