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Leipzig

Gespräch mit Lutz Dammbeck über die Filmcollage "Metamorphosen 1" (DDR 1978)

Von Jeanpaul Goergen

 

Das folgende Gespräch mit Lutz Dammbeck erkundet die Entstehung seines Experimentalfilms "Metamorphosen 1" vor dem Hintergrund seiner künstlerischen Entwicklung und unter den Bedingungen der Kunstpolitik in der DDR. Es ist eine Collage aus Mitteilungen des Künstlers auf E-Mail-Anfragen im Dezember 2023. Der Text wurde von Lutz Dammbeck durchgesehen.
(Jeanpaul Goergen, März 2024)

Selbstporträt_Metamorphosen1
Quelle: Jeanpaul Goergen
Selbstporträt des Künstlers in Flammen (Motive aus dem Film)

"Metamorphosen 1" besticht durch zahlreiche Übermalungen und Einritzungen in die Filmschicht sowohl von Realaufnahmen als auch von Rohfilm. Was hat sie zu diesen Techniken inspiriert?

Lutz Dammbeck: Da muss ich weit zurückgehen in die Zeit meines Studiums an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig, das ich 1966 begann. Dort gab es kein Angebot für einen Studenten, der sich für Film interessierte. Im westdeutschen Fernsehen gab es aber zwischen 1967 und 1972 die von Loriot moderierte Sendung "Cartoon", die auch Zeichentrickfilme vorstellte. Unter anderem sah ich dort einen jugoslawischen Film mit einem großen schwarzen Vogel und mit einer sehr schwer interpretierbaren Handlung. Das war, fand ich, Romantik pur, schwarz, düster, unverständlich, an das Gefühl und nicht so sehr an Verstand und Ratio appellierend – das gefiel mir. Es gab also etwas jenseits der lustigen Disney- und Russenfilme und kindlich-pädagogischen Dramaturgie und Ästhetik der DDR-Trickfilme. Animation konnte somit auch Kunst sein. Auf der Leipziger Buchmesse entdeckte ich dann einen Bildband mit Collagen von Jan Lenica, und im Leipziger Kino "Casino" die abstrakten Filme von Viking Eggeling, Hans Richter und László Moholy-Nagy ...

... das Staatliche Filmarchiv der DDR hatte für Clubs und Kulturhäuser eine 50minütige Kompilation "Deutsche Filmavantgarde" zusammengestellt, die auch abstrakte Filme von Walter Ruttmann und Oskar Fischinger enthielt.

Lutz Dammbeck: Diese Filme erschienen mir zwar zu technisch, aber dennoch formal interessant und gut, um eine Traditionslinie (Stichwort: Bauhaus) für Experimente aufzurufen, auf die ich mich später berufen konnte. Außerdem erhielt ich durch Freunde das von Hans Scheugl und Hans Schmidt 1974 herausgegebene zweibändige Lexikon "Eine Subgeschichte des Films".

Für mein Diplom 1971 an der HGB zeichnete ich Blätter (40 x 50 cm) und ein Storyboard für einen Animationsfilm. Damit fuhr ich nach Dresden zum DEFA-Studio für Trickfilme. Dort und später in Potsdam-Babelsberg durchlief ich anschließend als Freiberufler das Studiosystem und lernte 'by doing' das Handwerk, nebenbei begann ich aber über autonomeren oder unabhängigeren Film nachzudenken.

So entstand die Idee, angeregt von den Sprachblättern des Grafikers Carl Friedrich Claus, der zum Umfeld einer Gruppe von ehemaligen Kommilitonen der HGB gehörte, die nach dem Studium nach Karl-Marx-Stadt gegangen waren und später dort die Galerie Clara-Mosch gründeten, skripturale Strukturen zu animieren und damit einen Film zu machen. Ging das, ohne Handlung, nur mit "handgemachten" Strukturen etwas zu erzählen? Und wo und wie sollte das produziert werden? Diese Ideen trug ich seit etwa 1973 mit mir herum.

1978 machte ich in Babelsberg auf Einladung von Kurt Weiler den Film "Der Schneider von Ulm". Dort wurde auch freier über Animationsfilm und über Kunst gesprochen. Weiler hatte schon mit Einar Schleef, Achim Freyer, Gero Troike oder Ezio Toffolutti gearbeitet. Ich glaube mich zu erinnern, dass er auch mal von Len Lye und auch von Norman McLaren sprach. So im Sinne von: Das gibt es alles auch noch. Filme von beiden gesehen hatte ich jedoch damals nicht.

