Die zweite Haut

BR Deutschland 1981 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Sandra und Jens sind seit 15 Jahren miteinander verheiratet. Eine Wohnung, ein Auto und eine Datscha, auf bundesdeutsch: ein Wochenendhaus. Dafür haben sie geschuftet, dafür haben sie nicht viel gehabt von dem, was man gemeinhin unter „Leben“ versteht. Jetzt, wo alles erreicht ist, beginnt Sandra erst über ihr bisheriges Dasein nachzudenken. Ihre Besuche bei der Oma machen ihr klar, wie allein sie in Wirklichkeit ist. Sie beschließt, sich scheiden zu lassen – und verliert so auch ihren Sohn Pitt. Es dauert nicht sehr lange, bis Sandra merkt, wie negativ die Umwelt auf ihren Entschluss reagiert – ihre Familie, ihre Brigade. Doch es gibt kein Zurück, zumal Jens inzwischen eine andere Frau gefunden hat...

„Die zweite Haut“ ist nur auf den ersten Blick ein DDR-Film, den die Defa nicht produzieren durfte und der deshalb mit einem nach der Wolf Biermann-Ausbürgerung zustande gekommenen „Exil-Team“ gedreht wurde – wie später auch der vom Südwestfunk für die ARD produzierte Zweiteiler „Collin“ nach dem gleichnamigen Roman von Stefan Heym. Klaus Poche, Drehbuchautor von „Collin“ und „Die zweite Haut“, war nach seinem Film „Geschlossene Gesellschaft“, den Frank Beyer 1981 für das Fernsehen realisierte und der in der DDR einen Skandal auslöste, nicht mehr beschäftigt worden – nachdem er für die Defa und das Fernsehen der DDR insgesamt 24 Drehbücher geschrieben hatte, von denen exakt die Hälfte realisiert wurde und die andere in den Babelsberger und Adlershofer Kellertresoren verschwand. Poche wurde in der Folge aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen, was wenn nicht einem Berufs-, jedenfalls aber einem Publikationsverbot gleichkam.

„Die zweite Haut“, geplant als Fortsetzung von „Geschlossene Gesellschaft“, sollte ursprünglich Roland Gräf realisieren als zweite Regiearbeit nach „Mein lieber Robinson“, doch die Attacken des 9. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auf die Kulturschaffenden sorgten Mitte der 1970er Jahre für eine ganze Welle der Zensur, der auch – unmittelbar vor Drehbeginn – „Die zweite Haut“ zum Opfer fiel. In „Geschlossene Gesellschaft“ geht es um die Bilanz einer langjährigen Ehe, in „Die zweite Haut“ um die Konsequenzen, welche die Ehefrau aus dieser Bilanz zieht – und um das erste Jahr nach der Scheidung.

Zurück zum ersten Blick. Es fehlt der bundesdeutschen Produktion, Frank Beyers nach „Der König und sein Narr“ zweite Arbeit für das West-Fernsehen, nicht an Details. Trabis fahren in dunklen, öden Gassen umher, die Tristesse Ost-Berliner Hinterhöfe fehlt ebenso wenig wie die quälenden Gespräche in Brigade und Kollektiv, und auf dem Plattenteller rotieren Amiga-Scheiben. Doch selbst wenn bewährte Defa-Kräfte wie Beyer, Poche, der Komponist Günter Fischer und vor allem Protagonisten wie Angelica Domröse und Hilmar Thate vor Günter Marczinowskis Kamera stehen, entsteht im Westen doch eine völlig andere Ästhetik außerhalb der gewohnten Prenzlberger Kiez-Atmosphäre. Was freilich von Beyer/Poche so gewollt wurde: Sie lassen die Handlung ihres „neuen“ Films bewusst im Irgendwo unserer zivilisierten Welt am Ende der 1980er Jahre spielen.

Bei der Erstaufführung in der ARD erfuhr der West-Zuschauer nichts über den Vorläufer „Geschlossene Gesellschaft“ und daher viel zu wenig über die Vorgeschichte der Protagonisten. Jens, als qualifizierter Facharbeiter ein Aufsteiger im DDR-Sozialismus, der zu komplizierten Aufgaben herangezogen wird, verfolgt konsequent sein Ziel, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen – mit Häuschen, Auto und Datscha im Grünen. Bis dieses Ziel erreicht ist, muss alles andere, was „Leben“ eigentlich ausmacht, zurückstecken. Seine Frau Sandra gibt sogar ihren Beruf als Krankenschwester auf, weil sie am Fließband in der Produktion zweihundert Mark mehr verdient.

Als nun dieser selbst gewählte Standard erreicht, erkämpft, erschuftet ist, fällt die Bilanz eher mager aus: Sandra sieht sich nicht mehr in der Lage, mit Jens noch einmal von vorne anzufangen, die Zeit auszukosten mit dem kleinen Sohn Pitt. Sandra lässt sich scheiden. Und mit dieser Häutung der um ihr Leben geprellten Ehegattin beginnt „Die zweite Haut“. Sandra muss mit der wachsenden Entfremdung zwischen ihr und ihrem Sohn, der Vater Jens zugesprochen worden ist, ebenso fertig werden wie mit ihren beruflichen Problemen in der Brigade, die Sandra zunächst als Heldin der Arbeit und der Emanzipation feiert. Ihre Einsamkeit bekämpft sie durch Sex mit verheirateten, nur auf schnelle Abenteuer versessenen älteren Liebhabern.

Nach der Enttäuschung einer gemeinsamen Ostsee-Urlaubsfahrt mit ihrer als Single lebenden Freundin Niko ist ihre im Altersheim lebende Oma Sandras einziger regelmäßiger Umgang mit so etwas wie einer Bezugsperson. Doch die ist nur noch in der Lage, Liebe und Zuneigung zu empfangen, nicht mehr, selbst Liebe und Rat, Trost und Zuwendung zu geben und stirbt nach ihrem 80. Geburtstag.

Jens hat derweil eine jüngere, attraktivere Mutti für Pitt gefunden – und die kann nun ernten, was Sandra und Jens jahrelang unter großen Entbehrungen gesät haben. Sandra verzweifelt daran, trinkt, will sich das Leben nehmen. Und bekommt am Ende doch noch die Kurve zu neuem Selbstbewusstsein und einem neuen Anfang: Sie wird wieder in ihrem angestammten Beruf als Krankenschwester arbeiten und lässt ihren schleimigen Freier, der stets von ihrem Telefonapparat seine liebe Gattin daheim anruft, samt Rotkäppchen-Flasche unverrichteter Dinge wieder abziehen...

„Die zweite Haut“ ist doch noch so etwas wie ein Defa-Film geworden. Das liegt vor allem an der handwerklichen Qualität der Babelsberger Exil-Crew und der beiden Protagonisten, die in den 1980er Jahren zum Ensemble des West-Berliner Schiller-Theaters gehörten. Was für ein künstlerisches Potenzial der DDR verloren gegangen ist nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns, lässt sich auch an dieser Fernsehproduktion ermessen.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
88 min
Format:
16mm, 1:1,33
Bild/Ton:
Kodacolor, Ton
Aufführung:

TV-Erstsendung (DE): 08.11.1981, ARD

Titel

  • Originaltitel (DE) Die zweite Haut

Fassungen

Original

Länge:
88 min
Format:
16mm, 1:1,33
Bild/Ton:
Kodacolor, Ton
Aufführung:

TV-Erstsendung (DE): 08.11.1981, ARD