Konnte ich also solche skripturalen Strukturen auf 35mm Blank- und Schwarzfilm zeichnen oder, wie bei einer Radierung, einkratzen? Was auf meinen Entwürfen auf dem Papier so fein und grafisch aussah, verwandelte und vergröberte sich dann durch die Übertragung auf den 35mm-Film in der Projektion in etwas Anderes, auch Faszinierendes, vor allem, als ich mit Fotofarben auf dem Blankfilm "zu malen" versuchte.

Grundlage der "Metamorphosen 1" ist ein Realfilm über eine Zugfahrt. Ist das found footage oder haben sie diese Aufnahmen selbst gedreht?

Lutz Dammbeck: Da muss ich wieder etwas ausholen. "Metamorphosen 1" in der von mir fertig gestellten Form hatte einen Vorlauf, und der fand zwischen 1976 und 1978 statt. Das war das interdisziplinäre Ausstellungsprojekt "Tangente 1", konzipiert von einer Gruppe junger Mitglieder des Verbandes Bildender Künstler der DDR in Leipzig, zu der auch eine Fotografin und ein "Autodidakt" gehörten, also einer, der nicht an einer staatlichen Kunsthochschule der DDR studiert hatte. Wir waren eine "Künstlergruppe", formal eher heterogen, aber medial interessiert auch an Fotografie und Film. Jeder der teilnehmenden Künstler sollte mit einem anderen Künstler, am besten spartenübergreifend, ein Exponat für die Ausstellung herstellen. Ich schlug einen Experimentalfilm vor und bat den Malerkollegen Frieder Heinze mitzumachen. Getreu der surrealistischen Methode der Cadavre Exquis begannen wir beide nun Aquarelle und Kohlezeichnungen herzustellen. Einer fing an und der andere vollendete das Blatt und umgekehrt; die meisten dieser Zeichnungen im Format 30 x 40 cm und ein vor mir mit Fotos der Zeichnungen geklebtes Storyboard sind heute im Filmmuseum Potsdam.

Um aus dem geplanten Film ein "Gemeinschaftswerk" zu machen, organisierte ich eine Zugfahrt, die den Rahmen für die zwei unterschiedlichen Handschriften der Zeichnungen liefern sollte. Ich war zu der Zeit im DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden mit der Produktion des Zeichentrickfilms "Lebe!" beschäftigt und kannte deshalb den jungen Kameramann Peter Pohler. Als das Studio zu einem Betriebsausflug aufgebrochen war, holte er eine 35mm-Kamera und eine Rolle s/w-Film aus dem Lager und wir zogen los, begleitet von Frieder Heinze und einem Dresdner Kollegen, den Maler und Grafiker Andreas Dress sowie meiner damaligen Freundin, der Fotografin Karin [Carin] Plessing. Deshalb auch die Bezeichnung "nach einer TANGENTENidee" im Vorspann. Der Film sollte E 17592 heißen – die Fahrplannummer dieses Vorortzuges.

Allerdings hatten Frieder Heinze und ich bei Beginn der Arbeit nicht wirklich bedacht, was es heißen würde, unsere Zeichnungen zu animieren. Ich hatte frohgemut "Legetrick" vorgeschlagen, aber was es heißen würde, den Film tatsächlich zu machen, hatten wir nicht ausreichend bedacht. Produktionstechnisch fehlte mir noch die Erfahrung, und Frieder war ein totaler Autodidakt. Als ich ihm das vor uns Stehende versuchte zu erklären, stieg er sofort aus und sagte: Mach du das, weil er so viel Zeit lieber für seine Malerei nutzen wollte. Am Ende war mir das ganz recht, weil ich nun den Film so machen konnte, wie ich wollte.

Durch den Regisseur Rainer Ackermann, mit dem mich meine damalige Freundin aus Potsdam bekannt gemacht hatte, und für den ich in dessen studentischen Filmübungen kurz geschauspielert hatte, lernte ich in Babelsberg (wo ich im Studio von Kurt Weiler den Animationsfilm "Der Schneider von Ulm" realisierte) u.a. Thomas Plenert, Eberhard Geick und Helke Misselwitz kennen und bekam von ihnen einige ausgemusterte Takes. Mit diesen Ausschnittresten machte ich meine ersten Versuche mit Non-Kamera-Animationen – und bekam Lust, einen Film ohne Studio zu machen.

Sie haben den Film an einem Lichttisch erarbeitet, ihn also erst nach Fertigstellung zum ersten Mal als Bewegtbild sehen können.

Lutz Dammbeck: Ich konnte mir in Babelsberg an einem Schneidetisch erste Ergebnisse anschauen. Als ich die einzelnen Sequenzen zusammengeklebt hatte, war ich perplex und dachte WOW: So frei, so rhythmisch, das funktioniert als Film, auch ohne Musik. Freier ist der Film allerdings ohne Tonspur; das Knattern einer TK 35 bei den Klebestellen reicht völlig aus.

Wie sind sie auf die Musik gekommen? Sie erinnert an amerikanische Rock-Musik der 1970er Jahre.

Lutz Dammbeck: Die Musik kam erst später dazu. Deshalb heißt es auch in den Credits: 1978/79. Damals war es die Neugier was passiert, wenn Ton dazu kommt. Es war rhythmisch okay, nicht zu kalt oder zu süßlich, es passte, hätte die Musik aber nicht gebraucht. Es gab damals in allen größeren Städten der DDR sog. "Plattendealer", d.h. Typen, die mit westlichen Schallplatten handelten, die sie über unbekannte Kanäle bekamen und die "heiße Ware" dann teuer an Einzelinteressenten oder Bands verkauften. Den Leipziger Chefdealer hatte ich um Rat wegen einer Musik für "Metamorphosen 1" gefragt und er gab mir einige Platten zum Durchhören. Am stimmigsten zu meinen Bildern fand ich einen Titel von Carlos Santana. Welcher Titel, welche Platte weiß ich nicht mehr. Da ich jedoch ein Tape für die damals verwendeten Kassettendecks und ein Tonband brauchte, um in den Kinos und DDR-Filmklubs den Ton extern zuspielen zu können, organisierte er Musiker, die das Stück für mich nachspielten. Es hieß damals auch: Wenn du es so machst, kannst du diese Musik später bedenkenlos verwenden. Mit der davon gezogenen Kassette und dem Band zeigte ich "Metamorphosen 1" und danach auch meine anderen Filme im Leipziger "Casino", in weiteren staatlichen Filmclubs und in kleinen Galerien.

Haben sie "Metamorphosen 1" einer staatlichen Prüfstelle zur Freigabe vorgelegt?

Lutz Dammbeck: Nein, daran habe ich nie gedacht, anders als 1981 bei "Hommage à La Sarraz", meinem zweiten experimentellen Film, den ich zusammen mit dem Kameramann Thomas Plenert beim Rat des Bezirkes in Leipzig als "Amateurfilm" einstufen ließ. Einerseits war das pure Ironie, andererseits waren inzwischen die Genossen aufmerksam, um nicht zu sagen wachsam geworden, was sich da so in den Studiokinos und alternativen Abspielorten wie Galerien mit Experimentalfilmen so tat. Die haben schon mitbekommen, dass sich dort ein ernstgemeintes Nachdenken über künstlerischen "Film" regte.

Wann und wo fand die erste öffentliche Aufführung von "Metamorphosen 1" statt?

Lutz Dammbeck: Der Film sollte eigentlich in der Ausstellung "Tangenten 1" gezeigt werden. Dann wurde die Ausstellung verboten. Alle Teilnehmer waren zunächst geschockt und deprimiert. So hatten wir uns in unserer Naivität die damals von der SED gepriesene "Weite und Vielfalt" in der DDR nicht vorgestellt. Wir hatten schon eine Ausstellungsarchitektur für die Ausstellung entworfen, in der nicht nur Bilder und Grafiken sittsam und brav an den Wänden hängen sollten, sondern der Raum und die Kunstwerke ein aufregendes neues Raumgefühl vermitteln sollten. Nach dem Verbot fand die Premiere von "Metamorphosen 1" am 2. November 1978 im Kino des Berliner Künstlerklub "Die Möwe" in Berlin-Mitte, Luisenstraße 18, statt. Anlass war die Feier zum fünfjährigen Jubiläum der Berliner Galerie Arkade, die zum Staatlichen Kunsthandel der DDR gehörte. Ich hatte Klaus Werner, dem Leiter der Galerie, von meinem Film erzählt und er lud mich ein, ihn im Rahmen dieser Feier vorzustellen. In der "Möwe" gab es einen kleinen Vorführraum im Stil eines Abnahmestudios mit etwa 30 bis 40 Plätzen...

...einem zeitgenössischen Bericht zufolge liefen dort mehrere "Künstlerfilme" ...

Lutz Dammbeck: Was sollen das 1978 für Filme gewesen sein? Also, solche Programme gab es dann Jahre später, so ab Anfang der 1980er Jahre, wo bei Veranstaltungen in Kinos und Galerien auch Avantgarde- und Künstlerfilme gezeigt wurden. Zum Beispiel hatte ich Anfang der 1980er Jahre begonnen, als "Gastkurator" dem Leiter des Leipziger Filmkunsttheaters Casino, Fred Gehler, Veranstaltungen mit Filmen der klassischen Avantgarde, vorzuschlagen, Richter, Ruttmann, die Surrealisten, die ich mit Filmen von Zoltán Huszárik, Gábor Bódy und meinen eigenen Filmen wie "Einmart", "Metamorphosen 1", "Hommage à La Sarraz" oder mit Filmen von Jürgen Böttcher mischte. Dafür machte ich Plakate, die mit Sieb- oder Offsetlithografie in kleiner Auflage hergestellt wurden und im Kino, in der Mensa und den Leipziger Unis aushingen.

Was die Veranstaltung in der "Möwe" betrifft: An was ich mich noch erinnern kann, war, dass sich nach Ende der Vorführung von "Metamorphosen 1" das Publikum im Vorführraum erhob und Beifall klatschte. War das nun der letzte Film eines Programms oder der einzige Film, der damals lief? In meiner Erinnerung war "Metamorphosen 1" 1978 die erste öffentliche Vorführung eines Experimentalfilms in der DDR. Der Film wurde damals im Original vorgeführt, also als stummes 35mm-Positiv. Auch Wieland Herzfelde war Gast der Feier, und bedankte sich nach der Vorführung bei mir. Ich war ein Verehrer von John Heartfield und auch deshalb von seiner spontanen Anerkennung begeistert und nahm sie als Bestätigung, weiterzumachen. Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen Hand-, oder besser: Ritterschlag. In dem Moment fühlte ich mich verbunden mit Traditionen, die mir damals (bis heute) wichtig waren: Heartfield, Collage, Montage, Verbinden von scheinbar disparaten Teilen zu etwas Neuem, und das Beobachten, was bei diesen Experimenten herauskommt. Nach Ende der Veranstaltung stand ich mit meiner (handbemalten) Filmbüchse einsam um Mitternacht auf dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg und wusste: So will ich weiter machen.

Im Vorspann bezeichnen sie "Metamorphosen 1" als "Filmcollage"...

Lutz Dammbeck: ...das war mein damaliges Verständnis, was das Genre betrifft, und bezeichnete sowohl Material und dessen Verarbeitung exakt. Was Film und Animation betraf, ergaben sich danach andere Fragen bezüglich Rhythmus und Erzählung/Narration, also zwischen etwas erzählen (Geschichten) und reiner strenger Form. Das beschäftigt mich bis heute – ob im Raum, auf der Leinwand oder auf Papier und Foto.

Worauf bezieht sich der Hinweis im Vorspann von "Metamorphosen 1" auf die "freundliche Unterstützung durch das DEFA-Studio für Trickfilme" im Vorspann?

Lutz Dammbeck: Das ist ironisch und eher schadenfroh gemeint, im Sinne von "wenn die gewusst hätten, was mit der Kamera gemacht werden soll, hätten wir keine Genehmigung bekommen."

Im Booklet ihrer in der edition filmmuseum 2008 erschienenen DVD wird als Produzent der "Metamorphosen 1" eine "Mogollon Film, Leipzig" erwähnt, allerdings nicht im Vor- und Abspann des Films. Was hat es damit auf sich?

Lutz Dammbeck: "Mogollon Film" war ein Phantasiename, ein Spaß und ein Spiel mit der "Wichtigkeit" und "Bedeutung" großer Firmen. Es gab auch einen Bezug zu prähistorischen Urgesellschaften und zu Indigenen, mit deren Kultur sich einige Kollegen der Leipziger Künstlergruppe beschäftigten, zu der ich damals gehörte. Im nächsten Experimentalfilm "Hommage à La Sarraz" stand dann auch "Mogollon Film" im Vorspann – geritzt mit Non-Kameratechnik in Schwarzfilm.

 

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